Wie kann man in Zukunft im Spitalswesen die Versorgung in gewohnter Qualität erhalten und zugleich lebbare, attraktive Arbeitsbedingungen schaffen? Darüber diskutierten Experten kürzlich bei einer Enquete der Bundeskurie Angestellte Ärzte der ÖÄK.
Von Marion Huber
Wir wollen die Zukunft gestalten“, betonte ÖÄK-Präsident Artur Wechselberger zu Beginn einer Enquete der Bundeskurie Angestellte Ärzte der ÖÄK, die ganz im Zeichen der Zukunft des Spitalswesens stand. Wenn man die Zukunft auch nicht vorhersehen könne, sei sie doch planbar, so Wechselberger weiter: „Mit der Initiative ‚Spitalsärztin/Spitalsarzt 2025‘ kann das gelingen.“ Die Bundeskurie Angestellte Ärzte hat sich in einem Prozess proaktiv mit den derzeitigen Problemfeldern befasst und sich Gedanken darüber gemacht, wie man als Spitalsarzt/Spitalsärztin 2025 arbeiten könnte. Dazu der Kurienobmann der Angestellten Ärzte in der ÖÄK, Harald Mayer: „Diejenigen, die die Verantwortung für die optimale Behandlung der Patienten tragen, sollen auch die Strukturen und Prozesse mitbestimmen und ihre Standpunkte darlegen können, damit die Gesundheitsversorgung der österreichischen Bevölkerung nicht ausschließlich nach wirtschaftlichen Kriterien gesteuert wird.“ Das Konzept „Spitalsärztin/Spitalsarzt 2025“ – es befasst sich mit neuen Organisationsund Kooperationsstrukturen, die Ärzten und Patienten Vorteile bringen – wurde von der Bundeskurie einstimmig beschlossen (siehe dazu ÖÄZ 15/16 vom 15. August 2014).
Dieses Konzept liegt nun auf dem Tisch und es wäre „ein richtiger Weg, um das Spitalswesen für künftige Herausforderungen aufzustellen und nachhaltig zu sichern“, ist Mayer überzeugt. „Wir brauchen Neuregelungen für den Zugang zum Spital, die einerseits die Ambulanzen entlasten und andererseits die Patientenströme besser koordinieren sollen“, betonte er. Und weiter: „An uns scheitert es nicht.“ Die Bundeskurie stehe jederzeit für konstruktive Gespräche zur Verfügung. Denn eines ist für ihn klar: „Auch noch so gute Konzepte können nur dann leben, wenn wir die Ärzte dafür haben.“ Genau hier liege das Problem: Den Ärztemangel gebe es nicht mehr nur in der Peripherie; er sei schon im Zentralraum angekommen.
Abwandern der „klugen Köpfe“
Auch Univ. Prof. Günter Neubauer, Volkswirt und Direktor des Instituts für Gesundheitsökonomik in München (IfG), sieht die Gefahr, dass der „brain drift“ – „das Abwandern der klugen Köpfe“ – innerhalb der EU kaum aufzuhalten ist. Während österreichische Ärzte vermehrt in die deutschsprachigen Nachbarländer abwandern, habe man in Deutschland mit der Konkurrenz durch Norwegen und Großbritannien zu kämpfen. Was dort besser ist? Das Einkommen und immer mehr auch die Lebens- und Arbeitsbedingungen seien entscheidend – nur wenn sie attraktiv sind, könne man gute Ärzte bekommen und halten.
Wann sind Arbeitsbedingungen attraktiv? Wenn die Formen von Zusammenarbeit, Zeiteinteilung und Organisation flexibel sind, waren sich die Experten einig. Franz Harnoncourt, Geschäftsführer der Malteser Deutschland GmbH, sieht Potential in neuen Versorgungsund Kooperationsformen, weil „die Grenzen zwischen ambulant und stationär ohnehin immer mehr verschwimmen“. Ein Spitalsarzt könne ebenso ambulant Leistungen erbringen, ein niedergelassener Arzt wiederum Spitalseinrichtungen nutzen. Kooperieren hieße auch, Leistungen wie etwa Physiotherapie oder Labor auszulagern, indem sie von Dritten vor Ort im Krankenhaus erbracht werden. Chirurg Harnoncourt, der zuletzt im Krankenhaus der Elisabethinen in Linz als Geschäftsführer tätig war, weiß, wie unterschiedlich deutsche und österreichische Strukturen sind: „In Deutschland haben ärztliche Kooperationen viel mehr Freiraum.“ So arbeiten Ärzte aus beliebigen Fachgebieten, fächerübergreifend oder fachgleich, gemeinsam mit anderen Gesundheitsberufen, in beliebiger Anzahl zusammen – die Möglichkeiten sind „grenzenlos“. Vom enormen Potential, das in Kooperationen liegt, ist auch Michael Heinisch, Geschäftsführer der Vinzenzgruppe, überzeugt: „Einsparungen sind hier möglich, ohne dass die Qualität darunter leidet.“ Wenn es nicht derart viele Hemmnisse gäbe: unterschiedliche, vielfach nicht kostendeckende Vergütung je Bundesland und Sektor oder unflexible Organisationsformen und Strukturen würden wirkungsvollen Kooperationen im Weg stehen, so Heinisch.
Doppelprimariat: pro und contra
Den Alltag mit einer weiteren Variante der Kooperation – als „Lone Man Standing“ im Doppelprimariat – schilderten Univ. Prof. Hermann Enzelsberger, Leiter der Abteilungen für Gynäkologie und Geburtshilfe an den Landeskrankenhäusern Steyr und Kirchdorf, und Univ. Prof. Peter Lechner, Ärztlicher Direktor und Abteilungsvorstand der Chirurgie am Universitätsklinikum Tulln. Zwar berge ein Doppelprimariat durchaus Potential, weil etwa Synergien genutzt und Leistungen ausgelagert werden können; zugleich würden Konflikte und Probleme zum Beispiel durch den Faktor Zeit entstehen. Ist der Primar an jeder seiner Abteilungen nur „Teilzeit“ anwesend: Wie viel Information geht dabei verloren? Leidet die Ausbildung der Turnusärzte? Wie groß ist die psychische und physische Belastung für den Primar? Enzelsberger dazu: „Es ist zweifellos eine gewaltige Aufgabe, für die es keinen Beipackzettel mit Risiken und Nebenwirkungen gibt.“
In manchen – vor allem ländlichen Gegenden – sei ein Doppelprimariat eine mögliche Alternative zur Schließung von Standorten und könne unter Umständen die wohnortnahe Versorgung der Bevölkerung sichern. Andernorts könne es aber nur eine Überbrückung darstellen, so die übereinstimmende Meinung der Experten. Auf lange Sicht werde man jedoch nicht umhin kommen, andere und nachhaltigere Lösungen zu finden. Harnoncourt dazu: „Es passiert immer erst dann etwas, wenn der Leidensdruck groß genug ist.“ Der Ärztemangel werde die Veränderungen erzwingen…
Interview – Univ. Prof. Günter Neubauer „Arzt verwaltet Knappheit“ Die Ökonomie gibt dem Arzt Begrenzungen vor, die er gegenüber seinen Patienten verwalten muss. Die Politik komme in dieser Welt der knappen Mittel oft ihrer Verpflichtung nicht nach, kritisiert Univ. Prof. Günter Neubauer, Volkswirt und Direktor des Instituts für Gesundheitsökonomik in München (IfG), im Gespräch mit Marion Huber. Wer entscheidet darüber, was Priorität hat? Welche Rolle kommt dem Arzt zu? Stichwort Work-Life-Balance. Der Trend geht dahin, dass Ärzte lieber angestellt als niedergelassen arbeiten. Warum? |
© Österreichische Ärztezeitung Nr. 21 /10.11.2014