Inter­view – Dr. Erwin Rasin­ger: Ohne Ein­bin­dung der Ärzte: „denk­un­mög­lich”

10.02.2014 | Politik

Ohne Ein­bin­dung der Ärzte: „denk­un­mög­lich“

Wäh­rend die SPÖ in Zen­tren denkt, ist für die ÖVP der nie­der­ge­las­sene Arzt die erste Anlauf­stelle bei der medi­zi­ni­schen Ver­sor­gung, erklärt deren Gesund­heits­spre­cher Erwin Rasin­ger. Im Gespräch mit Agnes M. Mühl­gas­s­ner erläu­tert er einige Pas­sa­gen des Regie­rungs­pro­gramms für den Gesundheitsbereich.

ÖÄZ: Wel­che Punkte im Regie­rungs­pro­gramm zur Gesund­heit sind Ihrer Ansicht nach die zen­tra­len?
Rasin­ger: Wir wol­len die Auf­wer­tung des Haus­arz­tes und Siche­rung der bestehen­den Haus­apo­the­ken. Wir wol­len die Spit­zen­me­di­zin an den Uni­ver­si­tä­ten auf­wer­ten und auch, dass die Lehr­pra­xen end­lich umge­setzt wer­den. Es ist ein Alarm­zei­chen, dass Öster­reich für junge Kol­le­gen unat­trak­tiv ist. Schon mehr als 3.000 Ärzte arbei­ten in Deutsch­land. Der ganze Bereich Kin­der­ge­sund­heit braucht mehr Augen­merk, auch das ist gelun­gen etwa beim Kin­der­hos­piz und beim Aus­bau der Kin­der- und Jugend­psych­ia­trie, der Wei­ter­füh­rung des MUKIPA und auch dem Aus­bau zu einem Kin­der- und Jugend­pass. Geklärt ist aber bis­lang nicht die Finan­zie­rung der Kinder-Rehab.

Im Regie­rungs­pro­gramm heißt es „Eta­blie­rung von mul­ti­pro­fes­sio­nel­len bezie­hungs­weise inter­dis­zi­pli­när orga­ni­sier­ten Ver­sor­gungs­for­men im ambu­lan­ten Bereich“ – was ist damit gemeint?
Die SPÖ will mehr die Haus­ärzte in inter­dis­zi­pli­näre Zen­tren und auf glei­cher Augen­höhe mit ande­ren Berufs­grup­pen wie zum Bei­spiel Sozi­al­ar­bei­tern und Kran­ken­schwes­tern. Wir von der ÖVP sind der Mei­nung, dass man den Haus­arzt vor Ort stär­ken soll. Zen­tren heißt auch, dass in klei­ne­ren Gemein­den der Haus­arzt dann weg ist. Das ist für ältere Men­schen ohne Auto dann unzu­mut­bar. Und Auf­wer­tung heißt nicht, dass er nur mehr im Zen­trum tätig sein darf mit Kran­ken­schwes­tern und Sozi­al­ar­bei­tern, denn die End­ver­ant­wor­tung kann ja nur beim Arzt lie­gen. Ich bin sehr skep­tisch, ob das ehe­mals ost­deut­sche, jetzt skan­di­na­visch-eng­li­sche Modell bes­ser ist als das öster­rei­chisch-deut­sche-schwei­ze­ri­sche Modell der freien Arzt­wahl, der freien The­ra­pie­wahl, der freien Nie­der­las­sung. Man muss den Haus­arzt auf­wer­ten, indem man ihm ein dem Fach­arzt ver­gleich­ba­res Hono­rar zahlt, indem man ihn von der Büro­kra­tie wie etwa der Chef­arzt­pflicht ent­bin­det und indem man ihm zum Bei­spiel bei ELGA anstän­dige Befunde zur Ver­fü­gung stellt, die leicht les­bar sind. Auch der Wunsch des Minis­ters, Fach­ärzte nur mehr in Zen­tren arbei­ten zu las­sen, ist im Zeit­al­ter der Tele­kom­mu­ni­ka­tion über­trie­ben und war nicht Kon­sens und steht so nicht im Regie­rungs­pro­gramm. Wir sind da sehr skep­tisch, bei die­sem Den­ken in Zen­tren, ob mehr Büro­kra­tie eine noch bes­sere Qua­li­tät bringt.

Im Regie­rungs­pro­gramm steht aber auch, dass die „wohn­ort­nahe qua­li­täts­ge­si­cherte Ver­sor­gung“ eta­bliert wer­den soll, also der Haus­arzt – oder?
Es war ein ech­ter Kampf mit dem Minis­ter, der par­tout das Wort Haus­arzt plötz­lich nicht mehr drin haben wollte. Das nährt in mir den Ver­dacht, dass man schon ein fix und fer­ti­ges Kon­zept von Pri­mary Health Care in der Lade hat. Ich habe nichts gegen Modelle. Aber ich habe etwas dage­gen, dass man das gute, bestehende öster­rei­chi­sche Modell mit Haus­ärz­ten und nie­der­ge­las­se­nen Fach­ärz­ten zuerst als inef­fi­zi­ent krank redet und dann irgend­wel­che Expe­ri­mente zwang­haft ver­ord­net und das ohne irgend­eine Dis­kus­sion mit den Betrof­fe­nen. Dage­gen bin ich mas­siv. Es ist durch über­haupt nichts bewie­sen, dass diese fin­ni­schen Pri­mär­ver­sor­gungs­zen­tren mehr Effi­zi­enz brin­gen, weil man die Haus­ärzte auf mit­tel­große Städte kon­zen­trie­ren muss. Die ÖVP jeden­falls ist für die Erhal­tung des Haus­arz­tes sowohl in der Stadt als auch im länd­li­chen Bereich.

In Ober­ös­ter­reich gibt es Ideen für ein Pri­mary Health Care-Modell.
Krea­tive Ideen sind immer gut. Lei­der hat aber Stö­ger als Chef der Bun­des-Ziel­steue­rungs­kom­mis­sion drei Tage, nach­dem er mit mir das Regie­rungs­pro­gramm ver­ein­bart hatte, etwas ganz Ande­res beschlos­sen, wo das Wort ‚Arzt‘ über­haupt nicht mehr vor­kommt. Das ist keine Pakt­treue. So kann man mit dem Koali­ti­ons­part­ner nicht umgehen.

Geplant ist laut Regie­rungs­pro­gramm auch, „nicht erfor­der­li­che Hos­pi­ta­li­sie­run­gen“ zu ver­mei­den. Wie soll das gehen?
Das ist das Grund­pro­blem in Öster­reich: Wir haben eine sehr hohe Spi­tals­auf­nah­me­rate ver­bun­den mit einer zu schwa­chen Ver­sor­gung im nie­der­ge­las­se­nen Bereich. Und die Ant­wort des Minis­ters, Fach­ärzte dür­fen sich nur noch in Zen­tren nie­der­las­sen und Haus­ärzte wer­den durch Pri­mary Health Care-Zen­tren ersetzt, löst ja nichts an der Pro­ble­ma­tik, dass die Pati­en­ten irgend­wann ein­mal auch betreut wer­den müs­sen. Und wenn Deutsch­land 2,5‑mal so viel nie­der­ge­las­sene Fach­ärzte hat wie Öster­reich, dann muss man hier anset­zen. In Öster­reich ist ja seit 1999 die Zahl der nie­der­ge­las­se­nen Kas­sen-Fach­ärzte sogar ten­den­zi­ell gesun­ken. So kann eine Ver­bes­se­rung der ambu­lan­ten Ver­sor­gung nur schwer statt­fin­den, weil alles in Rich­tung Masse gedrückt wird. Man wird sich end­lich dazu auf­raf­fen müs­sen, die ambu­lante Ver­sor­gung zu stär­ken. Und man muss auch bestehende Zusam­men­ar­beits­for­men wie etwa Grup­pen­pra­xen för­dern und nicht mit einem Straf­ab­schlag bele­gen. Und wir kön­nen die Spi­tä­ler nur dann ent­las­ten, wenn wir attrak­tive Bedin­gun­gen in der freien Nie­der­las­sung haben. Wir müs­sen alles tun, damit uns nicht die jun­gen Kol­le­gen wegen schlech­ter Aus­bil­dung, nied­ri­gem Gehalt und schlech­ten Berufs­chan­cen in die Schweiz, nach Deutsch­land und Groß­bri­tan­nien davon­ren­nen. Der Abgang von jun­gen Kol­le­gen aus Öster­reich ist lei­der dramatisch.

Auch ist die Rede davon, dass „alle not­wen­di­gen Ände­run­gen der gesetz­li­chen Rah­men­be­din­gun­gen, ins­be­son­dere im Gesamt­ver­trags­recht, im Kran­ken­an­stal­ten­recht und in den Berufs­ge­set­zen bis Ende 2014“ geschaf­fen wer­den sol­len. Wel­che sind das?
Da ist der­zeit nichts Genaues bekannt. Was ich ver­hin­dern will: Es kann aber nicht sein, dass man irgend­wel­che gra­vie­ren­den Ände­run­gen ohne Ein­bin­dung der Ärz­te­schaft macht. Das ist für mich denk­un­mög­lich. ÖGB und Wirt­schafts­kam­mer sind wesent­li­che Trä­ger des öster­rei­chi­schen Erfolgs­mo­dells Sozi­al­part­ner­schaft und spie­len eine extrem starke Rolle im Kran­ken­ver­si­che­rungs­we­sen. Sie wis­sen daher selbst, dass das oft müh­same Ver­han­deln für dau­er­haft ver­nünf­tige Lösun­gen bes­ser ist als Drüberfahren.

Ein wei­te­rer Punkt lau­tet: „Ver­ti­kale und hori­zon­tale Durch­läs­sig­keit sowie die Zusam­men­ar­beits­mög­lich­kei­ten zwi­schen Gesund­heits­be­ru­fen und ande­ren Beru­fen ver­bes­sern“ – was ist damit kon­kret gemeint?
Prin­zi­pi­ell ist nichts dage­gen ein­zu­wen­den. Das Berufs­recht und die Aus­bil­dun­gen sind immer an neue Anfor­de­run­gen anzu­pas­sen. Wenn ein Sys­tem bes­ser wer­den soll, dann müs­sen alle betei­lig­ten Berufs­grup­pen bes­ser wer­den. Wir haben uns etwa vor­ge­nom­men, die Psy­cho­the­ra­pie­aus­bil­dung neu zu regeln. Sie ist seit dem ers­ten Gesetz 1990 unver­än­dert geblie­ben und braucht drin­gend einen Relaunch.

Was gibt es Neues zu ELGA?
Ich habe dem Minis­ter gesagt, dass es in Zei­ten, in denen es NSA und Daten­klau gibt, nichts nützt, wenn man gebets­müh­len­ar­tig sagt: ELGA ist sicher. Son­dern man muss die Sicher­heit auf den letz­ten Stand brin­gen. Trotz­dem muss man sich klar sein, dass es ein Rest­ri­siko gibt. Es wird mit Sicher­heit oberst­ge­richt­lich geklärt wer­den vor dem VfGH und dann vor dem EuGH, ob diese medi­zi­ni­sche Daten­spei­che­rung zuläs­sig ist. Unab­hän­gig davon wird das alles ent­schei­dende Kri­te­rium sein, ob Ärzte sich ohne Zeit­ver­lust in den Befun­den zurecht fin­den kön­nen. Sollte dies vor allem im Spi­tals­am­bu­lanz­be­reich zu einer zeit­rau­ben­den Büro­kra­tie wer­den, wer­den die mög­li­chen Vor­teile des genaue­ren Arbei­tens durch ELGA durch die zeit­fres­sende Büro­kra­tie gänz­lich in den Schat­ten gestellt werden.

Ganz grund­sätz­lich gewinnt man den Ein­druck, dass es viele Über­schrif­ten im Regie­rungs­pro­gramm gibt, die sehr viel Spiel­raum zur Inter­pre­ta­tion zulas­sen. Wie sehen Sie das?
Das Regie­rungs­pro­gramm ist immer nur so gut, wie es ein Part­ner umsetzt. Da habe ich lei­der mit Stö­ger meine nega­ti­ven Erfah­run­gen gemacht. Im letz­ten Regie­rungs­pro­gramm ist zum Bei­spiel die Umset­zung eines Haus­arzt­mo­dells gestan­den. Und der Minis­ter hat fünf Jahre lang nichts gemacht. Anstatt des­sen hat er sich mit ELGA und mit einer Gesund­heits­re­form, wo aus­drück­lich die Ein­bin­dung der Ärzte nicht erwünscht war, beschäf­tigt. Ich hoffe, er ändert da sei­nen Stil.

Wie kann es jetzt bes­ser funk­tio­nie­ren?
Ich will mit allen, ins­be­son­dere mit Ärz­ten, die den wich­tigs­ten Teil der Gesund­heits­ver­sor­gung dar­stel­len, wert­schät­zend umge­hen und nicht drü­ber­fah­ren. Weil Ärzte sind die Exper­ten, so wie Rich­ter und Anwälte die Exper­ten im Jus­tiz­be­reich sind oder Leh­rer die Exper­ten im Bereich der Schul­bil­dung sind. Und das kann man nicht ein­fach weg­wi­schen. Ein Gesund­heits­we­sen ohne die Mit­ar­beit der Ärzte ist undenk­bar. Die Ärzte sol­len nicht erste Reihe fuß­frei zuschauen, son­dern ich will, dass sie mit­ar­bei­ten. Meine Vision ist, dass wir mit zufrie­de­nen Ärz­ten unse­ren Pati­en­ten ein Welt­klasse-Sys­tem anbie­ten können.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 3 /​10.02.2014