Österreichischer Impftag 2015: Impfvermeider ist nicht gleich Impfgegner

10.02.2015 | Medizin

Individualismus, Misstrauen und der Wunsch nach Entscheidungsfreiheit – so begründen Impfgegner ihr Verhalten. Und: Impfvermeider ist nicht unbedingt Impfgegner, wie ein Experte beim Impftag erklärte. Ein weiterer Schwerpunkt: Impfen im Alter. Entscheidend dabei ist, ob im höheren Alter erstmals geimpft oder aufgefrischt wird.

Ausgebucht – bereits zehn Tage vor dem diesjährigen Österreichischen Impftag konnten keine weiteren Anmeldungen entgegengenommen werden. Zusätzlich zu den 600 registrierten Teilnehmern standen noch mehr als 100 Interessierte auf der Warteliste für den Impftag, der unter dem Motto „Vom Wissen zum Handeln stand“.

In seinem Festvortrag befasste sich Prof. David Salisbury, Former Director of Immunisation vom Department of Health in Großbritannien mit der Impfmüdigkeit und wie man die Akzeptanz und Compliance von Impfungen erhöht. Mit epidemiologischen Studien unterstrich er eindrucksvoll, worin die wiederkehrenden Peaks von Masern, Pertussis und Co. in Europa und den USA begründet sind. In einer epidemiologischen Studie der Jahre 2008 bis 2011 aus Frankreich zeigte sich ein Peak von rund 3.500 Masernfällen im Jahr 2011. Dabei handelt es sich vor allem um die Altersgruppe der unter Einjährigen; einen zweiten Peak gibt es in der Altersgruppe der Zehn- bis 19-Jährigen. Laut Salisbury stehe die Impfmüdigkeit zwar mit diesen wiederkehrenden hohen Inzidenzzahlen der Masern in Zusammenhang. Jedoch seien die am häufigsten Betroffenen unter Einjährige, die zum Zeitpunkt des Auftretens der Erkrankung noch gar nicht geimpft waren.

Folgen von Impfversäumnissen

Eine ähnliche Konstellation wurde 2012 in Wales verzeichnet: Auch hier wurde ein Peak an Masernfällen bei unter Einjährigen verzeichnet; weiters bei den Fünf- bis 14-Jährigen. Den Aussagen des Experten zufolge hatten diese Phänomene jedoch nicht mit der Impfmüdigkeit in diesem Jahr zu tun; vielmehr handelte es sich dabei um Impfversäumnisse der Vergangenheit, was zu Erkrankungen von Jugendlichen und Erwachsenen führte, die wiederum die unter Einjährigen ansteckten.

Ablehnendes Impfverhalten habe laut Salisbury nicht zwingend etwas damit zu tun, „Impfgegner“ zu sein. Ein Mensch, der Angst vor Nadeln habe, zeige sich dem Impfstoff, seiner Sicherheit und Wirksamkeit gegenüber nicht skeptisch. Vielmehr begründen Impfgegner vermeidendes Verhalten mit Individualismus, Misstrauen und dem Wunsch nach Entscheidungsfreiheit; das umfasst auch, als Elternteil autonom entscheiden zu können, ob das Kind geimpft werden soll oder nicht. Was Salisbury darüber hinaus betonte: Häufig besteht kein Misstrauen gegenüber dem Impfstoff selbst, sondern gegenüber der Institution, die hinter dem Impfstoff steht. Die Impfgegner-Bewegung insgesamt sei – so Salisbury – kein Produkt aus Egoismus, Dummheit und Ignoranz. Vielmehr handle es sich dabei um eine Vereinigung von Menschen, bei denen individuelle Überzeugungen über wissenschaftlichen Erkenntnissen und über dem Vertrauen zu Institutionen stehe. Um als Arzt mit Fragen von Impfgegnern am besten umgehen zu können, sei fundiertes, evidenzbasiertes Wissen über Impfstoffe, mögliche Nebenwirkungen und Auswirkungen auf den Organismus erforderlich.

Eine bereits 2009 in den USA publizierte Analyse von diversen Marktumfragen zum Thema Impfen zeigt, dass die ablehnende Haltung gegenüber Impfungen weiter zunehmen wird. Die Hauptgründe dafür sind vor allem Angst vor Nebenwirkungen durch die Impfung. Auch gibt es Skepsis in Bezug auf die Sicherheit der Impfstoffe und deren Wirksamkeit; ebenso auch Misstrauen gegenüber Institutionen, der Regierung und den Ärzten. Die Angst vor Nadeln, dem Stich und einer möglichen lokalen Impfreaktion spielt ebenso eine Rolle. Auch beim Thema Impfen sei der zunehmende Trend in Richtung Homöopathie und Vermeidung sämtlicher Medikamente zu erwähnen. Fehlende Aufklärung bezogen auf die durch die Impfung vermeidbaren Erkrankungen und den Impfstoff selbst werden in dieser Analyse ebenso genannt.

Mit einem speziellen Aspekt – dem Impfen im Alter – setzte sich Univ. Prof. Herwig Kollaritsch vom Institut für Spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin der Medizinischen Universität Wien auseinander. Wie Kollaritsch betonte, gehöre die Immun-Seneszenz (der natürliche Alterungsprozess des Immunsystems) auch zum Altern. Die Immunseneszenz – viele Erkenntnisse dazu stammen von der Innsbrucker Gruppe um Wick/Grubeck- Loebenstein – beginnt etwa um das 50. Lebensjahr. Ihre klinische Relevanz zeigt sich – je nach individuellen Faktoren und Konstitution – schleichend ab dem 60. Lebensjahr. Dadurch nehmen sowohl akute als auch chronische Infektionskrankheiten an Zahl und Schwere zu. Kollaritsch dazu: „Es zeigt sich ein schwächeres, kurzlebiges und nicht nachhaltiges Immungedächtnis.“ So haben die Makrophagen eine geringere Kapazität zur Präsentation von Antigenen; der Thymus schüttet weniger naive T-Zellen aus. Auch die Fähigkeit, auf neue Antigene zu antworten, wird geringer.

Immun-Seneszenz

Ebenso sind Veränderungen im B-Zellpool zu erkennen. Ganz generell verändert sich die Antwort auf Impf-Antigene mit zunehmendem Alter. „Wesentlich ist aber, ob im höheren Alter erst- oder wiedergeimpft wird“, betonte Kollaritsch. Bei einer Re-Vakzination wiederum bleibt die Impfantwort ziemlich gleich; lediglich die Dauer der Impfimmunität nimmt ab. Bei Impfungen gegen Diphtherie, Tetanus, Polio und Pertussis nimmt die Antikörperantwort kontinuierlich ab, bleibt aber grundsätzlich ausreichend. „Eine Boosterung im Alter stellt daher weitgehend kein Problem dar. Es wird lediglich schon nach fünf Jahren eine Auffrischung empfohlen“, erklärte Kollaritsch. Bislang gebe es nur wenige Impfstoffe, die diesbezüglich genau untersucht worden seien; jedoch zeige sich immer ein ähnliches Bild. Gibt es eine Möglichkeit hier gegenzusteuern? „Vor Beginn der Immun-Seneszenz ist auf jeden Fall ein Priming anzustreben“, betonte der Experte. Beispielsweise halbieren sich beim FSME-Priming (erste Immunisierung gegen FSME) ab dem 50. Lebensjahr die Titer mit jedem Jahr nach der Grundimmunisierung. Für über 50-Jährige sind laut aktuellem Impfplan Impfungen gegen Influenza und Pneumokokken empfohlen. „Bei Senioren bietet die Influenza-Impfung eine weitgehend eingeschränkte Wirksamkeit, vor allem gegen geshiftete Stämme. Nachdem es aber noch keine Alternative zum Schutz vor Influenza gibt, bleibt diese bislang die einzige Option“, wie Kollaritsch erklärte.

Für über 51-Jährige ohne vorangegangene Pneumokokkenimpfung ist laut aktuellem Impfplan die 13-valente Pneumokokkenvakzine als Erst-Immunisierung, für die Zweit-Immunisierung nach einem Jahr der 23-valente Impfstoff zu verwenden. Mit der Pneumokokken-Impfung kann das Auftreten von invasiven Pneumokokken- Infektionen signifikant gesenkt werden. In der CAPITA-Studie (Community- Acquired Pneumonia Immunization Trial in Adults) zeigte sich in Bezug auf die Pneumokokken-Pneumonie ein messbarer Effekt; dieser bleibt jedoch hinsichtlich der Gesamtrisikoreduktion der „Community- Acquried Pneumonia“ mit nur fünf Prozent „durchaus überschaubar“, so Kollaritsch. Die Impfung gegen Herpes zoster ab dem 50. Lebensjahr führt zu einer Erhöhung der Zoster-Schutzschwelle, wodurch ein verbesserter Schutz gegen Zoster induziert wird – vor allem soll das Auftreten der postherpetischen Neuralgie verhindert werden. In einer placebokontrollierten Studie konnte die Zoster-Inzidenz um 51,3 Prozent, das Auftreten einer Zoster-Neuralgie um 66,5 Prozent verringert werden.

Ganz generell würden Impfungen im Alter „meist genauso gut“ (Kollaritsch) vertragen wie Impfungen im Kindesoder Erwachsenenalter. Lediglich die Gelbfieber-Impfung zeigt altersspezifische Nebenwirkungen, die sehr selten bei Erstimpfung auftreten können, die sogenannte Yellow Fever vaccine-associated acute viscerotropic disease (YELAVD). Dabei handelt es sich um ein fieberhaftes Multiorganversagen ähnlich dem Gelbfieber, weshalb beim älteren Reisenden die Impfindikation strenger zu stellen ist.

Das Wissen rund um altersinduzierte Immunphänomene ist nach Ansicht des Experten relativ gering, weswegen „umfangreiche Studien mit neuen Impfstoffen in Bezug auf die Immun-Seneszenz notwendig sind“, so das Resümee von Kollaritsch.
KD/AM

Impfungen im Alter

In der Praxis gilt es bei Impfungen im Alter Folgendes zu beachten:

  • Genaue Anamnese bezüglich vorangegangener Grundimmunisierungen mit der jeweiligen Vakzine
  • Detaillierte Erhebung der Impf-Eignung:
    • Allgemeinzustand
    • Medikation (speziell jene mit immunsuppressiver Wirkung)
    • Grundkrankheiten (speziell jene, die die Immunantwort beeinflussen wie Karzinome, Niereninsuffizienz; aber auch Diabetes sowie persönlicher Lebensstil, der die Immunantwort beeinflusst wie großes Übergewicht oder Rauchen)

Hat der Patient mehrere Risikofaktoren, muss das kumulative Risiko abgeschätzt werden, wobei nicht das Impfrisiko steigt, sondern meist nur die Wahrscheinlichkeit, auf die Impfung nicht adäquat zu antworten. Im Zweifelsfall sollte eine spezialisierte Stelle in die Beratung einbezogen werden – so die Empfehlung von Univ. Prof. Herwig Kollaritsch, Institut für Spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin in Wien.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 3 / 10.02.2015