Vorsorgekoloskopie: Das Vorarlberger Programm

10.11.2014 | Politik

Dass Prävention kostet, bevor sie Geld spart, ist nicht neu. Neu und beeindruckend hingegen ist, welche Effekte mit dem Vorarlberger Vorsorgekoloskopieprogramm erzielt werden konnten. So wurden etwa in den letzten Jahren Kosten in der Höhe von rund 40 Millionen Euro eingespart.
Von Agnes M. Mühlgassner

Vorsorge wirkt – und im Ländle ganz besonders. Das ist nicht neu. Das Bewusstsein in der Bevölkerung um die Bedeutung von Prävention war und ist nach wie vor groß. Kein Wunder also, dass das Vorarlberger Vorsorgekoloskopie-Programm auf so große Resonanz stößt. Während österreichweit die Teilnahmerate für die Vorsorgekoloskopie bei durchschnittlich elf Prozent liegt, konnte man in Vorarlberg 20,9 Prozent aus der Zielgruppe der über 50-Jährigen dafür gewinnen.

Schon zwischen 1990 und 2006 hat es auf Initiative der Österreichischen Krebshilfe Vorarlberg ein selektives Vorsorgeprogramm für Darmkrebs-Risikopatienten in Vorarlberg gegeben – was mit ein Grund für den Rückgang der Darmkrebsfälle in Vorarlberg zwischen 2001 und 2006 ist. Als dann die Vorsorgeuntersuchung neu eingeführt wurde, hat man in Vorarlberg ab 2007 allen über 50-Jährigen auch eine Vorsorgekolonoskopie angeboten. Ein entsprechender Vertrag, in dem auch international geforderte Qualitätsstandards festgehalten wurden, wurde zwischen Vorarlberger GKK, Ärztekammer Vorarlberg und unter Beteiligung des Landesgesundheitsfonds unterzeichnet.

Zu den Details: Von den insgesamt 114.302 über 50-Jährigen, die entweder bei der Vorarlberger GKK oder bei der SVB versichert sind, haben 23.881 Personen eine Vorsorgekoloskopie durchführen lassen. 55 Prozent (13.064) waren Frauen, 45 Prozent (10.817) Männer. 80 Prozent der Untersuchten sind zwischen 50 und 70 Jahre alt. Nahezu bei allen Untersuchungen (97 Prozent) konnten vollständige hohe Koloskopien durchgeführt werden. Die Ergebnisse: Bei 56,5 Prozent war der Befund normal; gutartige Polypen wurden bei 41,7 Prozent, bösartige bei 1,8 Prozent (419 Personen) entdeckt. Die bös-artigen Polypen fanden sich zu überwiegendem Teil (bei 306 Personen) in einer Präkanzerose gemäß der Einteilung nach der Internationalen Union gegen Krebserkrankungen (UICC). Bei der Untersuchung selbst ist es bei 84 Personen (0,35 Prozent) zu einer Komplikation gekommen: 17 Mal handelte es sich um eine schwere Komplikation (Perforation oder Blutung) mit einem nachfolgenden stationären Aufenthalt zwischen zwei und sieben Tagen. 67 Mal wurden leichte Komplikationen registriert (Blutung mit sofortiger Blutstillung bei 29 Personen sowie Herz-Kreislauf- Lungen-Abweichungen ohne relevante Probleme für die Untersuchten).

Behandlungskosten im Vergleich

Vor Einführung der neuen Zytostatika und Antikörper in die Behandlung betrugen die Therapiekosten für das metastasierte Kolorektalkarzinom im Jahr 2007 rund 570 Euro pro Jahr; mittlerweile liegen sie bei 250.000 Euro pro Person. Wie kommt man nun zur Kostenersparnis von 39,95 Millionen Euro? Geht man davon aus, dass von den 419 detektierten Karzinomen in jedem zweiten Fall bereits Metastasen vorliegen würden, würde das – bei 209 Personen – hochgerechnet Jahres-Behandlungskosten in der Höhe von 52,25 Millionen Euro verursachen. Abzüglich der Kosten für das Vorsorgekoloskopieprogramm (5,7 Millionen Euro für die Koloskopie; 4,1 Millionen Euro für stationäre Kosten wie Operationen, vorbeugende Chemo, Komplikationen sowie 2,5 Millionen Euro für zehn Patienten im metastasierten Stadium, die eine Chemotherapie erhalten) resultiert eine Ersparnis von 39,95 Millionen Euro bei Kolorektalkarzinomen im fortgeschrittenen Stadium.

Interview – Michael Jonas

„Hocheffektiv“

Warum das Vorarlberger Vorsorgekoloskopie-Programm so effektiv ist, erklärt der Präsident der Ärztekammer Vorarlberg, Michael Jonas, im Gespräch mit Agnes M. Mühlgassner.

ÖÄZ: Wie interpretieren Sie die Ergebnisse dieses Programms?
Jonas: Durch das Programm wurden zwar mehr Kolorektalkarzinome diagnostiziert: 180 im Jahresdurchschnitt 2009 bis 2011 im Vergleich zu 124 Neuerkrankungen im Jahresdurchschnitt 2005 bis 2007. Allerdings erfassen wir damit schon viel früher die Vorstufen von Krebs und verhindern, dass jeder Zweite bei der Diagnose schon Metastasen hat. Faktum ist: Von den 419 Personen mit einem Karzinom hatten nur zehn Betroffene Metastasen. Auch ist die Sterblichkeitsrate auf weit unter die Hälfte zurückgegangen. Bislang stirbt jedes Jahr rund die Hälfte aller Menschen, bei denen ein Kolorektalkarzinom diagnostiziert wird.

Warum ist dieses Programm so erfolgreich? Was sind die Voraussetzungen dafür?
Die Voraussetzung dafür ist, dass es sich dabei um ein qualitätsgesichertes Programm handelt, bei dem die Koloskopie im niedergelassenen Bereich nach internationalen Qualitätsstandards erfolgt. Diese garantierte Qualitätssicherung haben wir. Aber Qualität hat ihren Preis. Damit man das im niedergelassenen Bereich erbringen kann, braucht man einen betriebswirtschaftlich kalkulierten Preis. Und wenn man beides haben will, die garantierte Qualitätssicherung und eine unglaubliche Ersparnis insgesamt, was man anhand der metastasierten Fälle sieht, dann muss man dafür auch die Kosten tragen.

Geht es dabei nur um Kosteneinsparungen?
Nein, es hat auch weitere Effekte: Bei 10.000 der insgesamt rund 24.000 Untersuchten wurden Polypen abgetragen. Wir haben viel weniger Spitalsaufenthalte und viel weniger Operationen. Die Vorsorgekoloskopie ist hocheffektiv, aber die Voraussetzung dafür ist, dass sie qualitätsgesichert gemacht wird und der Patient schmerzfrei ist. Der ethische Aspekt dabei: Den Menschen wird Leid erspart.

Wann wird die Inzidenz der Kolorektalkarzinome zurückgehen?
Derzeit ist noch unklar, wann der Gipfel des Anstiegs erreicht wird.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 21 / 10.11.2014