Kontrastmittelinduzierte Nephropathie: Überschätzte Gefahr?

15.08.2015 | Medizin

Die Applikation von Kontrastmittel ist bei hospitalisierten Patienten eine der häufigsten Ursachen für ein akutes Nierenversagen. Die Gefahr für eine kontrastmittelinduzierte Nephropathie wird laut Experten in der Praxis eher überschätzt.
Von Irene Mlekusch

Untersuchungen, die den Einsatz eines Röntgenkontrastmittels erfordern, nehmen stetig zu. Dementsprechend wird die Inzidenz der kontrastmittelinduzierten Nephropathie (CIN) in der Literatur mit bis zu maximal zwei Prozent in der Allgemeinbevölkerung und je nach Definition mit bis zu 70 Prozent in der entsprechenden Hochrisiko-Population angegeben. Genau hier sieht Univ. Prof. Alexander Rosenkranz, Vorstand der klinischen Abteilung für Nephrologie an der Universitätsklinik für Innere Medizin in Graz das eigentliche Problem: „Schwankungen des Serumkreatinins um 0,4 mg/dl finden sich bei 25 Prozent der Patienten während eines Klinikaufenthaltes. Die glomeruläre Filtrationsrate ist daher der wichtigste Parameter.“

Einigkeit unter Experten herrscht lediglich in der Festlegung der Zeitspanne, wann man von einer kontrastmittelinduzierten Nephropathie sprechen kann. Demnach muss es innerhalb von drei Tagen nach Applikation des Kontrastmittels zu einer akuten Verschlechterung der Nierenfunktion kommen und andere Ursachen ausgeschlossen sein. Keine einheitliche Definition gibt es dagegen bezüglich der zu beachtenden Nierenfunktionsparameter. Manche Autoren fordern einen Anstieg des Serumkreatinins um mindestens 0,5 mg/dl des Ausgangswertes, andere einen Abfall der glomerulären Filtrationsrate um mehr als 25 Prozent. „Die Gefahr einer kontrastmittelinduzierten Nephropathie wird in der Praxis eher überschätzt“, sagt Priv. Doz. Marcus Säemann von der Klinischen Abteilung für Nephrologie und Dialyse der Universitätsklinik für Innere Medizin III in Wien. „Neuere Untersuchungen haben gezeigt, dass ein irreversibler Nierenschaden vor allem bei jenen Patienten eintritt, die a priori auch ohne Kontrastmittel ein sehr hohes kardiovaskuläres Risiko sowie ein Risiko, eine Niereninsuffizienz im Rahmen eines Krankenhausaufenthaltes zu erleiden, haben“, führt Säemann weiter aus.

Primäre Risikofaktoren

Als wichtigster Risikofaktor gilt eine präexistente Niereninsuffizienz; eine eGFR von weniger als 60 ml/min kann dabei als Cut off Wert zur Identifikation von Risikopatienten herangezogen werden. Je niedriger die eGFR, desto größer ist bei Kontrastmittelgabe das Risiko für ein kontrastmittelinduzierte Nephropathie – in Abhängigkeit von weiteren Risikofaktoren. „Die eGFR gibt die Nierenfunktion in der Praxis abhängig von Alter und Geschlecht wesentlich besser wieder als das Serumkreatinin“, hält Rosenkranz fest. Weitere primäre Risikofaktoren sind eine niedrige linksventrikuläre Ejektionsfraktion und höheres Lebensalter: konkret über 70 Jahre. Additive und somit großteils beeinflussbare Risikofaktoren sind Diabetes mellitus, Proteinurie, Dehydratation, Anämie, arterielle Hypotonie, Salzdepletion und die gleichzeitige Applikation von nephrotoxischer Begleitmedikationen sowie Mannitol und Furosemid.

Patienten mit einer transplantierten Niere und Leberzirrhose zählen ebenfalls zu den Risikogruppen für eine kontrastmittelinduzierte Nephropathie. Rosenkranz dazu: „Allein durch eine ausführliche Anamnese lässt sich bereits ein mögliches Risiko für eine kontrastmittelinduzierte Nephropathie abschätzen und entsprechend der Indikation über die Verabreichung von Kontrastmittel entscheiden.“ Beide Experten raten dazu, bei Risikopatienten die Nierenfunktion gegebenenfalls zu überprüfen und falls möglich alternative Untersuchungsmethoden wie CT ohne Kontrastmittel, Ultraschall oder MRT zu wählen. Zur Darstellung der Aorta abdominalis, der arteriellen Becken- und Oberschenkelachse kann auch eine CO-2-Angiographie diagnostisch aussagekräftige Bilder liefern. Als Nachteile müssen bei diesem Verfahren der größere Zeitaufwand und die damit verbundene höhere Strahlenbelastung berücksichtigt werden.

Kontrastmittel entscheidend

An der Entwicklung einer kontrastmittelinduzierten Nephropathie sind in der Niere multiple pathogenetische Mechanismen beteiligt. Einerseits entsteht eine variabel ausgeprägte und protrahierte Vasokonstriktion, die in weiterer Folge eine Reduktion der renalen Perfusion und medulläre Hypoxie bewirkt. Andererseits sorgt das Kontrastmittel für eine Erhöhung der Blutviskosität und vermehrte Aggregation der Erythrozyten; ebenfalls diskutiert wird die vermehrte Bildung freier Radikale. Entscheidend für die Ausprägung der kontrastmittelinduzierten Nephropathie ist somit das Kontrastmittel, welches in Menge, Zusammensetzung und Applikationsform unterschiedlichen Einfluss auf die Nierenfunktion haben kann. Allgemein steht eine Kontrastmittelmenge von mehr als 125 ml für einen signifikanten Risikoanstieg, ebenso die wiederholte Kontrastmittelapplikation innerhalb von 72 Stunden. In der Vergangenheit wurden unterschiedliche Berechnungsformeln wie beispielsweise nach Cigarroa oder Laskey zur Ermittlung der kritischen Kontrastmittelmenge entwickelt. „Leider haben sich die Formeln in der Praxis nicht bewährt“, bedauert Rosenkranz. Die intravenöse Kontrastmittelapplikation erscheint insgesamt weniger nephrotoxisch zu sein als die intraarterielle Applikation. Patienten, bei denen aus diagnostischen oder therapeutischen Gründen eine periphere oder koronare Angiographie durchgeführt wird, erhalten die höchsten Kontrastmittelmengen. „Für die verschiedenen Untersuchungen gibt es keine festen Kontrastmitteldosen. Die verwendete Menge ist somit auch vom Interventionisten abhängig“, macht Rosenkranz aufmerksam. Ebenso weist er darauf hin, dass der Ventrikelschuss bei der koronaren Angiographie heute aufgrund der diagnostisch hochwertigen Echokardiographie nicht unbedingt notwendig ist und dadurch die Kontrastmittelmenge reduziert werden kann. Nach Ansicht von Rosenkranz ist jedenfalls auch die Frage zu klären, ob tatsächlich das Kontrastmittel allein zu einer Beeinträchtigung der Nierenfunktion führt oder ob auch die intraarterielle Manipulation mit dem Draht den pathophysiologischen Mechanismus der kontrastmittelinduzierten Nephropathie beeinflusst.

Kontrastmittel ist nicht gleich Kontrastmittel – bei jodhältigen Kontrastmittel gibt es hinsichtlich Osmolarität und Molekülstruktur deutliche Unterschiede. Heutzutage kommen nieder- und isoosmolare Kontrastmittel zum Einsatz, wobei letztere die niedrigste Rate an kontrastmittelinduzierten Nephropathien aufweisen. Ionische Kontrastmittel wiederum weisen im Vergleich zu nicht-ionischen Kontrastmitteln ein doppelt so hohes Risiko für die Entwicklung einer kontrastmittelinduzierten Nephropathie auf. Alternativ stehen nicht-jodhaltige Kontrastmittel wie Gadolinium zur Verfügung. Dieses ist allerdings aufgrund seiner geringen Strahlendichte nicht für DSA-Untersuchungen geeignet ist. Trotzdem sollte auch Gadolinium in möglichst niedriger Dosierung eingesetzt und die Nierenfunktion der jeweiligen Patienten überprüft werden – speziell im Hinblick darauf, ob es sich um einen Risikopatienten handelt, da Gadolinium als Trigger für eine nephrogene systemische Fibrose und nephrogene fibrosierende Dermopathie sein kann. Prinzipiell ist somit bei Patienten mit einer eGFR unter 30 ml/min Vorsicht geboten, die Indikation zur Untersuchung individuell kritisch zu hinterfragen und unter Umständen interdisziplinär zu diskutieren. Rosenkranz merkt an, dass im Fall einer Vitalindikation die Kontrastmittelmenge in jedem Fall irrelevant ist.

Verlauf oft asymptomatisch

In vielen Fällen bleibt eine kontrastmittelinduzierte Nephropathie wegen des asymptomatischen Verlaufs jedoch unerkannt. „Sollte es zu einer vorübergehenden Verschlechterung der Nierenfunktion kommen, ist diese in der Regel symptomarm. Kommt es jedoch zu einem starken Funktionsverlust, kann eine Oligo- oder Anurie die Folge sein“, erklärt Säemann Die nicht-oligurische kontastmittelinduzierte Nephropathie hat eine bessere Prognose und bedarf nur selten einer temporären Behandlung. Die meisten Patienten erreichen spätestens drei Wochen nach der Kontrastmittelapplikation wieder ihre Ausgangswerte. Bei Risikopatienten empfiehlt Säemann, auf die Harnmenge zu achten.

Als effizienteste prophylaktische Maßnahme bei Risikopatienten wird eine ausreichende Hydrierung empfohlen. Die Flüssigkeitssubstitution führt zu einer Verbesserung der medullären Sauerstoffversorgung und Abnahme der Viskosität, ist außerdem kostengünstig und normalerweise risikofrei. Bei Patienten mit schwerer Herzinsuffizienz und schwerer Niereninsuffizienz gilt es – wegen der Gefahr eines Lungenödems – bei zusätzlicher oraler oder intravenöser Flüssigkeitszufuhr auf eine sorgfältige Überwachung zu achten. „Bei Risikopatienten sollte sichergestellt sein, dass der Patient einen euvolämen Flüssigkeitsstatus besitzt. Deshalb scheint es sinnvoll, den Patienten bereits am Tag vor der Untersuchung ausreichend zu hydrieren“, so Säemann. Zusätzlich kann eine mehrfach-diuretische Therapie vor allem in Kombination mit RAS-Blockern am Tag der Untersuchung reduziert oder sogar gänzlich pausiert werden. Die Substitution mit hypertoner Kochsalzlösung ist jener mit isotoner Kochsalzlösung vorzuziehen. Die Gabe von Natriumbicarbonat hat zwar in einigen Studien einen besseren renoprotektiven Effekt gezeigt als Kochsalz; insgesamt ist ein eindeutiger Vorteil aber noch nicht belegt. Andere therapeutische Ansätze konnten sich bislang aufgrund uneinheitlicher Forschungsergebnis nicht durchsetzen. In mehreren randomisierten prospektiven Studien konnte gezeigt werden, dass Hämofiltration und Hämodialyse zwar das Kontrastmittel eliminieren, nicht aber eine kontrastmittelinduzierte Nephropathie verhindern. Auch der Einsatz von Antioxidantien wie N-Acetylcystein oder Vitamin C brachte bislang keine einheitlich renoprotektiven Ergebnisse. Der Einsatz von Calcium-Antagonisten, Adenosin-Antagonisten, Dopamin oder Endothel-Rezeptor-Antagonisten kann bislang zur Hemmung der renalen Vasokonstriktion nicht generell empfohlen werden. Substanzen wie Theophyllin und atriales natriuretisches Peptid zeigen in Studien immer wieder erfolgversprechende Ergebnisse; weitere Studien sind abzuwarten. Auch die renoprotektive Wirkung von Statinen, die bisher in Studien an koronarangiographierten Patienten gezeigt werden konnte, muss weiter untersucht werden.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 15-16 / 15.08.2015