E-Zigarette: Einstieg zu klassischen Zigaretten

25.06.2015 | Medizin

Rund 15 Prozent der Österreicher rauchen oder haben E-Zigaretten geraucht. Das Problem dabei: Nur wenigen gelingt mit Hilfe von E-Zigaretten die Entwöhnung von klassischen Zigaretten. Experten orten darin vielmehr eine Gefahr, dass E-Zigaretten speziell für Jugendliche als Einstiegsdrogen fungieren können. Noch dazu enthalten sie Karzinogene sowie nephro- und ototoxische Substanzen.
Von Verena Kimla

Das Prinzip der E-Zigarette ist einfach: Eine nikotinhaltige oder nikotinfreie Flüssigkeit, das „Liquid“, wird bei Kontakt mit einer Heizspindel zu einem Aerosol verdampft und anschließend vom Konsumenten inhaliert, was in diesem Fall als „vapen“ oder „dampfen“ bezeichnet wird. Häufig sind den Liquids auch Aromen zugesetzt.

Laut den US-amerikanischen CDC (Centers for Disease Control and Prevention) hat sich der Anteil der Raucher von E-Zigaretten unter High School-Studenten in den USA innerhalb eines Jahres fast verdreifacht. Gleichzeitig ist der Konsum herkömmlicher Zigaretten im gleichen Zeitraum gesunken, was den größten Rückgang innerhalb von mehr als zehn Jahren bedeutet. Ob hierzulande eine ähnliche Entwicklung absehbar ist, ist derzeit noch unklar. „Wir sind alle sehr von der Geschwindigkeit beeindruckt, mit der E-Zigaretten seit einigen Jahren wie eine Lawine über uns gekommen sind,“ sagt etwa Univ. Prof. Michael Kunze vom Zentrum für Public Health am Institut für Sozialmedizin der Medizinischen Universität Wien. Genaue Zahlen bezüglich des Anteils an E-Zigarettenrauchern gibt es noch nicht. „Es gibt ja sehr viele Anbieter und niemand hat einen genauen Überblick. Alles ist im Fluss.“

Gefahrenpotential

Ein vieldiskutierter Punkt im Zusammenhang mit E-Zigaretten ist die Einschätzung ihres Gefahrenpotentials. Laut dem Eurobarometer der Europäischen Kommission zum Tabakkonsum 2014 ist mehr als die Hälfte der Europäer der Meinung, dass E-Zigaretten gesundheitsschädlich sind. Allerdings glauben 42 Prozent der Österreicher, dass von diesem Produkt keine Gefahr ausgeht.

„Hier ist die Frage: Womit vergleichen wir? Wenn wir E-Zigaretten mit der üblichen Zigarette vergleichen, dann ist wahrscheinlich der Konsum von nikotinhaltigen E-Zigaretten weniger gesundheitsschädlich“, sagt Kunze, wobei er ausdrücklich betont, dass E-Zigaretten grundsätzlich dennoch schädlich sind. „Es wird kein Tabak verbrannt und dadurch entsteht weniger Kohlenmonoxid sowie weniger krebserzeugende Stoffe im Vergleich zu Zigaretten“, erklärt der Experte weiter. Aktuell konnte in Studien nachgewiesen werden, dass Nikotin zu Mutationen in exponierten Zellen führt und die Vermehrung von Karzinomzellen fördert. Aus den in den Liquids enthaltenen Lösungsmitteln Glycerin, Propylenglykol und Ethylenglykol entstehen bei deren Pyrolyse Acrolein und Formaldehyd, die beide karzinogen wirken, die nephro- und neurotoxische Oxalsäure sowie karzinogene Feinstoffpartikel.

Ähnlich beurteilt Priv. Doz. Hanns Moshammer vom Institut für Umwelthygiene der Medizinischen Universität Wien die Situation: „Die Emissionen der E-Zigarette sind deutlich weniger schädlich als die herkömmlicher Zigaretten. Sie ist natürlich nicht emissionsfrei. Beispielsweise lassen sich Glykol und Nikotin in der Luft nachweisen. Bei falschem Betrieb können schädliche Pyrolyseprodukte entstehen.“ Problematisch sei, dass E-Zigaretten als Einstiegsdroge fungieren können, da sie in ihrer Aufmachung und durch den Zusatz von Aromen Jugendliche ansprechen und damit auch das Rauchen klassischer Zigaretten wieder „normalisiert“ wird – was der Experte als das Hauptproblem ansieht.

Entwöhnung durch E-Zigaretten

Laut Eurobarometer rauchen oder haben 15 Prozent der Österreicher E-Zigaretten geraucht, um sich vom Konsum von klassischen Zigaretten zu entwöhnen. Nur einem kleinen Prozentsatz ist dies auch tatsächlich gelungen, und beinahe die Hälfte konnte dadurch den Zigarettenkonsum gar nicht reduzieren. Zu einem ähnlichen Schluss kam bereits eine Ende 2013 im „The Lancet“ veröffentlichte Studie. Dabei wurde festgestellt, dass E-Zigaretten nur moderat effektiv zur Raucherentwöhnung geeignet sind, und zwar in einem ähnlichen Ausmaß wie Nikotinpflaster.

Dem stimmt Moshammer zu: „Die meisten Konsumenten dampfen E-Zigaretten, weil sie süchtig nach Nikotin sind.“ Da auch das Handling sehr dem klassischen Rauchen ähnelt, werde die psychische Komponente, also die ‚Behavior-Komponente‘ des Suchtverhaltens, befriedigt. „Ich glaube daher nicht, dass man durch E-Zigaretten vom Tabak wegkommt“, so die Überzeugung von Moshammer. E-Zigaretten seien demnach nur eine „weniger schädliche Alternative“. Andere Nikotinersatzmittel unterstützten die Entwöhnung auch, weil der Gebrauch von Nikotinpflastern oder Nikotinsprays zur Raucherentwöhnung in einem weniger sozialen Kontext erfolgt. „Im Gegensatz zu diesen Entwöhnungsmitteln würde ich die E-Zigarette als Ersatzdroge charakterisieren“, so das Resümee des Experten.

Kunze sieht einen möglichen Nutzen von E-Zigaretten vor allem für starke Raucher: „Für eine kleine Gruppe hochabhängiger Raucher, die vom Nikotin einfach nicht wegkommen, sind E-Zigaretten ein gewisser Fortschritt und besser als Zigarettenkonsum. Wir haben eine ärztliche Verpflichtung, abhängigen Menschen zu helfen. Bei Alkohol, Heroin, Amphetamin und so weiter macht man das ja auch.“ Ob der Konsum von E-Zigaretten nur eine Suchtverlagerung darstellt, könne nach Ansicht von Kunze derzeit noch nicht beurteilt werden. „Das kann man nur beobachten und dann gegensteuern.“

Gesetzesänderungen

Noch müssen die Inhaltsstoffe der Liquids nicht deklariert sein. Mit der EURichtlinie 2014/40/EU zu Tabakerzeugnissen wird es diesbezüglich aber zu einigen Änderungen kommen (siehe Kasten). Problematisch an der neuen Richtlinie ist jedoch, dass sie nur für nikotinhaltige, nicht jedoch für nikotinfreie E-Zigaretten gilt. Allerdings werden auch auf nationaler Ebene durch die Novellierung des Tabakgesetzes unter anderem E-Zigaretten den Tabakwaren gleichgestellt werden, wodurch ab Oktober 2015 auch nikotinfreie Produkte dem Verkauf in Trafiken vorbehalten bleiben. „Ob durch das neue Regelwerk die Produkte, die nicht zugelassen werden, vom Markt verschwinden, kann man nicht sagen. Verbieten kann man E-Zigaretten nicht mehr, da sie ja bereits auf dem Markt sind“, gibt Kunze zu bedenken. Die derzeit im Umlauf befindlichen Produkte seien „ohne Regelungen“ auf den Markt gekommen. „Eine unfassbare Situation“, urteilt Kunze.

Strategien zur Einschränkung

Ob ein generelles Verbot von E-Zigaretten sinnvoll oder überhaupt realisierbar ist, bezweifelt Kunze. „Es gibt momentan eine Diskussion zwischen den Fundamentalisten, die diese Produkte grundsätzlich verbieten wollen und den Realisten, zu denen ich mich zähle. Verbieten kann man alles, aber wie wäre ein Verbot tatsächlich durchführbar und wer würde ein solches Verbot verfolgen?“

Das Gesundheitsministerium hat Ende Mai 2015 eine Initiative gegen das Rauchen gestartet. Mit dem Slogan „Leb dein Leben. Ohne Rauch. YOLO!“ soll Kindern und Jugendlichen im Alter von 10 bis 14 Jahren vermittelt werden, dass sie nur eine Gesundheit und einen Körper haben und daher entsprechend wertschätzend damit umgehen sollten. Das Akronym „YOLO“ wurde im Jahr 2012 zum Jugendwort des Jahres gewählt und steht für „you only live once“. Kunze befürwortet die Kampagne: „Man muss junge Leute immer wieder auf die Gefahren des Rauchens aufmerksam machen und aufklären.“ Aufklärung allein ist allerdings nicht genug, denn „die allerwichtigste und entscheidendste Maßnahme ist die Preispolitik. Erhöht man die Preise für Tabakwaren, so sinkt vor allem unter den jungen Menschen der Konsum. Das war schon in den 1980er Jahren zu beobachten.“

Bei einer ausschließlichen Erhöhung der Preise von E-Zigaretten, würden Jugendliche vermehrt zu klassischen Zigaretten greifen, befürchtet Moshammer. „Die Jugendlichen beginnen mit E-Zigaretten, weil häufig von der Unbedenklichkeit gesprochen wird. Dann sind sie süchtig und suchen sich ein billigeres Produkt, das noch gefährlicher ist – also die klassische Zigarette.“ Er ist der Überzeugung, dass sowohl der Verkauf von Zigaretten als auch von E-Zigaretten an Jugendliche verboten werden müsste. Dass klassische Zigaretten in Zukunft durch E-Zigaretten verdrängt werden, erwartet Moshammer zunächst nicht. Jedoch: „Wenn der Konsum der klassischen Zigarette stärker eingeschränkt und auch strenger kontrolliert wird, die E-Zigarette jedoch nicht verboten wird, dann kann sich das natürlich ändern.“

Als Alternative für Raucher, die gelegentlich auf E-Zigaretten ausweichen, seien EZigaretten durchaus denkbar. Moshammer dazu: „Das halte ich für nicht ganz unsinnig. Da bin ich grundsätzlich tolerant.“ Und dennoch sieht er das Problem, dass „die Denormalisierung des Rauchens für Jugendliche dadurch konterkariert wird“.

EU und Tabakerzeugnisse

Die EU-Richtlinie 2014/40/EU zu Tabakerzeugnissen muss spätestens im Mai 2016 durch die Mitgliedsstaaten in geltendes Recht umgesetzt werden. Folgende Maßnahmen werden darin genannt:

  • Höchstwerte für Nikotinkonzentration und Fassungsvermögen der Kartuschen;
  • Gesundheitswarnungen, Verwendungshinweise auf den Verpackungen;
  • Verpflichtender Hinweis auf Suchtpotential und Toxizität;
  • Verbot von Werbebotschaften auf Verpackungen;
  • Deklaration der Liquids bezüglich Inhaltsstoffen und Nikotingehalt;
  • Hersteller müssen Mitgliedstaaten vor Inverkehrbringen neuer Produkte informieren – inklusive Angabe zu Inhaltsstoffen, Emissionen und Nikotindosis.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 12 / 25.06.2015