Ori­gi­nal­ar­beit: WHO: Poli­ti­sche For­de­run­gen zur Adipositas-Prävention

25.04.2015 | Medizin

Mit der Prä­ven­tion und Behand­lung der Adi­po­si­tas sowie mit poli­ti­schen For­de­run­gen befasst sich ein kürz­lich im Lan­cet erschie­ne­nes WHO-State­ment. Effek­tive Adi­po­si­tas-Prä­ven­tion benö­tigt eine Poli­tik, die sich für die Umset­zung von wirk­sa­men Maß­nah­men ein­setzt. Von Kurt Wid­halm und Karin Gatternig*

Über­ge­wicht und Adi­po­si­tas sind welt­weit zum größ­ten Gesund­heits­pro­blem gewor­den. Ein erhöh­ter BMI zählt zu den Haupt­ri­si­ko­fak­to­ren für früh­zei­tige Todes­fälle. Im Jahre 2010 wur­den zwi­schen zwei und acht Mil­lio­nen Todes­fälle durch einen erhöh­ten BMI ver­ur­sacht. Eine der Haupt­ur­sa­chen für Über­ge­wicht und Adi­po­si­tas ist das Über­an­ge­bot bezie­hungs­weise die Über­ver­sor­gung mit sehr ener­gie­rei­chen und nähr­stoff­ar­men Lebens­mit­teln und Geträn­ken. Beson­ders bedroh­lich ist die Tat­sa­che, dass auch die Prä­va­lenz für Über­ge­wicht und Adi­po­si­tas im Kin­des­al­ter in den letz­ten Jah­ren welt­weit deut­lich ange­stie­gen ist.

In den USA hat das kind­li­che Durch­schnitts­ge­wicht in 30 Jah­ren um rund fünf Kilo­gramm zuge­nom­men. Circa ein Drit­tel der US-ame­ri­ka­ni­schen Kin­der ist bereits von Über­ge­wicht oder Adi­po­si­tas betrof­fen. Abge­se­hen von den opti­schen Pro­ble­men stellt vor allem das erhöhte Risiko für chro­ni­sche Fol­ge­er­kran­kun­gen (Dia­be­tes, Herz­in­farkt, usw.) ein gro­ßes Pro­blem dar.

Prä­ven­tion

Von der Poli­tik gestellte Maß­nah­men sind am effek­tivs­ten und kos­ten­güns­tigs­ten, um diese Pro­bleme in den Griff zu bekom­men. Welt­weit gese­hen sind laut WHO fol­gende Maß­nah­men am wichtigsten:

  • Ein­schrän­kung des Mar­ke­tings von „unge­sun­den“ Kinderlebensmitteln;
  • Rege­lun­gen hin­sicht­lich der Nähr­stoff­qua­li­tät und Ver­füg­bar­keit von Lebens­mit­teln in Schulen;
  • Nähr­wert-Kenn­zeich­nung;
  • Steu­ern auf gesüßte Getränke;
  • Kam­pa­gnen in Massenmedien;
  • Zur-Ver­fü­gung-stel­len von finan­zi­el­ler Moti­va­tion, um die Lebens­mit­tel­qua­li­tät zu verbessern.

Manage­ment und Behandlung

Gesund­heits­exper­ten sind mit der Behand­lung von Über­ge­wicht und Adi­po­si­tas oft nicht aus­rei­chend ver­traut. Wün­schens­wert wäre daher eine bes­sere Schu­lung von Exper­ten, um Adi­po­si­tas bes­ser und gezielt behan­deln zu kön­nen. Die the­ra­peu­ti­schen Mög­lich­kei­ten umfas­sen dabei:

  • Ver­hal­tens­the­ra­pie;
  • Phar­ma­ko­the­ra­pie sowie
  • baria­tri­sche Eingriffe.

Eine Ver­bes­se­rung der Aus­bil­dung von Gesund­heits­exper­ten ist wich­tig. All­ge­mein kla­gen Päd­ia­ter in Öster­reich über eine unzu­rei­chende Aus­bil­dung hin­sicht­lich des Manage­ments sowie der Behand­lung von Adi­po­si­tas-asso­zi­ier­ten Fol­ge­er­kran­kun­gen. Bezüg­lich des Manage­ments von kind­li­cher Adi­po­si­tas wer­den für die Pri­mär­be­hand­lung meh­rere Schritte empfohlen:

  • Berech­nung des BMI;
  • Schu­lun­gen über gesunde Ernährung;
  • aus­rei­chend kör­per­li­che Bewegung;
  • Errei­chen des Normalgewichts;
  • Unter­su­chung auf Bluthochdruck,Glukoseintoleranz, Dys­li­pi­dä­mie und abnorme Leberfunktion. 

Public Sup­port und poli­ti­sche Maßnahmen 

Effek­tive Adi­po­si­tas-Prä­ven­tiv­maß­nah­men benö­ti­gen eine Poli­tik, die sich für eine Umset­zung von wirk­sa­men Maß­nah­men ein­setzt. So kön­nen vor allem Lebens­mit­tel­ge­setze eine effek­tive Maß­nahme dar­stel­len. Der Haupt­ein­fluss­fak­tor für Adi­po­si­tas ist die Ernäh­rung. Effek­tive poli­ti­sche Maß­nah­men sind sol­che, die zu posi­ti­ven Ver­än­de­run­gen hin­sicht­lich des Kon­sums von Lebens­mit­teln sowie sozia­lem Umfeld füh­ren. Die wich­tigs­ten Ein­fluss­be­rei­che dabei sind:

Schu­li­sches Umfeld:

  • Pro­gramme für ein grö­ße­res Ange­bot von Obst und Gemüse („Schul­obst-Pro­gramm“);
  • Ver­bes­se­rung der Qua­li­täts­stan­dards des Schu­les­sens (sofern vorhanden);
  • Ernäh­rungs-Unter­richt.

Bezüg­lich der Ernäh­rungs­bil­dung in Schu­len gibt es genü­gend Stu­dien, die bestä­ti­gen, dass Ernäh­rungs-Unter­richt das Ess­ver­hal­ten von Kin­dern und Jugend­li­chen posi­tiv beein­flus­sen kann.

Öko­no­mi­sche Instrumente

  • Steu­ern auf „unge­sunde Lebensmittel“
  • För­der­mit­tel für „gesunde Lebensmittel“

Sys­te­ma­ti­sche Reviews zei­gen, dass Steu­ern auf Lebens­mit­tel dazu füh­ren, dass sie weni­ger gekauft wer­den. Beein­fluss­bar sind in die­sem Zusam­men­hang vor allem junge Men­schen. Auch För­der­mit­tel kön­nen einen posi­ti­ven Ein­fluss haben wie zum Bei­spiel Gra­tis-Obstund-Gemüse-Boxen in diver­sen Einrichtungen.

Nähr­wert­kenn­zeich­nung

  • „Ampel­re­ge­lung“: Damit soll auf den ers­ten Blick erkenn­bar sein, ob ein Lebens­mit­tel als eher „gesund“ oder eher „unge­sund“ ein­zu­stu­fen ist.

Eine öffent­li­che Mobi­li­sie­rung wäre wich­tig, um Adi­po­si­tas-Prä­ven­ti­ons­maß­nah­men vor­an­zu­trei­ben. Dies stellt eine wich­tige Maß­nahme dar, um ein gesund­heits­för­dern­des Umfeld mit gesun­der Ernäh­rung und Bewe­gung zu unter­stüt­zen. Die finan­zi­elle Belas­tung durch Adi­po­si­tas betrifft uns alle. Kos­ten, die durch Über­ge­wicht und Adi­po­si­tas ver­ur­sacht wer­den, wer­den nicht nur von den Betrof­fe­nen getra­gen, son­dern von uns allen wie bei­spiels­weise in Form von höhe­ren Kran­ken­ver­si­che­rungs­bei­trä­gen oder höhe­ren Steuern.

Ver­bes­sernde Ein­fluss­mög­lich­kei­ten wären:

  • För­der­mit­tel für mehr Bewe­gung und gesunde Ernährung;
  • Steu­ern auf zucker­hal­tige Getränke und ener­gie­rei­che Lebensmittel;
  • Well­ness-Pro­gramme zur Gewichtsreduktion.

Mediale Ein­fluss­mög­lich­kei­ten:

  • Poli­ti­sche Unter­stüt­zung und Kräf­ti­gung der Debatte über die Prä­ven­tion von Adi­po­si­tas und Übergewicht.
  • Infor­ma­tion der Öffent­lich­keit über posi­tive und nega­tive Aspekte hin­sicht­lich Adi­po­si­tas und Präventionsmaßnahmen.
  • Prä­sen­ta­tion der Kom­ple­xi­tät der Adi­po­si­tas-Prä­ven­ti­ons­mög­lich­kei­ten in einer für die All­ge­mein­be­völ­ke­rung ver­ständ­li­chen Form.
  • Ver­glei­che mit ande­ren poli­ti­schen Berei­chen ziehen.
  • Auf­klä­rung der Öffent­lich­keit über die nega­ti­ven Effekte von Adipositas.

Im Mai 2013 wurde der „WHO-Glo­bal Action Plan zur Prä­ven­tion und Kon­trolle von nicht-über­trag­ba­ren Erkran­kun­gen“ publi­ziert. Er beinhal­tet erst­mals auch spe­zi­fi­sche Ziele, um den dra­ma­ti­schen Anstieg von Über­ge­wicht, Adi­po­si­tas sowie Fol­ge­er­kran­kun­gen anzu­hal­ten. Ohne Gesetze und Regu­la­tio­nen für die Lebens­mit­tel­in­dus­trie kann es zu kei­ner Ver­bes­se­rung von Gesund­heit und Lebens­mit­tel­qua­li­tät kommen.

Lite­ra­tur bei den Verfassern

*) Univ. Prof. Dr. Kurt Wid­halm, Mag. Karin Gat­ter­nig;
beide: Aka­de­mi­sches Insti­tut für Ernährungsmedizin

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 8 /​25.04.2015