Spitalsärzte: „Im Ambulanz-Wahnsinn“…

10.06.2014 | Politik

Dass überdurchschnittlich viele Patienten in die Ambulanzen strömen – und immer mehr Bagatellfälle darunter sind, stellt für Spitalsärzte zunehmend ein Problem dar. Die Zahl derer, die sich das nicht mehr antun wollen, steigt ständig.
Von Marion Huber

Die Spitäler machen es sich schon einfach, die Ärztinnen und Ärzte für wenig Lohn mit viel Arbeit zu überhäufen und dabei so zu tun als wäre alles bestens“ – so fasst Stephan Ubl, Sektionsobmann Turnusärzte der Ärztekammer Wien, die Situation der Spitalsärzte zusammen. Immer mehr Patienten, immer mehr Aufnahmen und Entlassungen, immer mehr Untersuchungen und Anforderungen – bei gleichbleibender Zahl der Ärzte. Auch die EDV-Applikationen werden immer umfassender: „Wo früher zwei Zettel ausgefüllt werden mussten, sind jetzt für jeden Patienten Klicks über Klicks in verschiedenen EDV-Systemen nötig.“ Das Personal wird dennoch nicht mehr. „Die  Arbeit ist schön, aber anstrengend und leider zunehmend von Administration und Bürokratie überhäuft“, schildert Ubl. Dazu kommt ein Mehr an Absicherungsmedizin – was wieder zu einem „Teufelskreis an Arbeit“ führe.

Auch in den Nachtdiensten und den Ambulanzen sei die Arbeit spürbar mehr und anstrengender geworden, weiß Ubl. „In der modernen Gesellschaft ist es üblich, immer öfter in den Abendstunden ins Krankenhaus zu kommen. Die Patienten sind zunehmend nervöser, können akute und nicht-akute Fälle schwer unterscheiden.“ Die Gefahr bei diesem „Ambulanz- Wahnsinn“: Je mehr Bagatellfälle behandelt werden müssen, desto eher könnte jemand, der wirklich etwas Schwerwiegendes hat, übersehen werden. „Das Personal ist begrenzt. Und ein Arzt kann sich nun einmal im selben Zeitraum entweder 20 Patienten genau ansehen oder 50 nicht ganz so genau.“

Außerdem sei es noch immer so, dass es im Spital keine dezidierten Pausen gibt. „Wenn man in 24 Stunden vielleicht drei Stunden Pause hat, ist das gut“, sagt Ubl. Wie man es schafft, dabei konzentriert zu bleiben? Diese Arbeitsbedingungen würden „natürlich“ zulasten der Konzentration gehen und „als Arzt habe ich natürlich Sorge, dass sich das auf die Patientenbehandlung auswirkt“. Auf der einen Seite müsse man auf der emotionalen Ebene darauf achten, Patienten und Kollegen gegenüber freundlich zu sein – obwohl man nicht ausgeschlafen ist. Auf der anderen Seite versuche man auf der fachlichen Ebene, konzentriert zu bleiben und nichts zu übersehen. „Jeder arbeitet nach bestem Wissen und Gewissen. Aber dass unter diesen Bedingungen die einen oder anderen – hoffentlich kleineren Fehler – passieren, kann man nicht ausschließen.“ Besonders extrem sei die Situation an den Akutabteilungen – den Notfallaufnahmen, an chirurgischen und unfallchirurgischen Abteilungen. Wie man den Nachtdienst übersteht, sei von Fach zu Fach unterschiedlich – grundsätzlich wird es umso mühseliger, je älter man wird, so Ubl: „Ich bewundere Ärzte, die schon etwas älter sind und dann um vier Uhr Früh stundenlang operieren.“ Das seien die „Leiden des Spitalsarztes“, wie der Sektionsobmann es formuliert.

Nicht umsonst würden verschiedene Studien zeigen, dass Spitalsärzte – von jung bis alt – stark Burnout-gefährdet sind. Auch Ubl kennt „genügend Fälle“. Aber er beobachtet auch etwas anderes: „Viele Ärzte, auch langjährig angestellte, verdiente Oberärzte, verlassen das Krankenhaus, weil sie sich das nicht mehr antun wollen.“ Zwar komme es immer wieder vor, dass der eine oder andere aus gesundheitlichen Gründen seine spitalsärztliche Tätigkeit beende. Aber mittlerweile sei es bereits so, dass es viele gar nicht mehr so weit kommen lassen und versuchen, rechtzeitig die Reißleine zu ziehen. Ubl dazu: „Sie organisieren sich anderweitig, gehen in eine Ordination oder ergreifen einen anderen Beruf.“

Und die junge Generation? Für sie fehlen im Krankenhaus die Perspektiven, wie Ubl weiter ausführt. Alle paar Jahre sei nur ein geringer Gehaltssprung zu erwarten; in vielen Spitälern wurden die letzten zwei Jahre mit Null-Lohnrunden abgeschlossen. Die Frage, die sich für Ubl stellt: „Warum sollte man bei dieser Form der Wertschätzung im Krankenhaus weiterarbeiten?“ Auch habe sich die Einstellung der Generation Y, nämlich der Wunsch nach einer ausgewogenen Work-Life-Balance, mittlerweile in der älteren Generation durchgesetzt. „Auch Ärzte leben schließlich nicht nur für die Arbeit.“ Dass vielen von ihnen diese Spirale aus ständig steigendem Wissen, Arbeit und Aufwand zu viel wird, versteht Ubl nur zu gut: „Viele schauen sich das lange an, aber irgendwann reicht es.“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 11 / 10.06.2014