Infek­tio­nen nach Gelenk­er­satz: Fak­tor Zeit entscheidend

10.11.2015 | Medizin

Jähr­lich wer­den rund 35.000 Gelenks­pro­the­sen in Öster­reich implan­tiert, davon 14.000 Knie- und 15.000 Hüft­pro­the­sen. Bei rund einem Pro­zent der Pro­the­sen, die nach zehn Jah­ren aus­ge­tauscht sind, war eine Infek­tion die Ursa­che. Für den wei­te­ren Ver­lauf ist vor allem die Zeit ein wich­ti­ger Fak­tor. Von Verena Isak

Infek­tio­nen nach Kniet­o­tal-Endo­pro­the­sen kom­men etwas häu­fi­ger vor als nach Hüft­to­tal-Endo­pro­the­sen. „Grund dafür ist neben der län­ge­ren Ope­ra­ti­ons­zeit die gerin­gere Weich­teil­de­ckung und die Art des Zugangs bei der Kniet­o­tal ‑Endo­pro­these“, erklärt Priv. Doz. Mathias Glehr von der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Ortho­pä­die und ortho­pä­di­sche Chir­ur­gie der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Graz. 

Rund sie­ben Pro­zent der Hüft­pro­the­sen sind nach zehn Jah­ren aus­ge­tauscht, 17 Pro­zent davon wegen Infek­tio­nen, also etwas weni­ger als ein Pro­zent. Bei Knie­pro­the­sen sind nach zehn Jah­ren rund sechs Pro­zent aus­ge­tauscht, davon 22 Pro­zent wegen Infek­tio­nen – also rund ein Pro­zent. Früh­in­fek­tio­nen – sie ereig­nen sich vier Wochen bis sechs Monate nach der Implan­ta­tion – pas­sie­ren vor allem intra­ope­ra­tiv ent­we­der durch die Luft­wege des OP-Teams oder über die Haut des Pati­en­ten, sagt Univ. Prof. Mar­tin Kris­mer von der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Ortho­pä­die der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Inns­bruck. Eine Kon­ta­mi­na­tion beim Ver­bands­wech­sel nach der Ope­ra­tion ist sehr unwahr­schein­lich, da keine offene Wund­si­tua­tion vorliegt.

Spät­in­fek­tio­nen: andere Ursachen

Bei Spät­in­fek­tio­nen hin­ge­gen sind meist andere, schwere Infek­tio­nen im Kör­per die Ursa­che wie etwa nach Extrak­tion eines beher­de­ten Zah­nes, bei einem Ery­si­pel der Haut, einem Harn­wegs­in­fekt oder einer beher­de­ten Herz­klappe. „Kommt es zu einer Bak­te­ri­ämie, kön­nen sich die Bak­te­rien an der Endo­pro­these fest­set­zen und so zu einer Infek­tion füh­ren“, erläu­tert Glehr. Daher ist eine sofor­tige hoch­do­sierte Anti­biose not­wen­dig, um so eine Über­tra­gung zu ver­mei­den. Bemerk­bar macht sich eine akute Infek­tion durch Schmer­zen, Rötung bezie­hungs­weise einen Erguss und All­ge­mein­sym­ptome wie Fie­ber oder Schüt­tel­frost. „Mög­li­che Dif­fe­ren­ti­al­dia­gno­sen sind Rei­zer­güsse und rheu­matho­lo­gi­sche Erkran­kun­gen sowie auch ober­fläch­li­che Infekte“, führt Glehr wei­ter aus. Neben der Kli­nik sind auch ein Anstieg der Ent­zün­dungs­pa­ra­me­ter, also CRP, BSG und Leu­ko­zy­ten, ein Hin­weis auf eine Infek­tion. Die end­gül­tige Dia­gnose erfolgt mit­tels Punk­tion des betrof­fe­nen Gelenks. „Stan­dard ist die Keim­de­tek­tion in einer bak­te­rio­lo­gi­schen Kul­tur, was aber zumeist min­des­tens zwei Tage dau­ert und daher bei Akut­fäl­len ein Pro­blem ist. Eine neuere Methode ist daher ein Schnell­test zur Keim­be­stim­mung“, erklärt Glehr. Auch Gram-Fär­bun­gen seien mög­lich, lie­fern den Aus­sa­gen von Glehr zufolge jedoch oft falsch posi­tive Ergeb­nisse. Bei chro­ni­schen Ent­zün­dun­gen tritt je nach Lage der Immun­ant­wort eine all­mäh­li­che Pro­the­sen­lo­cke­rung ein oder es kommt zur Fistelbildung.

Die häu­figs­ten Erre­ger von Infek­tio­nen sind Sta­phy­lo­kok­ken und Strep­to­kok­ken. „Bei Kon­ta­mi­na­tio­nen über die Haut des Pati­en­ten ist meist Sta­phy­lo­coc­cus epi­der­mi­dis der Erre­ger, bei Bak­te­ri­ämien fin­det sich oft Sta­phy­lo­coc­cus aureus“, sagt Kris­mer. Und wei­ter: „Zum Teil fin­den sich auch weni­ger patho­gene Keime bei Pro­the­sen wie Pro­pio­ni­bac­te­rium acnes. Dies führt zwar zu kei­ner Ent­zün­dung, aber zu einer Locke­rung der Prothese.“

Infek­ti­ons­rate steigend

Ins­ge­samt ist die Anzahl an Infek­tio­nen am Stei­gen, was vor allem mit resis­ten­te­ren Keim­spek­tren zusam­men­hängt. Zwar ist die Rate an mul­ti­re­sis­ten­ten Bak­te­rien wie zum Bei­spiel MRSA oder MRSE in Öster­reich nicht so hoch wie in süd­eu­ro­päi­schen Län­dern wie in Spa­nien oder Grie­chen­land – den­noch im Stei­gen. „In den meis­ten öster­rei­chi­schen Kran­ken­häu­sern fin­den sich Pati­en­ten, die Trä­ger sol­cher mul­ti­re­sis­ten­ten Keime aus Süd­eu­ropa sind“, sagt Kris­mer, der ein Umden­ken for­dert: „Pati­en­ten mit mul­ti­re­sis­ten­ten Kei­men müs­sen mehr iso­liert wer­den.“ Außer­dem führe der Ein­satz von Anti­bio­tika in der indus­tri­el­len Tier­hal­tung zur Ent­ste­hung von Resis­ten­zen. „Wenn ein gesun­der Mensch mit den Bak­te­rien der Tiere in Kon­takt kommt, kann er dadurch Trä­ger von mul­ti­re­sis­ten­ten Kei­men wer­den“, betont der Experte. Doch auch bei Men­schen wird die Indi­ka­tion zur Gabe von Anti­bio­tika oft zu groß­zü­gig gestellt: „Viel zu oft wer­den Anti­bio­tika ver­schrie­ben, die nicht not­wen­dig sind“, fügt Glehr hinzu.

Aus­schlag­ge­bend für die Behand­lung ist die Dauer der Infek­tion. „Bei Akut­in­fek­tio­nen kann bei unkom­pli­zier­ten Kei­men und immun­kom­pe­ten­ten Pati­en­ten ein Wech­sel aller mobi­len Pro­the­sen­teile unter Belas­sung der im Kno­chen ver­an­ker­ten Teile sowie eine Lavage und Nekrek­to­mie durch­ge­führt wer­den“, sagt Glehr. Durch die Ansie­de­lung der Bak­te­rien auf der Pro­these komme es zur Bil­dung eines Bio­films. In die­sem Zustand ver­mehr­ten sich die Bak­te­rien zwar nur sehr wenig, aber durch den Schleimman­tel rund­herum seien sie durch Anti­bio­tika „kaum angreif­bar“. Bei geschwäch­ter Abwehr kön­nen sich die Bak­te­rien dann sehr gut ver­meh­ren und zu Beschwer­den füh­ren. Dabei ist rasches Han­deln erfor­der­lich, denn „nach spä­tes­tens 15 Tagen ist der Bio­film nicht mehr ent­fern­bar, das Implan­tat muss aus­ge­tauscht wer­den“, sagt Krismer.

Je nach Weich­teil­si­tua­tion erfolgt der Implan­tat­wech­sel ent­we­der ein- oder zwei­zei­tig. Wäh­rend beim ein­zei­ti­gen Wech­sel sofort eine neue Pro­these implan­tiert wird, wird beim zwei­zei­ti­gen Wech­sel zuerst eine Platz­hal­ter­pro­these implan­tiert. Diese ist mit Zement umman­telt, setzt Anti­bio­tika frei und wird nicht stark mit dem Kno­chen ver­an­kert. „Bei Fis­teln oder Kno­chen­mark­sei­te­rung erfolgt die Implan­ta­tion der neuen Pro­these nach ein bis drei Mona­ten“, erklärt er.

Tre­ten also Sym­ptome einer mög­li­chen Infek­tion auf, „macht eine reine Anti­bio­tika-Ver­ab­rei­chung kei­nen Sinn, son­dern nur ein chir­ur­gi­scher Ein­griff“, stellt Glehr fest. Ein häu­fi­ger Feh­ler stelle die sofor­tige Gabe von Anti­bio­tika dar, wie Kris­mer betont. „Wenn eine Wunde ver­däch­tig aus­sieht, muss zuerst eine Gelenks­punk­tion im Kran­ken­haus erfol­gen, bevor mit der Anti­biose begon­nen wer­den kann, da sie ansons­ten nicht aus­sa­ge­kräf­tig ist.“ Dar­über hin­aus sei es wich­tig, die ers­ten 15 Tage nach Auf­tre­ten der Infek­tion zu nüt­zen, um so den Aus­tausch der im Kno­chen ver­an­ker­ten Teile der Pro­these zu vermeiden.

Um die intra­ope­ra­tive Über­tra­gung von Kei­men zu mini­mie­ren, wer­den in vie­len Kran­ken­häu­sern Lami­nar-air­flow-Sys­teme ein­ge­setzt, um Bak­te­rien zurück­zu­hal­ten. Außer­dem gibt es luft­dichte Schutz­an­züge, die die Kon­ta­mi­na­tion durch die Luft­wege des OP-Per­so­nals ver­hin­dert. „Bei Knie­en­do­pro­the­sen sind Schutz­an­züge in der Uni­ver­si­täts­kli­nik Graz Stan­dard, bei Hüft­ope­ra­tio­nen jedoch nicht“, sagt Glehr. Kris­mer ergänzt: „Es gibt auch Maß­nah­men, die jeder Chir­urg ein­zeln tref­fen kann. Dazu zählt das Des­in­fi­zie­ren der Hände, bevor die Maske aus der Schach­tel genom­men wird oder dass die Maske nur an den Rän­dern ange­grif­fen wird“, nennt er einige Bei­spiele. „Aus­rei­chen­des Spü­len wäh­rend der OP sowie eine gewe­be­scho­nende Vor­gangs­weise und glatte Wund­rän­der sen­ken eben­falls das Risiko einer Infek­tion.“ Ein wei­te­res wich­ti­ges Mit­tel, um die Infek­ti­ons­rate zu sen­ken, ist die peri­ope­ra­tive Anti­bio­ti­ka­pro­phy­laxe. „Am wich­tigs­ten sind hohe Spie­gel wäh­rend der Ope­ra­tion. Oft wer­den diese nicht erreicht, da das Anti­bio­ti­kum erst wäh­rend der Ope­ra­tion gege­ben wird, anstatt eine halbe bis eine Stunde vor dem Haut­schnitt“, weiß Kris­mer. „Nor­ma­ler­weise reicht eine Sin­gle-shot-The­ra­pie. Bei Risi­ko­pa­ti­en­ten, also zum Bei­spiel Typ 2‑Diabetikern oder immun­sup­p­ri­mier­ten Pati­en­ten hin­ge­gen, ist eine län­gere Anti­biose sinn­voll“, erklärt Glehr. Die Aus­wahl des Anti­bio­ti­kums sollte außer­dem an das Keim­spek­trum des jewei­li­gen Kran­ken­hau­ses ange­passt und in regel­mä­ßi­gen Abstän­den geän­dert wer­den, um die Bil­dung von Resis­ten­zen zu vermeiden.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 21 /​10.11.2015