Adi­po­kine: Die neuen Biomarker?

10.04.2015 | Medizin

Bei adi­pö­sen Men­schen ist das Adi­po­kin­mus­ter im Fett­ge­webe hin zu pro­in­flamm­a­to­ri­schen Media­to­ren ver­scho­ben. Die Folge sind chro­ni­sche sys­te­mi­sche Ent­zün­dungs­re­ak­tio­nen – beson­ders im vis­ze­ra­len Fett­ge­webe. Jedoch lässt die Mes­sung ein­zel­ner Adi­po­kine der­zeit auf­grund der Kom­ple­xi­tät des Sys­tems kaum Aus­sa­gen zu.
Von Ema­nuel Munkhambwa

Unter den Adi­po­ki­nen gibt es eine Reihe an ‚good guys’ – allen voran das Adi­po­nek­tin – aber auch eine Viel­zahl an ‚bad guys’. Bei über­ge­wich­ti­gen und adi­pö­sen Pati­en­ten ist das sen­si­ble Adi­po­kin­mus­ter im Fett­ge­webe hin zu pro­in­flamm­a­to­ri­schen Media­to­ren ver­scho­ben“, erklärt Univ. Prof. Tho­mas Stul­nig von der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Innere Medi­zin III am AKH Wien. Nach­ge­wie­sen wur­den erhöhte sys­te­mi­sche Kon­zen­tra­tio­nen von zahl­rei­chen Adi­po­ki­nen wie Tumor-Nekrose-Fak­tor alpha (TNF- ) und Inter­leu­kin 6 (IL‑6). In der Folge kommt es zu einer chro­ni­schen sys­te­mi­schen Ent­zün­dungs­re­ak­tion, die beson­ders im vis­ze­ra­len und auch im zen­tra­len Fett­ge­webe statt­fin­det und sich in erhöh­tem hoch­sen­si­ti­vem C‑reaktivem Pro­tein (hsCRP) widerspiegelt.

Damit sind Adi­po­kine an der Patho­ge­nese einer Reihe von Adi­po­si­tas-asso­zi­ier­ten Fol­ge­er­kran­kun­gen wie Insu­lin­re­sis­tenz, Typ 2‑Diabetes, meta­bo­li­sches Syn­drom sowie kar­dio­vas­ku­läre Erkran­kun­gen betei­ligt. „Das mensch­li­che Fett­ge­webe wurde bis in die 1990er Jahre maß­los unter­schätzt“, ergänzt Univ. Prof. Harald Mangge vom Kli­ni­schen Insti­tut für Medi­zi­ni­sche und Che­mi­sche Labor­dia­gnos­tik an der Med­Uni Graz. Das Fett­ge­webe dient nicht nur als Ener­gie­spei­cher, son­dern ist viel­mehr ein akti­ves endo­kri­nes Organ, das eine Viel­zahl an pro- und anti­in­flamm­a­to­ri­schen Adi­po­ki­nen produziert.

Diese regu­lie­ren unter ande­rem den Lipid- und Glu­ko­se­stoff­wech­sel, Hämo­dy­na­mik, Hämo­stase, zen­tral­ner­vöse Pro­zesse wie Appe­tit oder das Immun­sys­tem. „Es gibt also eine Achse zwi­schen den Fett­ge­webs­zel­len, dem Immun­sys­tem, dem Gehirn und dem Gas­tro­in­testi­nal­trakt sowie fast allen endo­kri­nen Feed­back­sys­te­men, wel­che letzt­end­lich die Stoff­wech­sel­funk­tio­nen regu­lie­ren“, so Mangge. Bis heute ist das Sekre­tom der Adi­po­zy­ten noch nicht voll­stän­dig auf­ge­klärt. Zu den bereits län­ger bekann­ten Adi­po­ki­nen zäh­len unter ande­rem Adi­po­nek­tin, Lep­tin, IL‑6, TNF‑α und Resis­tin. Stul­nig dazu: „Lau­fend wer­den neue Adi­po­kine ent­deckt, deren patho­phy­sio­lo­gi­sche Bedeu­tung Gegen­stand auch unse­rer For­schung sind.“ Dazu zäh­len bei­spiels­weise Osteo­pon­tin, Che­me­rin, Omen­tin, Vis­fa­tin, Lipocalin‑2 (LCN2), Adipsin, Plas­mi­no­gen-Akti­va­tor-Inhi­bi­tor (PAI)-1, Vaspin, Ape­lin und Mono­cyte Che­moat­trac­tant Protein‑1 (MCP‑1). Mangge ergänzt: „Wir befin­den uns in einer eupho­ri­schen Phase. Ent­täu­schend ist jedoch, dass man die Ein­zel­funk­tio­nen der Adi­po­kine im kom­ple­xen Gesamt­netz­werk rela­ti­vie­rend sehen muss.“

Lep­tin war das erste Adi­po­kin, das ent­deckt wurde. „Es ist unter ande­rem für die Regu­la­tion der hedo­nis­ti­schen Triebe wie Hun­ger und Sät­ti­gung und damit für die Ener­gie­ba­lance sowie das Kör­per­ge­wicht zustän­dig“, so Mangge. Bei der Mehr­zahl der adi­pö­sen Pati­en­ten lie­gen erhöhte Serum-Lep­tin­spie­gel vor, beglei­tet von einer selek­ti­ven Lep­tin-Resis­tenz. Das führt zu einer Hoch­re­gu­la­tion von pro­in­flamm­a­to­ri­schen Zyto­ki­nen wie TNF‑α und IL‑6, wel­che beide mit Insu­lin­re­sis­tenz und Typ 2‑Diabetes in Zusam­men­hang ste­hen. Nach­ge­wie­sen ist wei­ters, dass Lep­tin zu erhöh­tem Blut­druck bei­trägt und dar­über hin­aus nach­tei­lige Effekte auf das kar­dio­vas­ku­läre Sys­tem aus­übt. So begüns­tigt das Pro­teo­hor­mon das Risiko der Ent­wick­lung einer Athero­skle­rose, von ent­zünd­li­chen und throm­bo­ti­schen Pro­zes­sen, einer Hyper­tro­phie der Kar­dio­myo­zy­ten sowie das Risiko eines Remo­del­lings der extra­zel­lu­lä­ren Matrix des Myokards. 

Adi­po­nek­tin hin­ge­gen zählt zu den anti­ent­zünd­li­chen Adi­po­ki­nen. Es ver­bes­sert die Insu­lin­sen­si­ti­vi­tät und schützt als endo­thel­pro­tek­ti­ver Fak­tor vor Athero­skle­rose. Geringe Plas­ma­spie­gel sind daher Prä­dik­to­ren für das kar­dio­vas­ku­läre Out­come in der All­ge­mein­be­völ­ke­rung und bei Dia­be­ti­kern. Sie kor­re­lie­ren auch mit dem Risiko der Ent­wick­lung eines Typ-2-Dia­be­tes. Außer­dem kann der Adi­po­nek­tin-Plas­ma­spie­gel mit der endo­the­lia­len Dys­funk­tion, der Pro­gres­sion der links­ven­tri­ku­lä­ren Hyper­tro­phie sowie der arte­ri­el­len Gefäß­stei­fig­keit bei Hyper­to­nie asso­zi­iert werden.

Was aber bedeu­ten diese Zusam­men­hänge für die dia­gnos­ti­sche Pra­xis? Dazu Stul­nig: „Stu­dien zei­gen man­nig­fach, dass es sehr gute, von bekann­ten Risi­ko­fak­to­ren unab­hän­gige Asso­zia­tio­nen zwi­schen sys­te­mi­schen Ent­zün­dungs­zei­chen und der Ent­wick­lung von Typ-2-Dia­be­tes bezie­hungs­weise von kar­dio­vas­ku­lä­ren Erkran­kun­gen gibt. Adi­po­kine – ins­be­son­dere Zyto­kine – kann man in Model­len sehr wert­voll als zusätz­li­che Risi­ko­mar­ker ver­wen­den, um die Vor­aus­sa­ge­kraft zu ver­bes­sern.“ Aller­dings sei es nach wie vor so, dass die meis­ten Adi­po­kine keine eta­blier­ten Bio­mar­ker sind. Es gibt Bemü­hun­gen, Adi­po­nek­tin als Risi­ko­mar­ker zu nut­zen; jedoch ist die Stan­dar­di­sie­rung auf Grund der gro­ßen inter­per­so­nel­len Varia­bi­li­tät nicht ein­fach. Mangge stimmt über­ein: „Die Mes­sung ein­zel­ner Adi­po­kine lässt auf Grund der Kom­ple­xi­tät des Sys­tems kaum Aus­sa­gen zu. Eine Bestim­mung wäre zum jet­zi­gen Zeit­punkt öko­no­misch bedenk­lich.“ Als wesent­lich vor­teil­haf­ter sieht Stul­nig wie­derum die Mes­sung des CRP als inte­gra­ti­ver Mar­ker: „In den USA gibt es dafür bereits eine ganz klare Empfehlung.“

Die the­ra­peu­ti­sche Gabe oder direkte Hem­mung von Adi­po­ki­nen erwies sich in den meis­ten Fäl­len bis­lang tech­nisch oder prak­tisch nicht vor­teil­haft. Die Gabe von Lep­tin ist beson­de­ren Indi­ka­tio­nen vor­be­hal­ten. Die Neu­tra­li­sie­rung von Adi­po­ki­nen zum Bei­spiel durch Anti­kör­per bezie­hungs­weise Ant­ago­nis­ten von IL-1β oder TNF‑α zeig­ten viel­ver­spre­chende Wir­kun­gen bei Typ-2-Dia­be­tes, sind aber noch nicht in die­ser Indi­ka­tion zuge­las­sen. Wei­tere Adi­po­kine wer­den von Stul­nig im Labor hin­sicht­lich ihres anti­dia­be­ti­schen Poten­ti­als getes­tet. Im Fall von Adi­po­nek­tin lau­fen der­zeit Stu­dien mit ent­spre­chen­den Sen­si­ti­zern. „Bei Adi­pö­sen ist die ganze Topo­lo­gie des Fett­ge­we­bes ver­än­dert. Gleich­zei­tig liegt eine Ent­zün­dung zwi­schen den Fett­zel­len vor. Mit ein­fa­chen medi­ka­men­tö­sen Mit­teln lässt sich die­ser Zustand nur schwer beein­flus­sen. Hier muss man am Hirn und den genann­ten hedo­nis­ti­schen Trie­ben anset­zen“, erklärt Mangge.

Beide Exper­ten sind sich darin einig, dass die Lebens­stil­mo­di­fi­ka­tion das Um und Auf in der Prä­ven­tion und Behand­lung von Adi­po­si­tas-asso­zi­ier­ten Erkran­kun­gen sind. Unbe­strit­ten ist, dass sich eine kon­trol­lierte Gewichts­ab­nahme posi­tiv auf meta­bo­li­sche Stö­run­gen aus­wir­ken kann. Das gilt ins­be­son­dere für Kin­der, wie eine gemein­same, kürz­lich publi­zierte Stu­die der bei­den Exper­ten ver­deut­licht. Dem­nach unter­schei­den sich kind­li­che sub­tile Risi­ko­pro­file ganz erheb­lich von jenen von älte­ren Men­schen. Mangge wei­ter: „Vor allem die Ent­zün­dung und das Adi­po­kin­pro­fil sind bei Kin­dern und Jugend­li­chen anders gear­tet als bei Erwach­se­nen. In den ers­ten Lebens­de­ka­den kann man mit dem Lebens­stil also viel im noch fle­xi­blen juve­ni­len Sys­tem beeinflussen.“

Salz­kon­sum ansprechen

Auch die Reduk­tion des Salz­kon­sums ( 5 g) sollte Teil jedes Arzt-Pati­en­ten­ge­sprächs sein – bebe­son­ders bei Hyper­to­ni­kern. „Inter­es­sant ist auch, dass die Auf­nahme von lang­ket­ti­gen Omega-3-Fett­säu­ren die Expres­sion des Adi­po­nek­tin ver­bes­sern kann. In einer unse­rer Stu­dien konn­ten wir zei­gen, dass damit die Ent­zün­dung im Fett­ge­webe deut­lich zurück­geht“, ergänzt Stul­nig. Das zuneh­mende Wis­sen um die Adi­po­kine eröff­net den indi­rek­ten Weg der Ein­fluss­nahme über phar­ma­ko­lo­gi­sche Stra­te­gien. So kön­nen die anti­ent­zünd­lich wir­ken­den Sta­tine sowie Arz­nei­mit­tel, die in RAAS ein­grei­fen (ACE-Hem­mer und AT-Blo­cker), das Adi­po­kin-Pro­fil und teils auch die Insu­lin­sen­si­ti­vi­tät ver­bes­sern. Dar­über hin­aus kön­nen Mine­ralo­kor­ti­koid-Rezep­tor­ant­ago­nis­ten Adi­po­si­tas­as­so­zi­ierte Ver­än­de­run­gen umkeh­ren, indem die Expres­sion von Adi­po­nek­tin ver­bes­sert und jene von pro­in­flamm­a­to­ri­schen Fak­to­ren redu­ziert wird. Bei Typ-2-Dia­be­ti­kern erhöht die Klasse der Gli­ta­zone die Adi­po­nek­tin-Sekre­tion – sowohl bei dia­be­ti­schen als auch bei nor­ma­len insu­lin­sen­si­ti­ven Pati­en­ten. „Ins­ge­samt sind viele Facet­ten die­ser Arz­nei­mit­tel posi­tiv, aber es müs­sen die mög­li­chen Neben­wir­kun­gen mit dem Nut­zen abge­wo­gen wer­den. Dar­über hin­aus muss man sich bewusst sein, dass man den Gesamt­ap­pa­rat nicht kau­sal beein­flus­sen kann. Unser gro­ßes Ziel ist es daher, Omics-Pro­file mit­tels Bio­in­for­ma­tik zu erstel­len, um ein­zelne Per­so­nen Grup­pen zuord­nen zu kön­nen, sodass eine spe­zi­fisch nach­hal­tige medi­ka­men­töse The­ra­pie zum Ein­satz kom­men kann“, blickt Mangge in die Zukunft. © Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 7 /​10.04.2015