Sexualanamnese in der Praxis: Keine Scheu vor intimen Fragen

10.05.2014 | Medizin

Das Thema Sexualität im Arzt-Patienten-Gespräch komplett zu vermeiden, bezeichnen Experten als größten Fehler. Eine kurze Sexual-Anamnese ist speziell für den Hausarzt ein wichtiges Hilfsmittel. Erleichtert wird ein solches Gespräch durch sensible Fragen.Von Julia Standfest

Wie zufrieden sind Sie mit Ihrem Sexualleben?“ – eine Frage, die für viele Ärzte immer noch ein Tabuthema ist. Dabei ist eine kurze Sexual-Anamnese speziell für den Hausarzt ein wichtiges Hilfsmittel. Anstatt peinlich berührt zu sein, sind viele Patienten dankbar dafür, wenn der Arzt die Sexualität anspricht. „Viele sind sogar froh, dass dieses Thema angeschnitten wurde“, weiß Daniela Dörfler, Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe in Wien.

Allerdings sei es auch wichtig, dass sich „auch der Arzt mit dieser Frage wohl fühlt“, so Dörfler. Und weiter: „Fühle ich mich als Arzt eher unsicher mit einer ausführlichen Sexualanamnese, vernetze ich mich eben und verweise gezielt auf Kollegen, die eine solche durchführen.“ Fehlen sollte die Frage nach Problemen im Sexualleben der Patienten nicht. Dieser Ansicht ist auch Univ. Doz. Christian Fazekas von der Universitätsklinik für Medizinische Psychologie und Psychotherapie der Medizinischen Universität in Graz: „Der größte Fehler wäre es, das Thema komplett zu vermeiden.“ Als Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin begrüßt er ein ganzheitliches Herangehen an den Patienten besonders. Grundsätzlich empfiehlt er, eine Sexualanamnese niemals ohne Rücksicht auf den weiteren Kontext durchzuführen: „Es ist sehr wichtig, ein genaues Bild von seinem Patienten zu haben und auch eine medizinische und psychosoziale Anamnese durchzuführen.“

Bei vielen Krankheitsbildern ist es notwendig, sensible Fragen zu stellen. Etwa bei chronischen Unterbauchschmerzen oder Schmerzen in der Scheide ist die Sexualanamnese unumgänglich. Auch bei unerfülltem Kinderwunsch sollte die Frage nach dem Sexualleben nicht fehlen. Doch nicht nur bei bestimmten Symptomen sollten Hausärzte hellhörig werden, auch bei gewissen Patientengruppen kann eine Sexualanamnese die Diagnose erleichtern und die Behandlungsqualität für den Patienten erheblich erhöhen. „Etwa bei älteren Patienten sollte das Thema ruhig einmal angeschnitten werden wie zum Beispiel im Rahmen einer Gesundenuntersuchung“, rät Dörfler. Auch junge Männer in der Pubertät darauf anzusprechen, hält sie für sinnvoll, wenn „ein langes und gutes Vertrauensverhältnis besteht. Denn sie trauen sich nämlich oftmals nicht von sich aus zu fragen und suchen sich ihre Informationen lieber aus dem Internet.“ Eine direkte Frage, etwa ob Informationen zur Verhütung von Geschlechtskrankheiten gebraucht werden, erleichtert den Einstieg in ein Gespräch.

Guten Einstieg suchen

„Generell sollte es vermieden werden, sein Vis-à-vis mit der Frage nach seinem Sexualleben zu überraschen. Die Erklärung, warum diese Frage gestellt wird, ist oft ein guter Gesprächsbeginn“, rät Fazekas. So kann etwa einem Patienten, der an Diabetes mellitus leidet, durchaus erklärt werden, dass seine Krankheit oft sexuelle Störungen wie Impotenz hervorrufen kann. Ein gezieltes „Wenn Sie damit einverstanden sind, würde ich Sie fragen, ob es bei Ihnen Probleme diesbezüglich gibt?“ wäre beispielsweise ein guter Einstieg in ein solches Gespräch. „Gerade bei Männern“ ortet Fazekas Handlungsbedarf. Für viele Frauen ist der regelmäßige Besuch beim Gynäkologen Routine, Männer suchen in vielen Fällen erst bei Beschwerden den Urologen auf, weswegen dem Hausarzt „eine besonders große Bedeutung zukommt“, unterstreicht der Experte. Auch solle die Beeinträchtigung des Sexuallebens als Nebenwirkung von Medikamenten nicht ignoriert, sondern in einem Gespräch thematisiert werden.

Junge Mütter gezielt informieren

Bei Frauen ist besonders postpartal und in den Wechseljahren eine kurze Sexualanamnese sinnvoll. Speziell im Zusammenhang mit einer vorübergehenden Inkontinenz sind viele junge Mütter dankbar darüber, dass dieses vermeintlich heikle Thema angesprochen wird und nehmen Tipps wie etwa Übungen zur Stärkung des Beckenbodens gut an. Inwieweit im Rahmen des Gesprächs dann in die Tiefe gegangen wird, hängt selbstverständlich vom Verhältnis zwischen Arzt und Patient ab. Auch bei der Frage, ob ein solches Gespräch nur jeweils mit einem Partner oder mit dem Paar geführt wird, gibt es „unterschiedliche Ansätze“, sagt Dörfler. Sie bespricht sexuelle Fragen zunächst einmal mit dem Betroffenen allein: „Wichtig ist es auch, abzuklären, ob eine mögliche Sexualstörung überhaupt ein Problem für den Patienten oder seinen Partner darstellt.“ So sind es beispielsweise bei der erektilen Dysfunktion oft die Partnerinnen, die damit ein Problem haben. „Da gilt es dann auch abzuklären, wie sehr der Patient selbst darunter leidet und es hilft natürlich auch zu fragen, wie denn die generelle Beziehungssituation ist“, führt Fazekas aus.

Weiteres Vorgehen bestimmen

Sind die Probleme einmal benannt, gilt es, das weitere Vorgehen zu bestimmen. „Kann der Hausarzt die Beschwerden nicht beheben, wird der Patient beziehungsweise die Patientin zuerst zum Urologen oder Gynäkologen überwiesen“, so Dörfler. Speziell Frauen sind beruhigt, wenn zuerst organische Ursachen ausgeschlossen werden können. Erst dann ist die Konsultation eines Sexualtherapeuten sinnvoll. „Es ist immer gut, dem Patienten gleich zu Beginn des Prozesses aufzuzeigen, dass sein Leiden verschiedene Ursachen haben kann“, so Fazekas.

Information reicht oft schon aus

„Viele Hausärzte scheuen das Thema auch, weil sie fürchten, die sexuellen Probleme der Patienten nicht beheben zu können“, weiß Fazekas. Das ist allerdings ein Ansatz, der seiner Ansicht nach zu ehrgeizig ist, denn „oft hilft den Patienten die Information an sich schon weiter“. Etwa bei erektilen Dysfunktionen beruhigt manchmal der simple Hinweis eines Arztes, dass diese ab einem gewissen Alter häufiger auftreten oder auch durch Stress und Belastung verursacht werden können. „Das hilft Betroffenen oft enorm“, unterstreicht der Experte. Sein Rat: „Oft geht es nicht darum, vorrangig organische Probleme zu beheben, sondern dem Patienten zu einem Sexualleben zu verhelfen, mit dem er selbst zufrieden ist.“ Dabei reiche es in vielen Fällen, überzogene Erwartungen zu relativieren.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 9 / 10.05.2014

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