Nah­rungs­er­gän­zungs­mit­tel: Sinn oder Unsinn?

25.11.2015 | Medizin

Zwar gibt es Per­so­nen­grup­pen, die ein erhöh­tes Risiko für ein Vit­amin-Defi­zit haben; gesunde Men­schen, die sich abwechs­lungs­reich ernäh­ren, zäh­len jeden­falls nicht dazu. Sicher­heits­hal­ber regel­mä­ßig Nah­rungs­er­gän­zungs­mit­tel zu sich zu neh­men, ist nach Ansicht von Exper­ten weder sinn­voll noch vernünftig.

„Nahezu alles“ könne man heut­zu­tage als Nah­rungs­er­gän­zungs­mit­tel anbie­ten, weiß Univ. Prof. Kurt Wid­halm, Prä­si­dent des Öster­rei­chi­schen Aka­de­mi­schen Insti­tuts für Ernäh­rungs­me­di­zin. Das sei sei­ner Ansicht nach auch der Grund, wieso der Han­del mit der­ar­ti­gen Sub­stan­zen einen sol­chen Boom erlebe. Außer Acht blei­ben da zu oft die medi­zi­ni­schen Erkennt­nisse, dass viele Vit­amine und Nähr­stoff­in­halte erst in Kom­bi­na­tion eine posi­tive Wir­kung ent­fal­ten. „Ein gesun­der Mensch, der sich abwechs­lungs­reich mit viel Gemüse, Obst und wenig Fleisch ernährt und regel­mä­ßig Bewe­gung macht, braucht keine Zusätze“, erklärt der Experte. Die Vor­sor­ge­un­ter­su­chung könnte sei­ner Ansicht nach dazu genutzt wer­den, um auch die­sen Bereich abzu­fra­gen. „Dabei kön­nen bei­spiels­weise bis­her unent­deckte Vit­amin-Unter­ver­sor­gun­gen erfasst wer­den. Oft betrifft dies den Vit­amin DHaus­halt“, so Widhalm.

Risi­ko­grup­pen

Den­noch gibt es Per­so­nen­grup­pen, die ein erhöh­tes Risiko für ein Vit­amin-Defi­zit haben: etwa junge Men­schen, die sich ein­sei­tig ernäh­ren oder post­ope­ra­tiv, aber auch nach einer Che­mo­the­ra­pie oder nach der Gabe von Anti­bio­tika. „Auch alte Men­schen, die sich auf­grund der Beein­träch­ti­gung des Geschmacks und wegen eines geän­der­ten Appe­tit-Ver­hal­tens nicht mehr gemischt ernäh­ren, kön­nen gewisse Man­gel­er­schei­nun­gen auf­wei­sen“, macht Wid­halm auf­merk­sam. Was ist mit Leis­tungs­sport­lern? Diese müss­ten sich laut dem Exper­ten indi­vi­du­ell einer Ana­lyse unter­zie­hen. Vor einer „geziel­ten Sup­ple­men­tie­rung“ sollte jedoch in jedem Fall eine exakte Abklä­rung des Sta­tus quo erfol­gen. Die dazu erfor­der­li­chen spe­zi­el­len Kennt­nisse wer­den im Zuge des ÖÄK-Diploms Ernäh­rungs­me­di­zin vermittelt.

Der unter Kon­su­men­ten weit ver­brei­te­ten Mei­nung „scha­den wird es schon nicht“ und „bes­ser mehr als zu wenig“ setzt er ent­ge­gen: „Natür­lich sind auch Über­ver­sor­gun­gen mög­lich. Das sollte jedoch ver­mie­den wer­den. Ein­fach zur Sicher­heit irgend­wel­che Nah­rungs­er­gän­zungs­mit­tel regel­mä­ßig zu sich zu neh­men, ist weder sinn­voll noch ver­nünf­tig“, betont Widhalm.

Mar­kus Zsiv­ko­vits vom Insti­tut für Lebens­mit­tel­un­ter­su­chung der AGES (Öster­rei­chi­sche Agen­tur für Gesund­heit und Ernäh­rungs­si­cher­heit): „Die höchste zuläs­sige Auf­nah­me­menge an Vit­amin E aus Nah­rungs­er­gän­zungs­mit­teln liegt in Öster­reich bei 20mg/​Tag.“ Es nütze einem gesun­den Men­schen nicht, wenn er den 10.000-fachen Vit­amin-Tages­be­darf in einer Tablette zu sich nehme – die täg­li­che Auf­nahme des Vit­amins durch den Kör­per jedoch limi­tiert sei wie bei­spiels­weise bei Vit­amin B12. Die euro­päi­schen Vor­schrif­ten bezeich­net Zsiv­ko­vits als „sehr streng“ und ausreichend.

Keine Kon­trol­len vor Markteintritt

Chris­toph Baum­gär­tel von der Risiko-Koor­di­na­ti­ons­stelle der AGES, sieht den unge­hin­der­ten Weg der Pro­dukte in den Han­del und in die Apo­the­ken als poten­ti­el­les Pro­blem. „Anders als bei Arz­nei­mit­teln gibt es keine umfas­sen­den behörd­li­chen Kon­trol­len vor dem Markt­ein­tritt. Die Qua­li­tät sol­cher Pro­dukte beruht hier haupt­säch­lich auf Ver­trauen“, erklärte Baum­gär­tel. Der Kon­su­ment könne daher im Gegen­satz zu Arz­nei­mit­teln auch nicht sicher sein, ob das Pro­dukt die in der Wer­bung getä­tig­ten Ver­spre­chun­gen tat­säch­lich hält und wie gut die Qua­li­tät des Nah­rungs­er­gän­zungs­mit­tels tat­säch­lich ist. Baum­gär­tel tritt für ein klar ersicht­li­ches Logo, das Arz­nei­mit­tel kenn­zeich­net, ein; so könnte beson­ders für Pati­en­ten eine bes­ser ersicht­li­che Unter­schei­dung zu Nah­rungs­er­gän­zungs­mit­teln mög­lich sein.

In der öster­rei­chi­schen Defi­ni­tion für Nah­rungs­er­gän­zungs­mit­tel wer­den diese gene­rell als „Lebens­mit­tel“ bezeich­net. Laut AGES sind dies­be­züg­lich ledig­lich irre­füh­rende und krank­heits­be­zo­gene Anga­ben sowie Emp­feh­lun­gen zur Anwen­dung auf der Haut ver­bo­ten. Auch dürfe nicht der Ein­druck erweckt wer­den, dass dem Kör­per mit der täg­li­chen Nah­rungs­auf­nahme nicht aus­rei­chend Nähr­stoffe zuge­führt wür­den. Bei Nah­rungs­er­gän­zungs­mit­teln han­delt es sich in der Regel um Kon­zen­trate, bei denen ein maxi­ma­ler täg­li­cher Kon­sum ange­ge­ben wer­den muss. Wie von Sei­ten der AGES betont wird, darf im Zusam­men­hang mit Nah­rungs­er­gän­zungs­mit­teln nicht der Ein­druck erweckt wer­den, dass diese zur Hei­lung, Lin­de­rung oder gar Ver­hü­tung von Krank­hei­ten bei­tra­gen.
RS/​AM

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 22 /​25.11.2015