Mammographie: Screening reduziert Mortalität

10.05.2015 | Medizin

Wie kann es dazu kommen, dass der Nutzen einer möglichst frühzeitigen Diagnose mit nachfolgender Behandlung bei Brustkrebs in Frage gestellt wird? Und das, obwohl es ausreichend Evidenz gibt für signifikant niedrigere Mortalitätsraten bei früher Diagnose.
Von Oswald Graf und Willi Oberaigner*

Mit diesen und anderen grundsätzlichen Fragen rund um die Implementierung von Mammographie-Screening-Programmen befasste sich Prof. Laszlo Tabar von der Universität Uppsala (Schweden). Tabar – er ist international führender Experte auf dem Gebiet der Brustkrebsfrüherkennung – referierte auf Einladung der Österreichischen Röntgengesellschaft und der Bundesfachgruppe Radiologie in der ÖÄK (BURA) vor kurzem in Wien.

Brustkrebs ist in den meisten Fällen heilbar, wenn der Tumor auf das Organ beschränkt bleibt und es noch zu keiner Streuung in den Körper gekommen ist. Im Falle einer Metastasierung sinken die Überlebensraten beträchtlich. Auch modernste Chemotherapien können im metastasierten Stadium lediglich zu einer Lebensverlängerung führen; eine Heilung ist aber nicht mehr möglich. Da kleine und noch nicht metastasierte Karzinome meist noch nicht tastbar sind und nur mittels bildgebender Verfahren frühzeitig diagnostiziert werden können, kommt die Mammographie als Primärmethode zum Einsatz; im Bedarfsfall wird sie ergänzt durch eine Ultraschalluntersuchung.

Entscheidende Parameter in einem Screeningprogramm sind erstens das Lebensalter, ab dem die Untersuchungen periodisch durchgeführt werden sollen, und zweitens das Intervall zwischen den Screening-Runden. In Schweden beträgt das Screening-Intervall bei Frauen zwischen 40 und 54 Jahren zwölf bis 18 Monate, ab 55 Jahren 18 bis 24 Monate. Grundlage für diese Vorgangsweise ist die Erkenntnis, dass Brustkrebs bei prämenopausalen Frauen schneller wächst und aggressivere histologische Varianten aufweist als bei postmenopausalen Frauen.

In populationsbasierten Studien in Schweden wurde gezeigt, dass die frühe Entdeckung von Brustkrebs auch bei jüngeren Frauen eine signifikante Reduktion der Brustkrebsmortalität zur Folge hat. Damit wurde widerlegt, was von manchen Kritikern behauptet wird, nämlich dass die Früherkennung bei jüngeren Frauen nichts nützt. Diese neuesten Erkenntnisse werden allerdings in vielen Ländern noch nicht berücksichtigt.

Kritik an der Früherkennung

In Expertenkreisen gab es einigen Aufruhr, als Goetzsche und Olsen aus dem Cochrane-Institut in Kopenhagen (Dänemark) vor 15 Jahren erste Kritiken gegen sämtliche kontrollierte randomisierte Brustkrebstrials publizierten. Goetzsche hatte schon zuvor seine Ablehnung gegen ein Screening jeder Art geäußert. Der negative Einfluss des Cochrane-Instituts erfasste in den letzten Jahren nicht nur Österreich, sondern ganz Europa. Die Kritiker der Früherkennung des Brustkrebses kommen zum Schluss, dass beim Mammascreening-Programm die Schäden den Nutzen überwiegen. Die Kritiker geben allerdings zu, dass das Mammographie-Screening zu einer Senkung der Brustkrebs-Mortalität führt, auch wenn die konkrete Schätzung der Höhe der Reduktion niedriger ausfällt.

Eine Reihe von möglichen statistischen Verzerrungen (Biases) sind bei der Analyse der Pros und Contras zu berücksichtigen, die in randomisiertkontrollierten Studien überprüft werden können, darunter fallen beispielsweise:

  • Lead Time Bias: Die frühe Diagnose führt nur scheinbar zur Verlängerung des Überlebens; der Ausgang der Krankheit ist gleich, im Fall von Brustkrebs der Tod. In diesem Fall ist die frühe Diagnose sogar ein Nachteil für eine Frau, da sie längere Zeit von der Erkrankung Kenntnis hat.
  • Length Time Bias: Es werden bevorzugt langsam wachsende Tumorformen gefunden, die ohnehin eine bessere Prognose haben.

Schäden durch Screening?

Als mögliche Schäden des Mammographie-Screenings werden die Strahlenbelastung, falsch-positive Befunde, unnötige Biopsien und die Überdiagnose diskutiert. Die konkreten Schätzungen für diese Schäden sind methodisch äußerst komplex, teils hypothetischer Natur.

  • Strahlenbelastung: Strahlen-induzierter Brustkrebs müsste nach einer Latenzzeit von 15 Jahren in den Screeninggruppen im Vergleich zu den Kontrollgruppen gehäuft auftreten. Das ist in den randomisierten Studien nicht geschehen.
  • Falsch-positive Befunde: Im vergangenen Jahrzehnt wurden die psychologischen Auswirkungen der falsch-positiven Befunde intensiv untersucht. Der Großteil der betroffenen befragten Frauen schätzt die Auswirkungen als nicht bedeutend ein. Es muss klar sein, dass falsch-positive Befunde bei jeder Screening-Untersuchung unvermeidbar sind. Wesentlich ist es, die Anzahl der falsch-positiven Befunde möglichst klein zu halten.
  • Unnötige Biopsien: Ähnlich wie bei den falschpositiven Befunden muss auch hier betont werden, dass diese Situation bei einem Screening-Programm unvermeidlich ist und die Zahl beziehungsweise der Anteil möglichst gering gehalten werden muss.
  • Überdiagnose: Es werden „harmlose Krebsarten“ entdeckt, die für das Überleben der Frauen keine Bedrohung darstellen. Viele Studien sind zum Schluss gekommen, dass der Anteil der Überdiagnose vernachlässigbar sei.

Zusammenfassend kommen viele Forscher und auch Mitarbeiter von internationalen Gesundheitseinrichtungen zum Schluss, dass die angeführten „Schäden“ im Vergleich zum Nutzen als gering zu werten sind und das Mammographie-Screening deshalb empfohlen werden sollte. Anders könnte man auch formulieren, dass der größte Schaden für eine Frau darin liegt, wenn Brustkrebs nicht rechtzeitig erkannt wird.

Brustkrebsmortalität: Vergleich Österreich – Europa

Seit Mitte der 1990er Jahre sinkt in Österreich die Brustkrebsmortalität kontinuierlich. In Schweden, wo Früherkennungsprogramme in den 1970er und 1980er Jahren implementiert wurden, ist die Mortalität niedriger. Hier hat die Reduktion rund zehn bis 15 Jahre früher eingesetzt – ausgehend von einem annähernd gleichen Niveau.

In Österreich ist – im Vergleich zu anderen europäischen Staaten – die Mortalität geringer. Diese sinkt in den meisten europäischen Ländern wie zum Beispiel in Deutschland, den Niederlanden und Dänemark. Trotz der Unkenrufe gegen die Früherkennung im eigenen Land wurde auch in Dänemark ein Früherkennungsprogramm implementiert – was bereits nach den ersten Screening-Runden zur Reduktion der Mortalität führte. Das ist darauf zurückzuführen, dass eine entsprechende Therapie nur dann wirksam ist, wenn sie in einem frühen Stadium der Erkrankung einsetzt und die Früherkennung die Stadienverteilung eindeutig in Richtung früher und damit besser heilbare Stadien verschiebt.

Mammographie-Screening in Österreich

Bis zum Start des „Österreichischen Brustkrebs-Früherkennungsprogramms“ (BKFP) im Jänner 2014 haben in Österreich Allgemeinmediziner und Gynäkologen Frauen zur Mammographie zugewiesen. Seither werden Frauen zwischen 45 und 69 Jahren in einem Intervall von zwei Jahren zu einer Mammographieuntersuchung eingeladen. Frauen zwischen 40 und 44 Jahren sowie Frauen über 70 Jahre können in das Programm hineinoptieren. Im BKFP wurden zuweisende Ärzte als vermittelnde Instanz für die Früherkennung zunächst gänzlich ausgeschlossen. Diese Programmentscheidung wurde ab Juni 2014 mit der Freischaltung der ecard in der Zielgruppe etwas zurückgenommen und ist ab Mai 2015 durch eine ecard-Funktion, die es den Vertrauensärzten (Allgemeinmediziner, Gynäkologen, Internisten sowie Radiologen) ermöglicht, den aktuellen Anspruch der Frauen auf eine Brustkrebsfrüherkennung zu beurteilen, grundsätzlich weiter entschärft. Von „Zuweisung“ möchte die Programmleitung dennoch nicht sprechen.

Dennoch: Die ersten Ergebnisse aus dem Jahr 2014 sind ernüchternd und besorgniserregend. Weniger als 30 Prozent der eingeladenen Frauen beziehungsweise der Frauen der Zielgruppe sind tatsächlich zu einer Untersuchung erschienen; von der angestrebten Teilnahmerate von 70 Prozent ist man weit entfernt. Weniger als ein Prozent der Frauen, die zur Untersuchung gekommen sind, war zuvor noch nie bei einer Mammographie. Das Ziel, jene Frauen zu motivieren, die die Möglichkeit zur Früherkennung bisher noch nicht in Anspruch genommen haben, wurde verfehlt. Gleichzeitig sinken die Untersuchungsfrequenzen in ganz Österreich. So wurden im Jahr 2014 um rund 100.000 Untersuchungen weniger durchgeführt als im Jahr 2011, dem Vergleichsjahr, für das Zahlen aus dem Hauptverband vorliegen. (Anm.: Ein Vergleich zu 2012 und 2013 ist nicht möglich, da dem Hauptverband diese Zahlen noch nicht bekannt sind.) Ein Rückgang an den Untersuchungen zur Früherkennung ist damit gleichzusetzen, dass es in der näheren Zukunft zu einem Anstieg an fortgeschrittenen Karzinomen kommt. Bereits jetzt gibt es unübersehbare Hinweise dafür, dass die Anzahl der früh entdeckten Brustkrebsfälle in Österreich abnimmt.

Aus verschiedenen radiologischen Standorten wird berichtet, dass die Anzahl der diagnostizierten Brustkrebsfälle im Vergleich zu den Vorjahren abgenommen hat. Ebenso wird auch an manchen chirurgischen Abteilungen ein Rückgang bei Brustkrebsoperationen registriert. Setzt sich diese Entwicklung weiter fort, wäre Österreich das erste Land, in dem nach Einführung eines Screeningprogramms die Mortalität wieder ansteigt. Es gibt Anzeichen dafür, dass man sich dieser Problematik auf der Seite der politischen Entscheidungsträger und in der Programmleitung im Hauptverband bewusst wird.

Nun müssen geeignete Maßnahmen getroffen werden, mit denen die Teilnahmerate am Screening signifikant erhöht wird. Am aussichtsreichsten ist die aktive Wiedereinbindung von Allgemeinmedizinern und Gynäkologen als Zuweiser. Im Tiroler Pilotprojekt, das zwischen 2007 und 2013 durchgeführt wurde, haben in einem dualen System die Frauen einerseits eine Einladung zur Mammographie erhalten; andererseits wurden zuweisende Ärzte in den Prozess integriert. Bei einer Befragung im Rahmen des Mammographie-Screening-Programms in Tirol haben rund 90 Prozent der Teilnehmerinnen angegeben, dass die Empfehlung des Gynäkologen und/oder des Allgemeinmediziners ein wichtiger Grund für die Teilnahme war.

Ein richtiger Schritt wäre ein offenes Bekenntnis zu einem dualen System, das sowohl die lange gewohnte Praxis der Zuweisung zur Untersuchung als auch das Einladungssystem umfasst. Auch der Abbau noch bestehender Zugangsbarrieren für Opt-in-Gruppen ist zu erwägen, indem auch für diese Frauen eine automatische Freischaltung der ecard durch das Programm vorgenommen wird. Weiters wäre es notwendig, dass es bei den Programm-Verantwortlichen zu einem Umdenken kommt. Derzeit werden weniger die Vorteile der Teilnahme am Screening in den Vordergrund gestellt, sondern die möglichen Nachteile und Schäden einer Mammographie betont.

Letztendlich tragen die politischen Entscheidungsträger die Verantwortung dafür, in welche Richtung der Weg in Österreich geht. Brustkrebs ist die mit Abstand häufigste Tumorerkrankung bei der Frau (mehr als ein Viertel aller neuen Krebsfälle bei den Frauen); es handelt sich um eine Erkrankung, deren Verlauf strengen naturwissenschaftlichen Regeln folgt und rationales Handeln erfordert. Die wissenschaftlichen Grundlagen für die richtigen Maßnahmen liegen vor.

Literatur bei den Verfassern

*) Univ. Doz. Dr. Oswald Graf,
Facharzt für Radiologie,Österreichische Röntgengesellschaft/Arbeitsgruppe Mammadiagnostik;
Priv. Doz. Dr. Willi Oberaigner,
Leiter des Instituts für klinische Epidemiologie der TILAK

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 9 / 10.05.2015