Gesundheitsausgaben in den USA: Kostenexplosion gestoppt

25.09.2014 | Politik

Nach Jahren der Kostenexplosion haben die USA den Anstieg der Gesundheitsausgaben gestoppt: Sie sind bereits zum vierten Mal in Folge zurückgegangen. Allerdings sind laut Gesundheitsexperten die privaten Gesundheitskosten in den vergangenen zehn Jahren sogar um 140 Prozent gestiegen.Von Nora Schmitt-Sausen

Was sich durch Studien und Umfragen bereits angedeutet hat, wird nun auch offiziell bestätigt: In den USA ist der Trend, dass die Kosten im Gesundheitswesen explodieren, gestoppt. Im Jahr 2012 stiegen die Ausgaben so moderat wie selten zuvor. Bereits zum vierten Mal hintereinander gibt es eine fallende Tendenz. Es sei ein „signifikanter Abwärtstrend“ zu spüren, formuliert die OECD in ihrer Gesundheitsstatistik 2014.

Über die Gründe wird spekuliert: Die OECD nennt Preisveränderungen bei Arzneimitteln und im Krankenhaussektor als Ursachen für den Ausgabenrückgang. In anderen Studien werden vor allem die Rezession und die schwache US-Konjunktur herangezogen. Diese hätten dazu geführt, dass die US-Bürger weniger für Gesundheit ausgaben. Außerdem sei von der Regierung weniger Geld für die Staatsprogramme bereitgestellt worden. Einige Experten rechnen den Rückgang den Umwälzungen zu, die durch die Gesundheitsreform durch das System gehen.

Wer oder was auch immer für den Trend verantwortlich sein mag, für die renommierte englische medizinische Fachzeitschrift „The Lancet“ kommt die Entwicklung zu einem bemerkenswerten Zeitpunkt. Sie trete in einer Phase auf, in der die USA eine umfassende Reform des Gesundheitswesens begonnen hätten und weiteren 1,3 Millionen Menschen Versorgungsleistungen bieten. (Stand 2011).

Primäres Ziel der US-Gesundheitsreform ist es, den Versicherungsschutz auf 95 Prozent der US-Bürger auszuweiten. Zeitgleich verfolgt die Reform mehrere Ansätze, um die Ausgaben im kostenintensiven US-amerikanischen System zu drücken. Das Gesetz setzt – beispielsweise innerhalb der staatlichen Seniorenversicherung Medicare – Stellschrauben an, um Überversorgung und Verschwendung zu reduzieren. Versorgungseinrichtungen erhalten weniger Geld, Bezahlungsmodelle werden geändert und höhere Beteiligungen von finanzkräftigen Patienten eingefordert. Auch der Medikamentenmarkt ist nicht zuletzt durch die Reform in Bewegung geraten. Die Versicherer üben beispielsweise zunehmend Druck auf die Pharmaindustrie aus, indem sie die Kostenübernahme für einige Medikamente aus ihren Versicherungsplänen herausnehmen, bis die Industrie die Preise dafür senkt.

Auch wenn derzeit noch nicht messbar ist, ob das junge Gesetz tatsächlich für den Kostenrückgang mitverantwortlich ist, so wird der US-Regierung von unabhängigen Analysten ein erheblicher Einfluss bei der künftigen Entwicklung des stark privat dominierten Gesundheitswesens zugesprochen. Gesundheitsexperten glauben, dass weitere Schritte nötig sind, um den Trend zu einer Konstanten zu machen.

Laut einem OECD-Bericht, für den die Gesundheitsausgaben der USA mit den kostenintensiven Systemen von Kanada, Frankreich, Deutschland, der Niederlande und der Schweiz verglichen wurden, setzte der Ausgabenrückgang bereits an, bevor die USA von der Finanzkrise hart getroffen wurde. Der Report analysierte die Jahre 2000 bis 2011. Gleichwohl urteilen die Autoren, die anziehende USKonjunktur könne sich negativ auswirken: „Das Risiko, dass eine dauerhafte Erholung der Konjunktur und die damit wahrscheinlich einhergehenden Preisanstiege die gemachten Fortschritte der vergangenen Jahre zunichte machen, ist real“, kommentierte OECD-Gesundheitsexperte Franco Sassi.

In den USA vermag derzeit noch niemand zu prognostizieren, ob das gebremste Wachstum bei den Gesundheitsausgaben mehr als ein Trend ist oder ob die Kosten in dem Moment hochschnellen werden, in dem die Konjunktur wieder dauerhaft Fahrt aufnimmt. In der Vergangenheit trat genau dies nach Phasen des Ausgabenrückgangs ein.

Gesundheitsreform: Prognosen revidiert

Aktuell tragen die sinkenden Gesundheitsausgaben auch mit dazu bei, dass die Kosten für die Gesundheitsreform nach unten korrigiert werden konnten. Die offiziellen Prognosen für einen Zehnjahreszeitraum liegen heute 100 Milliarden Dollar unter den Kosten, die einst für die Reform kalkuliert wurden.

Die positiven Statistiken bedeuten allerdings noch lange nicht, dass auch die Brieftaschen der Bürger entlastet werden. Ihre Belastungen sind weiter immens. „Der Rückgang bei den Gesundheitskosten ist für den Durchschnittsbürger völlig realitätsfern“, sagte Drew Altman, Präsident der unabhängigen Kaiser Family Foundation, gegenüber der „New York Times“. Die Gesundheitsexperten sähen nur die Gesamtsumme. Die Kosten, die von den Bürgern im Gesundheitssektor getragen würden, seien in den vergangenen zehn Jahren sogar um 140 Prozent gestiegen. Als Hauptgründe nennt Altman die gestiegene Anzahl von Leistungen, die Patienten aus eigener Tasche bezahlen müssten.

Eine frohe Kunde gibt es allerdings auch für die US-Bürger: Im Zeitalter von Obamacare sind die Versicherungsprämien bislang geringer gestiegen, als es Analysten angenommen hatten.

Die Gesundheitsausgaben im Detail

Die Gesundheitsausgaben in den USA betrugen im Jahr 2012 exakt 16,9 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP). Dies ist weiterhin der höchste Wert aller OECD-Länder (OECDDurchschnitt: 9,3 Prozent). Allerdings lag die Wachstumsrate 2012 lediglich noch bei zwei Prozentpunkten und damit unterhalb des OECD-Durchschnitts.

Im Gegensatz zu vielen anderen Staaten splitten sich die Ausgaben in den USA in gleichen Teilen zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor. Lediglich 48 Prozent der US-Gesundheitsausgaben wurden 2012 durch die öffentliche Hand finanziert (OECD Durchschnitt: 72 Prozent).

Zum Vergleich: In Österreich beliefen sich die Gesamtausgaben für Gesundheit im Jahr 2012 auf 11,1 Prozent des BIP. Im Vergleich zum Vorjahr gab es bei den Gesundheitsausgaben einen Anstieg von drei Prozent. Die öffentliche Hand trägt 76 Prozent der Ausgaben.

Quelle: OECD

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 18 / 25.09.2014