Ärzte ohne Grenzen: Weltweit im Einsatz

10.10.2014 | Spektrum

Frustiert von den begrenzten Möglichkeiten, im Bürgerkrieg in Biafra zu helfen, gründete eine Gruppe von jungen Ärzten 1971 die Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“. Heute ist es eine der weltweit größten medizinischen Hilfsorganisationen: Rund 30.000 Mitarbeiter sind in mehr als 70 Ländern auf der ganzen Welt aktiv.
Von Alexandra Schlömmer

Man sehe in den Einsatzgebieten, in denen Mitarbeiter von „Ärzte ohne Grenzen“ tätig sind, viele Krankheitsfälle, die man bei uns nicht antreffe, erklärt der niederösterreichische Chirurg Heribert Matzinger. „Weil der Zugang zur Medizin so schlecht ist und die Leute wahnsinnig spät ins Spital kommen. Das ist schwer vorstellbar für einen Österreicher, der sozialversichert ist und jederzeit zum Arzt oder in ein Krankenhaus gehen kann.“ Matzinger ist als Arzt weit herumgekommen: Für „Ärzte ohne Grenzen“ hat er in Krisenregionen in Liberia, Tschad, Haiti oder in der Zentralafrikanischen Republik Menschen unter extremen Umständen medizinische Basisversorgung ermöglicht.

„Ärzte ohne Grenzen“ leistet Nothilfe in den Ländern, wo die Gesundheitsstrukturen zusammengebrochen sind oder Bevölkerungsgruppen unzureichend versorgt werden. Die Gründe dafür können Kriege, Flucht und Vertreibung genauso wie Hungersnöte, Naturkatastrophen oder Epidemien sein. Doch nicht alle Einsatzorte sind aus den Medien bekannt. Eine der wichtigsten Aufgaben von „Ärzte ohne Grenzen“ sei es, auch dort zu helfen, wo keine Fernsehkameras laufen. Dazu Reinhard Dörflinger, ehrenamtlicher Vorstandspräsident von „Ärzte ohne Grenzen“ Österreich: „Wir sind weltweit aktiv. Dabei handelt es sich sowohl um kurzfristige Einsätze wie etwa Impfkampagnen als auch um langfristige Projekte wie etwa den Aufbau eines HIV/Aids-Programms.“

Je nach Land werden die Bedürfnisse erhoben: „Beim Kriegseinsatz in Libyen oder Syrien mussten wir vor allem die Versorgung für chronische Kranke sicherstellen. In diesen Ländern hat das Gesundheitswesen europäisches Niveau und es war ein wichtiger Teil unserer Arbeit, Medikamente für Diabetes, Hypertonie, Asthma oder Herzerkrankungen bereitzustellen“, beschreibt Dörflinger. „Ärzte ohne Grenzen“ kooperiert mit den Gesundheitseinrichtungen vor Ort und schult die Mitarbeiter, damit auch nach Ende des Einsatzes eine geregelte Versorgung der Bevölkerung möglich ist.

Gegründet wurde „Ärzte ohne Grenzen“ 1971 in Paris als Médecins Sans Frontières (MSF) von einer Gruppe von jungen Ärzten. Sie waren aus dem Bürgerkrieg in Biafra und dem von einer Flutkatastrophe betroffenen Bangladesch zurückgekehrt und frustriert von den begrenzten Möglichkeiten zu helfen. Aus der kleinen Gruppe ist mittlerweile eine der weltweit größten medizinischen Hilfsorganisationen geworden: Heute sind 30.000 Mitarbeiter bei rund 400 Einsätzen in mehr als 70 Ländern der Welt aktiv. „Ärzte ohne Grenzen“ hat derzeit Mitgliedsverbände in 23 Ländern, in 19 Ländern haben diese Sektionsstatus. Das höchste Organ ist die 2011 neu eingerichtete Internationale Generalversammlung; das internationale Büro von „Ärzte ohne Grenzen“ befindet sich in Genf. Die meisten Hilfseinsätze werden von den fünf großen Einsatzzentren der Organisation in Paris, Amsterdam, Brüssel, Barcelona und Genf gestartet und organisiert. Die österreichische Sektion wurde vor 20 Jahren gegründet und unterstützt vor allem die Partnersektion Genf im Finanzund Personalbereich.

Mit offenen Karten

„Für uns gelten die humanitären Prinzipien Neutralität, Unabhängigkeit und Überparteilichkeit. Aus diesem Grund finanzieren wir über 85 Prozent unserer Projekte durch Privatspenden. Und in Österreich finanzieren wir uns zu sogar 100 Prozent aus Spenden“, beschreibt Dörflinger die Organisation. 2013 wurden beispielsweise in Österreich rund 23 Millionen Euro Spenden gesammelt. „Wir sind sehr stolz auf die hohe Akzeptanz und das Vertrauen der Spender“, freut sich Dörflinger.

Wer als Arzt bei „Ärzte ohne Grenzen“ mitarbeiten möchte, benötigt zwei Jahre Berufserfahrung im medizinischen Bereich und englische Sprachkenntnisse. Ebenfalls notwendig sind hohe Belastbarkeit und Teamfähigkeit. Wenn sich nach dem Bewerbungsgespräch beide Seiten für eine Zusammenarbeit entscheiden, bekommt der Arzt ein Projektangebot und nimmt zunächst an einem einwöchigen Vorbereitungsseminar teil. Danach gibt es eine Reihe von Briefings: vor der Abreise, im Ankunftsland und bei der Übergabe in das Projekt. Trotzdem sind das alles nur Hilfestellungen – meist ist es ein Sprung ins kalte Wasser. „Man ist aufgrund des schwierigen Umfeldes oft gefordert, an seine eigenen Grenzen zu gehen. Meistens ist man der einzige Chirurg vor Ort und hat niemanden, der einem helfen kann. Man muss selbst mit der Situation zurechtkommen und kann sich auch nicht mit Kollegen besprechen. Das ist ein großer Unterschied im Vergleich zur Arbeit in Österreich“, berichtet Matzinger. Der erste Einsatz sollte sechs bis acht Monate dauern; in manchen Bereichen gibt es auch kürzere Einsätze. Ohne Helfer vor Ort geht es nicht: Auf einen internationalen Mitarbeiter kommen in der Regel neun nationale Mitarbeiter – vom Arzt bis zur Reinigungskraft.

Turbulente Einsätze

Und wie wird die Sicherheit der Mitarbeiter sichergestellt? „Die Sicherheit unserer Mitarbeiter steht für uns an erster Stelle. Daher gibt es sehr spezielle Sicherheitsvorkehrungen wie etwa Ausgangssperren und Transportservice“, sagt Dörflinger. Und weiter: „Unserer Erfahrung nach ist es vor Ort meistens ruhiger als es von außen wahrgenommen wird.“ Aber natürlich gibt es auch Gefahren und die Hilfsorganisation ist auch bereit, sich von Schauplätzen zurückzuziehen, wenn die dort geleistete Hilfe fragwürdig wird wie etwa vor einiger Zeit in Somalia.

Wer mit „Ärzte ohne Grenzen“ auf Einsatz geht, muss eine dicke Haut mitbringen, betont Dörflinger: „Man ist Tag für Tag mit Leid konfrontiert. Die Arbeitsbelastung ist extrem hoch. Man ist sechs bis sieben Tage im Einsatz, muss aktiv mitarbeiten und steht oft vor medizinischen Herausforderungen.“ Gleichzeitig gibt es auch viel Positives: „Die Motivation ist, dass man etwas Vernünftiges tun und Menschen in Not helfen will. Andererseits ist sicher auch ein Teil Abenteurertum dabei, es ist nicht nur Altruismus. Meine Einsätze mit ‚Ärzte ohne Grenzen‘ sind Erfahrungen, die ich nicht missen möchte. Ich kann jedem nur empfehlen, auch auf Einsatz zu gehen, wenn er die Möglichkeit dazu hat“, so Matzinger.


Details für Interessierte

  • Bezahlung von Impf- und Visakosten bei der Vorbereitung eines Einsatzes;
  • Bezahlung der Kosten für Reise, Aufenthalt, Unterbringung und Verpflegung während des Einsatzes;
  • Angestelltenverhältnis mit Ärzte ohne Grenzen Österreich; derzeit 1.345,92 Euro brutto/Monat in den ersten zwölf Einsatzmonaten;
  • Versicherungspaket (Kranken-, Invaliden-, Reise-, Gepäck-, Unfallund Rückholversicherung);
  • Vorbereitungskurs;
  • Weiterbildungskurse für Mitarbeiter.

Tipp:

Weitere Informationen gibt es unter www.aerzte-ohne-grenzen.at

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 19 / 10.10.2014