Landmedizin: Die Politik und der Ärztemangel

15.08.2014 | Politik

Langsam – aber sicher – wird der Ärztemangel auch in der Politik vermehrt zum Thema. So hat es etwa Ende Juni 2014 eine parlamentarische Anfrage mit 25 sehr detaillierten Fragen betreffend „fehlende Maßnahmen gegen Ärztemangel“ an Gesundheitsminister Alois Stöger gegeben.
Von Agnes M. Mühlgassner

Exakt 25 Fragen sind es – wie zum Beispiel nach der Zahl der allgemeinmedizinischen Ordinationen in Österreich, wie viele davon in den letzten Jahren geschlossen wurden, wie viele neu eröffnet wurden, wie die Altersstruktur der jetzt aktiven Allgemeinmediziner aussieht und auch, wie viele demnächst in Pension gehen –, die in der parlamentarischen Anfrage an Gesundheitsminister Alois Stöger gestellt wurden. Zur Entwicklung der Ärztezahlen hat das Gesundheitsministerium die ÖÄK um Beantwortung gebeten, was in einem Schreiben Ende Juli 2014 erfolgt ist.

Zum Status quo:
• Derzeit sind (Stand: Jänner 2014) in Österreich insgesamt 6.526 Ärzte für Allgemeinmedizin niedergelassen; 3.826 davon mit einem GKK- Vertrag, 2.700 sind Wahlärzte beziehungsweise haben nur Verträge mit Sonderversicherungsträgern.
• Die Zahl der Allgemeinmediziner mit einem GKK-Vertrag hat sich von 3.988 im Jahr 2004 auf 3.826 im Jahr 2014 verringert. Gleichzeitig hat die Zahl der Wahlärzte in diesem Zeitraum stark zugenommen.
• 20 Prozent aller niedergelassenen Allgemeinmediziner erreichen in den nächsten drei Jahren das Pensionsantrittsalter beziehungsweise haben es schon erreicht. In Kärnten beispielsweise liegt diese Zahl sogar noch höher, und zwar bei 25 Prozent.
• Die Zahl der unter 50-jährigen Ärzte für Allgemeinmedizin liegt bei knapp 30 Prozent; das heißt: 70 Prozent der derzeit niedergelassenen Allgemeinmediziner werden in den nächsten 15 Jahren das Pensionsantrittsalter erreichen.
• 45 Prozent der niedergelassenen Ärzte für Allgemeinmedizin gehören schon jetzt zur Altersgruppe 55+.

Diese Zahlen sind für den Leiter des Referats für Landmedizin und Hausapotheken in der ÖÄK, Gert Wiegele, mehr als beunruhigend. „Was man bis jetzt von Seiten der Politik als Unkenrufe der Standesvertretung abgetan hat, wird dramatische Realität: der Ärztemangel. Selbst, wenn sofort entsprechende Aktivitäten gestartet würden, würden sich die Effekte in frühestens zehn Jahren zeigen. Wiegele weiter: „In Kärnten zum Beispiel funktioniert der Basisdienst im niedergelassenen Bereich nicht mehr, weil es niemanden mehr gibt, der einen Bereitschaftsdienst übernehmen will.“

Bei der Ausbildung anzusetzen – laut Wiegele eine der Hauptursachen für den Ärztemangel – sei ein erster wichtiger Schritt. In den Krankenhäusern würden vor allem angehende Fachärzte ausgebildet; die allgemeinmedizinische Ausbildung „bleibt auf der Strecke“, wie es Allgemeinmediziner Wiegele formuliert. Deswegen müsse die Ausbildung in den Spitälern für diejenigen, die Allgemeinmediziner werden wollen, auch wieder einen Schwerpunkt in dem Bereich haben“, fordert der Referatsleiter. Auch die flächendeckende Umsetzung der Lehrpraxis in Österreich scheitert an „läppischen 15 Millionen Euro.“

Ähnliche Entwicklung bei Fachärzten

Ähnlich alarmierend ist die Situation bei den niedergelassenen Fachärzten – auch dahingehend finden sich zahlreiche Fragen im Rahmen der parlamentarischen Anfrage an Minister Stöger.
• In Österreich sind (Stand: Jänner 2014) 10.732 Fachärzte niedergelassen; davon 3.214 mit einem GKK-Vertrag, 7.518 sind Wahlärzte beziehungsweise haben nur Verträge mit Sonderversicherungsträgern.
• Die Zahl der Wahlärzte steigt noch rascher als bei niedergelassenen Allgemeinmedizinern: In den letzten zehn Jahren ist die Zahl der Wahlärzte unter Fachärzten um 47 Prozent gestiegen, während die Zahl der Kassenärzte nur um sieben Prozent zugenommen hat.
• Rund 17 Prozent der niedergelas- senen Fachärzte erreichen in den nächsten drei Jahren das gesetzliche Pensionsantrittsalter beziehungsweise haben es bereits erreicht. In Wien liegt diese Zahl mit 22 Prozent noch höher.
• Rund 64 Prozent der niedergelassenen Fachärzte gehören bereits jetzt der Altersgruppe 55+ an.

Dazu der Kurienobmann der niedergelassenen Ärzte in der ÖÄK, Johannes Steinhart: „Diese Zahlen zeigen eindringlich, dass unsere jahrelangen Forderungen nach einer Erhöhung der Kassenplanstellen eine berechtigte Grundlage haben. Es gibt heute österreichweit wesentlich weniger Allgemeinmediziner mit einem Kassenvertrag als noch vor zehn Jahren.“ Die jetzt aktiven Ärzte müssten die Reduktion von 162 Kassenplanstellen von Allgemeinmedizinern „auffangen“ – und das angesichts steigender Bevölkerungszahlen, empört sich Steinhart. Die Beschwerden der Patienten über lange Wartezeiten seien einfach erklärbar, denn „es gibt einfach zu wenig Allgemeinmediziner für eine ausreichende Basisversorgung im niedergelassenen Bereich“. Das führe auch zum Ansturm auf die Spitalsambulanzen. Steinhart weiter: „Bevor die Verantwortlichen in der Gesundheitspolitik also weiter ihre Planspiele über künftige Versorgungsstrukturen betreiben, sollten sie erst einmal ihre Hausaufgaben machen und dafür sorgen, dass wir mit den Kassenplanstellen für Allgemeinmedizin wieder das Versorgungsniveau von 2004 erreichen – und dann muss es eine ordentliche Aufstockung geben.“ Dass – damit verbunden – auch attraktivere Bedingungen notwendig sind, „versteht sich wohl von selbst“, so Steinhart.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 15-16 / 15.08.2014