Pati­en­ten­si­cher­heit: Reduk­tion des Langzeit-Benzodiazepin-Gebrauchs

25.10.2014 | Service

Das direkte Empower­ment von Pati­en­ten kann eine erfolg­rei­che Stra­te­gie sein, um den Lang­zeit­ge­brauch von Dia­ze­pi­nen zu redu­zie­ren – spe­zi­ell bei der am meis­ten gefähr­de­ten Gruppe: ältere Pati­en­ten mit Poly­phar­ma­zie. Damit befasst sich ein von der Schwei­zer Stif­tung für Pati­en­ten­si­cher­heit erstell­ter und kürz­lich ver­öf­fent­lich­ter Bei­trag der Reihe „Paper of the Month“.

Tan­nen­baum und Kol­le­gen prüf­ten in einer Clus­ter-ran­do­mi­sier­ten Stu­die (JAMA Inter­nal Medi­cine 2014) die Wirk­sam­keit einer direk­ten Pati­en­ten­schu­lung zu inad­äqua­tem Lang­zeit-Ben­zo­dia­ze­pin-Gebrauch. In der Stu­die wur­den 303 Pati­en­ten, die von 30 Apo­the­ken (Clus­ter) über einen län­ge­ren Zeit­raum Ben­zo­dia­ze­pine sowie min­des­tens vier wei­tere Medi­ka­mente erhal­ten hat­ten, in eine Inter­ven­ti­ons- oder eine Kon­troll­gruppe ran­do­mi­siert. Pati­en­ten in der Inter­ven­ti­ons­gruppe erhiel­ten ein acht-sei­ti­ges Book­let, wel­ches neben Infor­ma­tio­nen, einem Selbst-Assess­ment des Ben­zo­dia­ze­pin-Gebrauchs, Erfolgs­ge­schich­ten von Betrof­fe­nen, Alter­na­ti­ven zur Behand­lung von Angst­er­kran­kun­gen und Schlaf­lo­sig­keit auch einen Plan zur schritt­wei­sen Reduk­tion (Aus­schlei­chen) der Ben­zo­dia­ze­pine über 22 Wochen ent­hält. Die Pati­en­ten wur­den ermun­tert, die Ben­zo­dia­ze­pin-Ver­ord­nung und das Abset­zen der Medi­ka­tion mit dem Arzt bezie­hungs­weise dem Apo­the­ker zu bespre­chen. Die teil­neh­men­den Apo­the­ken waren gegen­über dem kon­kre­ten Stu­di­en­ziel verblindet.

Sechs Monate nach Abgabe des Book­lets wurde die Wirk­sam­keit der Inter­ven­tion anhand der in Apo­the­ken ein­ge­lös­ten Ben­zo­dia­ze­pin-Ver­ord­nun­gen in den fol­gen­den drei Mona­ten geprüft. Neben dem voll­stän­di­gen Abset­zen wurde auch die Häu­fig­keit von Dosis­re­duk­tio­nen (min­des­tens minus 25 Pro­zent der Aus­gangs­do­sis) ana­ly­siert. Mit den in die Stu­die auf­ge­nom­me­nen Pati­en­ten wurde eben­falls nach sechs Mona­ten ein semi-struk­tu­rier­tes Inter­view zur Pro­zes­seva­lua­tion durch­ge­führt. Die 303 Pati­en­ten waren im Durch­schnitt 75 Jahre alt, nah­men knapp zehn Medikationen/​Tag und hat­ten Ben­zo­dia­ze­pine durch­schnitt­lich zehn Jahre hin­durch ein­ge­nom­men; 69 Pro­zent waren Frauen; fast die Hälfte der Pati­en­ten hatte in der Ver­gan­gen­heit min­des­tens einen Absetz-Ver­such unternommen.

Ergeb­nisse

In der Inter­ven­ti­ons­gruppe erreich­ten 27 Pro­zent der Pati­en­ten das voll­stän­dige Abset­zen der Ben­zo­dia­ze­pine im Ver­gleich zu fünf Pro­zent in der Kon­troll­gruppe (Odds ratio 8.3 nach Adjus­tie­rung). Wei­tere elf Pro­zent Teil­neh­mer aus der Inter­ven­ti­ons­gruppe erziel­ten eine Dosis­re­duk­tion von min­des­tens 25 Pro­zent. Kei­nes der unter­such­ten Pati­en­ten­merk­male (zum Bei­spiel hohes Alter, Dosis, Dauer oder Grund der Ein­nahme) waren mit dem erfolg­rei­chen Abset­zen asso­zi­iert. In den Inter­views gaben 62 Pro­zent der Pati­en­ten der Inter­ven­ti­ons­gruppe an, ein Gespräch mit Arzt oder Apo­the­ker über das Abset­zen der Ben­zo­dia­ze­pine initi­iert zu haben. 41 Pro­zent der Pati­en­ten in der Inter­ven­ti­ons­gruppe hat­ten das im Book­let ange­bo­tene Aus­schleich-Pro­to­koll ange­wen­det. Die Zufrie­den­heit der Pati­en­ten mit der Inter­ven­tion war hoch. Die Stär­ken der Stu­die sind das starke Design sowie die Kon­zen­tra­tion auf die am meis­ten durch inten­si­ven Ben­zo­dia­ze­pin-Gebrauch gefähr­dete Pati­en­ten­gruppe: ältere Pati­en­ten mit Poly­phar­ma­zie. Die Ergeb­nisse zei­gen, dass das direkte Empower­ment von Pati­en­ten eine erfolg­rei­che Stra­te­gie sein kann, um den Gebrauch poten­ti­ell schäd­li­cher Medi­ka­mente zu redu­zie­ren. In der unter­such­ten Inter­ven­tion wurde die Ent­schei­dung zum Abset­zen der Ben­zo­dia­ze­pine vom Pati­en­ten initi­iert. Pati­en­ten fun­gie­ren so als Kata­ly­sa­to­ren für die gemein­same Ent­schei­dungs­fin­dung zum Abset­zen. Es wird ver­mu­tet, dass die­ses frühe „buy-in“ einen posi­ti­ven Ein­fluss auf die Wirk­sam­keit hat und beson­ders dort eine erfolg­rei­che Stra­te­gie ist, wo Ver­än­de­run­gen im Ver­ord­nungs­ver­hal­ten nur schwie­rig erreicht wer­den. Es ist wün­schens­wert, die Über­trag­bar­keit die­ses Ansat­zes auf andere Berei­che des poten­ti­ell schäd­li­chen Über­ge­brauchs zu prüfen.

Quelle: Schwei­zer Stif­tung für Patientensicherheit/​Prof. Dr. David Schwappack

Wei­tere Bei­träge aus der Reihe „Paper of the Month“ gibt es unter www.cirsmedical.at

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 20 /​25.10.2014