Enquete – Würde am Ende des Lebens: Keine Frage des Geldes

25.11.2014 | Politik

Die Würde am Lebensende und somit auch das Sterben in Würde standen im Mittelpunkt der ersten öffentlichen parlamentarischen Enquete Anfang November in Wien. Von Agnes M. Mühlgassner

Mit „Simplexity“ umschreibt Elisabeth Steiner, Richterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, die „Problemsituation, mit der wir hier konfrontiert sind“. Es geht bei der Enquete u.a. darum, ob und wie verfassungsrechtlich ein Verbot der Tötung auf Verlangen verankert werden soll. Steiner zieht in ihren Ausführungen die Parabel vom „Kleinen Prinzen“ von Saint-Exupéry heran: eine „Geschichte des Verlassens und Gehenlassens“, wie sie sagt. Und weiter: „Wir müssen alle Sterben erleben. In Würde sterben bedeutet, das Leben in Würde beenden.“

Was die rechtliche Situation in Österreich anlangt, so sei diese mit dem Verbot der Sterbehilfe im Strafrecht in Übereinstimmung mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Diese Regelung sei „ausreichend“, befindet Steiner. Laut dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bestehe kein Recht des Einzelnen, den Staat zu verpflichten, Handlungen zu gestatten, die den Tod herbeiführen. Der Staat habe vielmehr das Leben der Menschen zu schützen. „Macht die aktive Abschaffung des Leidens die Türe offen zur Abschaffung des Leidenden?“ – stellt Elisabeth Steiner als Frage in den Raum.

„An der Hand eines Menschen sterben und nicht durch die Hand eines Menschen“ – zitiert Univ. Prof. Günter Virt, Mitglied der European Group on Ethics in Science and New Technologies, Kardinal Franz König. Für den ehemaligen Leiter des interdisziplinären Instituts für Ethik in der Medizin – später erweitert in „Ethik und Recht in der Medizin“ – geht es um eine nachhaltige Absicherung der in Österreich „bewährten Rechtslage“. Virt konstatiert, dass wir „in einer Zeit leben, in der die Autonomie“ alles überrage. Jedoch: „Jede überzogene Autonomie, die Tötung auf Verlangen einschließt, liefert Ärzte einem subtilen Druck aus. Es geht um eine Richtungsentscheidung“, so der Ethik-Experte. Die Palliativmedizin müsse „flächendeckend“ ausgebaut und deren Finanzierung sichergestellt werden – „nachhaltig“, wie er betont.

Dass es nicht nur hier sondern auch in punkto Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht, viel zu tun gibt, betont Maria Kletecka-Pulker, Geschäftsführerin des Instituts für Ethik und Recht in der Medizin und Mitglied der Bioethikkommission. Beide Möglichkeiten – Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht – stünden in Österreich zur Verfügung – würden jedoch „wenig“ genutzt.

Ethik der Achtsamkeit

Eine „durch und durch kommunikative Medizin“ fordert der Präsident der Österreichischen Palliativgesellschaft, Harald Retschitzegger. Wobei er damit nicht so sehr das Reden meint, sondern vielmehr das Zuhören: was die Betroffenen brauchen und was sie möchten. Geht es nach seinen Vorstellungen, soll der „Ethik der Autonomie“ eine „Ethik der Achtsamkeit“ gegenübergestellt werden.

Die Anzahl der Palliativbetten sieht Waltraud Klasnic, Präsidentin des Dachverbandes Hospiz Österreich, „zu 90 Prozent“ gegeben. Anders hingegen verhält es sich bei den Hospizbetten. An neun Standorten in drei Bundesländern gibt es gerade einmal 87 Betten. Klasnic ortet hier Aufholbedarf; Hospiz- und Palliativversorgung müsste für alle „erreichbar, zugänglich und leistbar sein“.

Das ist – jedenfalls derzeit – nicht immer so. Klasnic berichtet von zwei Studenten, deren Mutter die letzte Phase ihres Lebens in einem Hospiz verbringen sollte. Als die beiden erfuhren, dass das täglich 170 Euro kostet, lautete ihre Reaktion: „Das können wir uns nicht leisten.“

Details zur Enquete-Kommission

Die Einsetzung einer Enquete-Kommission zum Thema „Würde am Ende des Lebens“ hat der Hauptausschuss des Nationalrats – aufgrund eines Antrags aller sechs Parlamentsklubs – im Juni 2014 beschlossen. Gertrude Aubauer (V) ist Obfrau; Johannes Jarolim (S) und Dagmar Belakowitsch-Jenewein (F) ihre Stellvertreter.

Der Kommission gehören 18 stimmberechtigte Mitglieder an; jeweils fünf Mitglieder stellen SPÖ und ÖVP, die FPÖ vier, die Grünen zwei, Team Stronach und NEOS je einen Abgeordneten; ebenso auch Mitglieder des Bundesrates, Expertinnen der einzelnen Parlamentsklubs, Vertreter der Bundesregierung, der Gebietskörperschaften, der Religionsgemeinschaften, der Bioethik-Kommission, der Zivilgesellschaft sowie Berufsgruppenvertreter und Universitätsvertreter.

Die Kommissionsmitglieder sollen sich mit der Möglichkeit der verfassungsrechtlichen Verankerung des Verbots der Tötung auf Verlangen und des sozialen Grundrechts auf würdevolles Sterben befassen. Weitere Themen: Hospiz- und Palliativversorgung, Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht.

Situation in Deutschland

Eine intensive Debatte über Sterbehilfe ist derzeit auch in Deutschland im Gang. Mitte Oktober hat eine Gruppe von Bundestagsabgeordneten um Peter Hintze (CDU) und Carola Reimann (SPD) fraktionsübergreifend eine gesetzliche Regelung zum assistierten Suizid vorgelegt. Die Abgeordneten wollen im Bürgerlichen Gesetzbuch klar regeln, dass Ärzte unter strengen Voraussetzungen unheilbar Kranken beim Sterben helfen dürfen. Sieben Bedingungen müssen dabei erfüllt sein: Der Patient muss volljährig und voll einwilligungsfähig sein, an einer unumkehrbar tödlichen Krankheit leiden, einen „extremen“ Leidensdruck verspüren, ein Beratungsgespräch muss erfolgen, nach dem „Vier-Augen-Prinzip“ ein zweiter Arzt hinzugezogen werden; auch soll der Patient beim Suizid selbst handeln müssen.

Dazu Bundestags-Vizepräsident Hintze: „Wir wollen schwer leidenden Menschen ein Sterben in Würde ermöglichen.“ Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) hingegen will ausnahmslos jede Form der organisierten Sterbehilfe unter Strafe stellen. Seiner Ansicht nach werde die Würde eines Schwerstkranken am besten gewahrt, indem er „Zuwendung“ und „bestmögliche“ Pflege erhalte.

Ablehnung für den Entwurf kommt von der Deutschen Bundesärztekammer. Deren Präsident Frank Ulrich Montgomery erklärte dazu: „Wer den assistierten Suizid auf diese Art und Weise rechtlich begründet, der macht ihn überhaupt erst gesellschaftsfähig.“ Montgomery verwies darauf, dass der Deutsche Ärztetag 2011 mit Dreiviertel Mehrheit beschlossen hatte, dass Beihilfe zum Suizid keine ärztliche Aufgabe sei. Deswegen sei die aktive Sterbehilfe über das Berufsrecht verboten worden.

Würde der vorliegende Gesetzesentwurf umgesetzt, würden die Patienten ein tödlich wirkendes Medikament erhalten oder eine Maschine zur Tötung zur Verfügung gestellt bekommen. Montgomery dazu: „Schließlich soll der Arzt dann noch Hilfestellung bei der Selbsttötung leisten und eine medizinische Begleitung auf der Grundlage ärztlicher Fachkenntnis liefern. Damit ist die Grenze zur Tötung auf Verlangen klar überschritten.“

Die nächste öffentliche Sitzung der Enquete-Kommission ist Ende November vorgesehen.

Quelle: APA

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 22 / 25.11.2014