Arzt an Bord: Auf sich gestellt

15.08.2014 | Spektrum

Dass der Alltag eines Schiffsarztes in Wirklichkeit anders ist als oft vermittelt wird, weiß der 40-jährige Jürgen Preimesberger. Notfälle wie ein Herzinfarkt oder eine Fraktur zählen an Bord zum medizinischen Alltag. Das Besondere dabei: Als Schiffsarzt ist man im Gegensatz zur Tätigkeit auf festem Boden meist auf sich allein gestellt.

Mindestens sechs Jahre Erfahrung in Klinik sowie in Notfallmedizin sind notwendig, um überhaupt in das Auswahlverfahren für einen Schiffsarzt zu kommen. Große Reedereien beschäftigen dafür ehemals als Fachärzte tätige Mediziner. Das eigentliche Auswahlverfahren beginnt mit einem Interview via Skype. Besteht man diese Runde, muss eine Prüfung über Gesetzmäßigkeiten und Verordnungen auf Schiffen absolviert werden. Dann muss erst noch ein fiktiver, medizinischer Fall gelöst werden, bevor ein Kandidat zu einem persönlichen Vorstellungsgespräch eingeladen wird. Daneben sind auch hervorragende Englischkenntnisse wichtig, da die Passagiere – und somit potentiellen Patienten – aus den verschiedensten Ländern stammen. Und diese Internationalität findet sich auch im Team wieder, wie er erzählt: „Ein Anästhesist aus Russland und auch Ärzte aus Kolumbien und Südafrika sind meine Kollegen.“

Großer Andrang

Preimesberger selbst befand sich gerade in der Facharztausbildung, als er die Zusage bekam – und hatte genau zwei Tage Zeit, um sich zu entscheiden. Immerhin: In seinem Auswahlverfahren musste er sich gegen Hunderte andere Kandidaten durchsetzen. Hatte er ursprünglich seine Tätigkeit als Schiffsarzt bei einer US-amerikanischen Reederei begonnen, ist er nun bei einer norwegischen angestellt.

Die Frage, was er als Schiffsarzt konkret macht, beantwortet Preimesberger folgendermaßen: „Das Leben als Schiffsarzt kann man mit dem eines praktischen Arztes nicht vergleichen, denn große medizinische Herausforderungen muss man an Land zumeist nicht alleine bewältigen.“ Da der Großteil der Teilnehmer an Kreuzfahrten über 75 Jahre alt ist, stehen Notfälle an der Tagesordnung. Herzinfarkte, Lungenentzündungen und Lungenödeme sowie Knochenfrakturen sind für Preimesberger „medizinischer Alltag“. Auch ein Dialysebett steht an Bord zur Verfügung, auf US-amerikanischen Schiffen sogar eine Röntgeneinheit. Einzig größere chirurgische Eingriffe können nicht im Schiffsspital durchgeführt werden. Preimesberger wurde auch mit Situationen konfrontiert, die nicht alltäglich sind: So musste er etwa einen Elefantenbiss behandeln, Décollement an verschiedenen Gliedmaßen, aber auch die Lepra eines Angestellten.

„Man wird in keiner Sparte an Land so viel lernen wie am Schiff“, sagt er. Man könne niemanden fragen und auch nicht „unberechtigt den Hubschrauber rufen, um Patienten auszufliegen“. Auch wenn es solche Situationen schon gegeben hätte. „Solche Fälle muss man rechtfertigen können und riskiert – wenn der Einsatz nicht gerechtfertigt war – sogar den Job.“ Bei einer Hirnblutung sowie einem septischen Schock habe es jedoch „keinen anderen Ausweg gegeben“, wie Preimesberger berichtet. Die medizinische Verantwortung für bis zu 5.500 Passagiere trägt der diensthabende Schiffsarzt allein.

Infektion mit Noro-Viren

Im Jänner dieses Jahres war Preimesberger an Bord jenes Schiffes, an dem eine Infektion mit Noro-Viren ausgebrochen war. Von den mehr als 3.000 Passagieren und Crew-Mitgliedern erkrankten 160 Personen. Die Betroffenen mussten in ihrer Kabine ausharren und durften diese frühestens zwei Tage nach dem Abklingen der Symptome wieder verlassen. Während dieser Zeit gibt es telefonischen Kontakt mit den Erkrankten.

Zurzeit ist Preimesberger als einziger Arzt an Bord. Die ÖÄZ erreicht den Schiffsarzt auf dem Weg nach Madeira mit Kurs auf Großbritannien, die norwegischen Fjorde und entlang der Atlantikküste über Frankreich nach Spanien. Zehn Wochen lang ist er rund um die Uhr für die Gesundheit von 2.000 Menschen zuständig. „Freizeit bleibt hier keine“, sagt Preimesberger. Nach zehn Wochen auf See folgen acht Wochen Urlaub – er verbringt sie meist in Österreich. „In den ersten beiden Wochen ist man sehr aufgekratzt, was die Umstellung extrem anstrengend macht und einen auch an seine persönlichen Grenzen bringen kann.“ Aber es gibt auch andere Arbeitsmodelle: Zuvor auf einem US-amerikanischen Schiff waren zwei Ärzte an Bord. Dementsprechend war auch der Schichtdienst: Auf 24 Stunden Dienst folgten 24 Stunden Freizeit für insgesamt vier Monate. Danach gab es wieder acht Wochen Urlaub. Doch auch an den freien Tagen muss ein Schiffsarzt erreichbar sein und darf maximal vier bis fünf Stunden von Bord gehen. „Viel von der Welt sieht man bei diesem Beruf nicht“, betont Preimesberger.

Mitglied im Travelers‘ Century Club

Trotzdem ist er schon weit herum gekommen: Davon zeugt seine Aufnahme in den Travelers‘ Century Club. Um dort aufgenommen zu werden, muss man nachweisen, mindestens 100 Staaten besucht zu haben. Bei Preimesberger sind es gleich mehr als 150 Staaten, die sich hier zu Buche schlagen. Er ist damit einer von derzeit fünf Österreichern – rund 1.900 Personen sind es weltweit -, die in den exklusiven Club aufgenommen wurden.

Wenn er sich zu Hause in Österreich auf seinen nächsten Einsatz vorbereitet, liest er sehr viel. „Um den vielfältigen Aufgabenbereich bewältigen zu können, muss man sich laufend weiterbilden“, betont er. Später einmal würde er gern mit einer Facharzt-Ausbildung beginnen – vorzugsweise in Innerer Medizin – denn „einen solchen Beruf kann man nicht bis zur Pensionierung ausüben“. VE/AM

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 15-16 / 15.08.2014