Interview – Erwin Rasinger: Irrwege und Auswege

25.11.2014 | Politik

Die Liberalisierung der aktiven Sterbehilfe bezeichnet Erwin Rasinger, Gesundheitssprecher der ÖVP, als Irrweg. Für das Gesundheitssystem insgesamt setzt er seine Hoffnung u.a. auf die novellierte Ärzte-Ausbildung und die neue Ministerin, sagt er im Gespräch mit Agnes M. Mühlgassner.

ÖÄZ: Warum spricht sich die ÖVP für eine Verankerung des Verbots der aktiven Sterbehilfe in der Verfassung aus?
Rasinger: Die ÖVP ist aus gutem Grund dafür, dass man ein solches Verbot in die Verfassung aufnimmt. In Holland und Belgien sind schon längst die Dämme gebrochen. So nehmen offiziell 3,5 Prozent der Bevölkerung in den Niederlanden aktive Sterbehilfe in Anspruch. Bei rund 20 Prozent von rund 4.000 Fällen wird nicht einmal mehr gefragt. Unser Ziel muss es jedoch sein, dass Menschen nicht einsam sterben, sondern gut betreut und ohne Schmerzen. Dann verschwindet meist auch der Sterbewunsch. Genauso wie wir uns für sanfte Geburt einsetzen, müssen wir uns auch für würdevolles Sterben einsetzen.

Aber auch in Deutschland gibt es eine Initiative zur Liberalisierung der Sterbehilfe.
Ja, in Deutschland ist ein Gesetz vom Bundestag eingebracht worden, das aktive Sterbehilfe eingeschränkt ermöglichen soll. Der deutsche Gesundheitsminister, die deutschen Ärzte und die Mehrheit der Abgeordneten sind Gottseidank dagegen. Ich glaube, das wäre für mich ein ethischer Irrweg, weil hier die verschiedensten Interessen hineinspielen: die Interessen der Erben, die Frage der Kosten, ob es sich lohnt, Hospize zu errichten etc. Wir müssen in Österreich alles tun, damit Hospize und Palliativstationen finanziert werden und dass Schmerztherapie auch bei niedergelassenen Ärzten finanziert wird, damit würdevolles Sterben möglich ist. Wir brauchen keine aktive Sterbehilfe.

Vor kurzem hat es eine Dringliche Anfrage der NEOS zum Gesundheitswesen gegeben. Sie wollten unter anderem wissen, wann endlich die Gesundheitsreform kommt.
Die Dringliche der NEOS war ein Sammelsurium von Allgemeinplätzen. Eine Gesundheitsreform ist ein permanenter Prozess von kleinen Schritten, das hat schon der deutsche Minister Seehofer gesagt. Dass hier eine große Reform vom Himmel fällt, ist eine falsche Erwartung. Die NEOS haben Schweden und Holland als Beispiel für Österreich genommen. Dies ist völlig falsch, denn weder das schwedische noch das holländische System ist besser. Es stimmt einfach nicht, dass die Menschen in Österreich 21 Jahre in schlechter Gesundheit leben. Sonst müssten sie ja scharenweise nach Rumänien, Bulgarien und Griechenland, also in die Staaten, die vor uns rangieren, fahren und Gesundheitsleistungen in Anspruch nehmen. Das Gegenteil ist der Fall.

Was muss uns im österreichischen Gesundheitswesen also tatsächlich Sorgen machen?
Um die Basis, um die Hausarztversorgung müssen wir uns Sorgen machen. Wir gehen in Österreich in einen deutlichen Hausarztmangel hinein, weil der Beruf einfach nicht mehr attraktiv ist. Die Hausärzte haben im Schnitt 40 Prozent weniger Kassenumsatz. Dafür haben sie jedes Jahr mehr Bürokratie und oft ein sehr geringes Spektrum dessen, was sie tun dürfen. In Wien darf ein Hausarzt nicht einmal ein Notfall-Labor machen oder eine Lungenfunktion abrechnen. Das ärztliche Gespräch ist auf 18 Prozent limitiert und dazu kommt noch diese unsinnige Chefarztpflicht. Wenn es nicht gelingt, den Beruf des Hausarztes attraktiv zu machen, dann werden wir einfach in Zukunft keine Hausärzte mehr haben. Deutschland und die Schweiz haben jetzt schon einen Hausarztmangel und locken mit guten Angeboten. Wir werden auch endlich die Hausapothekenfrage am Land lösen müssen. Hier bin ich ja dem Minister Stöger jahrelang nachgelaufen.

Ihr Befund für den Spitalsbereich?
Hier sieht es auch nicht viel besser aus. Wir brauchen ausgeruhte Ärzte. Das wird nun mit dem Beschluss des KA-AZG Realität, wo auf Druck der Ärztekammer endlich die EU-Richtlinie umgesetzt wird; dass Ärzte maximal 48 Stunden in der Woche arbeiten – etwas, was für andere Berufsgruppen mit durchschnittlich 38 Stunden Arbeitszeit selbstverständlich ist.

Was gilt es also zu tun – nach dieser Analyse?
Wir haben ein Gesundheitswesen auf absolutem Weltklasseniveau. Aber wir müssen darauf schauen, dass wir die Ärzte im Land behalten, sie ordentlich ausbilden, ordentliche Gehälter zahlen und ihnen Zeit geben, ihren Beruf auch ordentlich auszuüben und Zeit, sich ihren Patienten zu widmen. Wir brauchen nicht noch mehr Bürokratie, Die derzeit oft verlangte Absicherungsdokumentation und die vermehrten Leis-tungscodierungen bringen oft gar nichts. Mit der geplanten Reform der Pflege wollen wir auch Ärzte zusätzlich entlasten.

Was erhoffen Sie sich von der Novellierung der Ärzte-Ausbildung?
Mit dem Ärztegesetz machen wir in der Ausbildung einen wesentlichen Schritt nach vorne. Damit kommt der neunmonatige Common-Trunk als Basisausbildung und auch die verpflichtende Lehrpraxis. Ich glaube, dass wir auf einem guten Weg sind und die Finanzierung der Lehrpraxis endlich gesichert wird. Das war ja schon seit 20 Jahren die Achillesferse. Die Lehrpraxis konnte nicht stattfinden, weil sie niemand bezahlen wollte. Jetzt sind wir auf einem guten Weg.

Sabine Oberhauser leitet nun das Gesundheitsressort – Ihre Bewertung?
Sabine Oberhauser war lange Gesundheitssprecherin im Parlament, sie ist fachlich sehr versiert und hat im ÖGB eine steile Karriere hinter sich. Beim Verhandeln ist sie sehr sachbezogen und auf Ergebnisse, die von allen getragen werden können, fokussiert. Ich glaube, das Gesprächsklima zwischen Ärzten und Ministerin wird nicht schlecht sein.

…besser als mit ihrem Vorgänger?
Ich glaube, dass es irgendwie entkrampfter ist. Unser Kernproblem ist klar: Die Menschen werden immer älter, die Medizin immer leistungsfähiger, die juristischen Anforderungen immer höher, die Wünsche der Patienten immer mehr. Deshalb dürfen wir nicht unnütz Geld mit steigender Bürokratie verschleudern. Weltweit ist es eine Tatsache, dass das Gesundheitswesen teurer werden muss. Das verleugnet man ja in Österreich ständig.

Welche Bilanz ziehen Sie über die Zeit des jetzigen Infrastrukturministers als Gesundheitsminister?
Auch wenn man ihn oft unterschätzt hat – Alois Stöger hat doch einiges auf den Weg gebracht. Allerdings: Bei ELGA war er stur. Er hat ständig mit den vielen Millionen Euro argumentiert, die man dann bei der Doppelbefundung einsparen könne. Das kann ich nicht nachvollziehen. Außerdem ist der Datenschutz weiter eine Achillesferse angesichts der vielen Datendiebstähle auf der Welt. Es stellt sich die Frage, ob man die Sicherheit hier auch tatsächlich gewährleisten kann. Minister Oberhauser hat ja schon betont, dass die Usability für die Anwender geklärt werden muss. Das heißt konkret: Mehr Bürokratie durch ELGA ist nicht gewollt. Das wird die entscheidende Frage für die Akzeptanz von ELGA sein.

Sabine Oberhauser meinte unlängst im ÖÄZ-Interview, sie wäre die Gesundheitsreform anders angegangen und hätte von Anfang an die Ärzte einbezogen. Sehen Sie sich in Ihrer Kritik bestätigt?
Es war ein Fehler Stögers, dass er das Projekt Gesundheitsreform ohne Einbindung der Ärzte von oben diktiert hat und darauf auch noch stolz war. Als Gewerkschafter müsste er wissen, dass man Reformen nicht gegen die Betroffenen durchführen sollte. Wenn man sich die Papiere zur Gesundheitsreform anschaut, strotzt es nur so von neuer Bürokratie – verborgen hinter dem Thema Qualitätssicherung, aber auch hinter vielen Gemeinplätzen.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 22 / 25.11.2014