US-Gesundheitsreform: Zwischenbilanz: sieben Millionen Versicherte

25.04.2014 | Politik

Ein halbes Jahr haben die US-amerikanischen Bürger Zeit gehabt, um über die neuen, staatlichen Gesundheitsbörsen eine private Krankenversicherung zu erwerben. Millionen haben von dieser Chance Gebrauch gemacht – und die Regierung feiert den Erfolg, wenn auch der Weg zur Versicherung ohne Hilfe kaum zu bewältigen ist. Von Nora Schmitt-Sausen

Nach heftigen politischen Debatten und einem Inkraftsetzen voller Stolpersteine gibt es gute Nachrichten für Obamacare: Mehr als sieben Millionen US-Amerikaner haben in der ersten offenen Einschreibephase der Geschichte der USA einen Krankenversicherungsschutz erworben. Damit hat die Regierung das sich selbst gesteckte Ziel erreicht. „Dieses Gesetz hilft bereits jetzt Millionen Amerikanern und in den kommenden Jahren wird es weiteren Millionen helfen“, kommentierte ein sichtlich zufriedener Präsident Barack Obama. Unabhängige Analysten gehen davon aus, dass weitere 3,5 Millionen Amerikaner in den vergangenen Monaten durch die Ausweitung des staatlichen Gesundheitssozialprogramms Medicaid Zugang zum Gesundheitssystem erlangt haben. Auch dieser Schritt ist ein Element der Gesundheitsreform. Wer in den USA von nun an nicht krankenversichert ist, dem droht bei der Steuererklärung eine Strafe in Höhe von bis zu einem Prozent des zu versteuernden Einkommens. Die Versicherungen, die über staatlich regulierte Online-Börsen angeboten werden, müssen Mindeststandards erfüllen und sind im unteren Versorgungsniveau vergleichsweise erschwinglich. Für einen festgelegten Einkommenskreis stehen bei Abschluss staatliche Steuer-Subventionen zur Verfügung. Ab Herbst 2014 beginnt eine neue Einschreibephase.

Eine zentrale Rolle beim neuen Zugang der US-Amerikaner zum Krankenversicherungsmarkt spielt das Internetportal healthcare.gov der Zentralregierung in Washington. Lediglich 14 von 50 Bundesstaaten hatten sich dazu entschlossen, selbst regionale Gesundheitsbörsen aufzubauen. Die Online-Plattform der Regierung war im vergangenen Oktober gestartet – und der Launch der Seite begann mit einem Fiasko. Das Portal hatte massive technische Schwierigkeiten und ging bereits nach wenigen Tagen in die Knie. Wochenlang war es nicht möglich, auf diesem Weg eine Krankenversicherung zu beziehen. Call Center und lokale Anlaufstellen, an die sich die US-amerikanischen Bürger wenden konnten, waren überlastet. Die Regierung Obama erntete für diesen Fehlstart viel Häme und Bürgerfrust – und kaum jemand rechnete damit, dass das selbst gesteckte Ziel von sieben Millionen Versicherten erreicht werden könnte. Im Februar dieses Jahres hatten erst gut vier Millionen US-amerikanische Bürger eine private Versicherung erworben; die Republikaner und konservative Medien sprachen bereits vom „Scheitern“ von Obamacare.

Dass die Einschreibephase für Obama und die Demokraten dennoch mit einem Erfolg für das Regierungslager endete, ist einer ausgeklügelten Kampagne zu verdanken. Obama nutzte dafür Strukturen und Erfahrungen aus zwei gewonnenen Wahlkämpfen. Die Nachfrage der Bürger nach der neuen Möglichkeit zur Krankenversicherung zog durch diese Informationsoffensive spürbar an. Nach Regierungsangaben besuchten Mitte März 2014 in der Spitze täglich mehr als 1,5 Millionen US-amerikanische Bürger Healthcare.gov; im Call Center liefen mehr als 400.000 Anrufe am Tag ein. Am letzten Tag der Einschreibefrist war die Seite auf Grund der hohen Nachfrage einige Stunden nicht erreichbar.

Kritik gibt es dennoch: Der Weg zur Versicherung ist sehr kompliziert und ohne Hilfe kaum machbar. Republikanisch regierte Bundesstaaten stellten den Bürgern vor Ort jedoch kaum Hilfe zur Seite, um sich durch den Einschreibeprozess zu navigieren. „Hätten die Bundesstaaten, die die Reform ablehnen, den Menschen dabei geholfen, sich einzuschreiben, anstatt ihnen Steine in den Weg zu legen, könnten wir weit über sieben Millionen liegen“, zitiert das US-Nachrichtennetzwerk CNBC Timothy Jost, Professor und Gesundheitsexperte in Washington.

Während das Obama-Lager die Zahlen der ersten Einschreibephase feiert, sind unabhängige Experten bei der Interpretation deutlich zurückhaltender. Die Regierung konnte bislang nicht sagen, wie viele der Bürger tatsächlich unversichert waren und wie viele von ihnen Policen neu erwerben mussten, weil sie im Zuge der neuen Standards, die Obamacare setzt, ihre alte Krankenversicherung verloren haben. Auch hätten bis zu 20 Prozent der Bürger, die sich für Policen eingeschrieben haben, die Versicherungsbeiträge dafür bislang noch nicht bezahlt, berichtete die New York Times. Unklar ist, wie die Qualität der Versorgung unter Obamacare sein wird. Bei einigen der neuen Policen ist die Wahlfreiheit von Behandlern und Kliniken stark eingeschränkt und die festgelegten Selbstbeteiligungen sind sehr hoch.

In den US-Medien halten sich Berichte über US-Bürger, die das Gesetz preisen und jene, die Obamacare verteufeln, die Waage. Die einen – oft chronisch Kranke – preisen das Gesetz als ihre letzte Rettung, die anderen beklagen den staatlichen Eingriff in ihre Privatsphäre und steigende Versicherungskosten im Zuge der Reform. So viel ist sicher: Die Gesundheitsreform bleibt ein Reizthema.

Widerstand bleibt

Auch politisch muss sich Obama weiter auf Gegenwind einstellen. Der Widerstand der Republikaner ist ungeachtet des jüngsten Erfolgs ungebrochen. Das Gesetz bringe „Chaos in Amerikas Familien, Kleinunternehmen und die US-Wirtschaft“, teilte John A. Boehner, Sprecher des republikanisch dominierten Repräsentantenhauses, mit. Er kündigte an, dass seine Partei weiter versuchen werde, das Gesetz zu Fall zu bringen. Selbst viele Demokraten sind mit der Reform und dem Inkraftsetzen einzelner Bestandteile nicht zufrieden. In den vergangenen Monaten musste die Implementierung einzelner Elemente immer wieder verschoben werden. Die Realität ist wohl, dass die Gesundheitsreform in den kommenden Monaten weiterhin viele negative Schlagzeilen bekommen wird. Zumal: Im Herbst stehen in den USA die Zwischenwahlen an. Das Repräsentantenhaus und Teile des Senats werden neu besetzt. Einmal mehr wird die Gesundheitsreform eines der zentralen Wahlkampfthemen sein.

Auch nach dem Ende der ersten offiziellen Einschreibefrist sind circa 40 Millionen US-Amerikaner weiterhin ohne Krankenversicherung. Nicht wenigen bleibt der Zugang zum System dauerhaft verwehrt. Knapp fünf Millionen US-amerikanische Bürger leben in Bundesstaaten, die sich gegen die Ausweitung von Medicaid gestellt haben. Den Erwerb einer Police über die Gesundheitsbörsen können sie sich jedoch nicht leisten. Auch für die bis zu elf Millionen illegale Einwanderer des Landes hat sich durch die Reform nichts verändert. Ohne US-Staatsbürgerschaft ist kein Erwerb einer Krankenversicherung über die Gesundheitsbörsen möglich.

Offizielle Prognosen gehen davon aus, dass über die staatlich regulierten Gesundheitsbörsen im Jahr 2015 bis zu 13 Millionen Bürger Policen erworben haben werden; 2016 soll die Zahl bei 22 Millionen liegen.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 8 / 25.04.2014

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