Gesprächsführung: Basistool für jeden Arzt

10.11.2014 | Medizin

Rund ein Drittel aller Patienten, die in eine Ordination kommen, weist eine psychosomatische Störung auf. Aufgrund der „Continuity of Care“ hat der Hausarzt die Möglichkeit, psychosoziale Veränderungen zu erkennen und zu beurteilen. Das entsprechende PSY-Diplom der ÖÄK gibt es seit 25 Jahren.
Von Verena Ulrich

Nach moderner, wissenschaftlicher Sichtweise sind der Körper und die Seele untrennbar miteinander verbunden. „30 Prozent der Patienten in Ordinationen haben psychosomatische Störungen“, sagt Joachim Strauß, Arzt für Allgemeinmedizin in freier Kassenpraxis und ÖÄK-Referent für Psychosoziale, Psychosomatische und Psychotherapeutische Medizin. Im Optimalfall lassen Ärzte daher körperliche, psychische und soziale Aspekte in die Diagnose und Behandlung mit einfließen. Dazu bedarf es fachlicher Kenntnisse in psychosomatischer Medizin und Gesprächsführung. Die Österreichische Ärztekammer bietet seit 25 Jahren drei aufeinander aufbauende Weiterbildungsabschlüsse an, um die Kompetenz von Ärzten im psychosozialen, psychosomatischen und psychotherapeutischen Bereich zu stärken.

Die sogenannten PSY-Diplome haben in den 25 Jahren ihres Bestehens einen hohen Stellenwert erlangt, was sich nicht zuletzt in der hohen Anzahl an Absolventen wiederspiegelt. Rund 2.200 Ärzte haben bisher die erste Stufe des Diploms absolviert; 1.900 Ärzte haben das PSY II-Diplom für Psychosomatische Medizin abgeschlossen und circa 1.300 Ärzte sind Absolventen aller drei Teile des PSY-Diploms, was einer vollwertigen psychotherapeutischen Ausbildung entspricht. Die drei Diplome umfassen zusammen eine Ausbildungsdauer von 2.200 Stunden, die üblicherweise in ungefähr sieben Jahren absolviert werden. Die Diplome richten sich keineswegs nur an Psychiater, sondern an Ärzte aus allen Fachrichtungen mit Patientenkontakt. „Das Zentrale an jeder ärztlichen Behandlung ist die Arzt-Patientenbeziehung. Qualifizierte Gesprächsführung ist wie die Wundversorgung ein Basistool für jeden Arzt, da die Medizin ein kommunikatives Fach ist“, beteuert Strauß. Laut dem Experten seien bei 80 Prozent der Kunstfehler Kommunikationsfehler involviert.

Rund die Hälfte aller PSY-Diplom-Absolventen sind Allgemeinmediziner. Vor allem in der hausärztlichen Praxis kommt der psychosomatischen Medizin große Bedeutung zu. Als erster Ansprechpartner für den Patienten sieht sich der Allgemeinmediziner häufig mit unspezifischen Beschwerden konfrontiert, die keinem Krankheitsbegriff eindeutig zuordenbar sind. „Wir Allgemeinmediziner müssen personenzentriert agieren, im Gegensatz zu den Spezialisten, die häufig krankheitszentriert handeln. Dadurch ist die Beziehung zu unseren Patienten das Zentrale und weniger das detektivische Suchen nach Krankheiten“, sagt der Allgemeinmediziner Bernhard Panhofer – er ist ÖÄK-PSY-Lehrtherapeut und Vorsitzender der Österreichischen Gesellschaft für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin in der Allgemeinmedizin (ÖGPAM). Dazu kommt, dass der Hausarzt seine Patienten, ihr soziales Umfeld und die nicht nur gesundheitlichen Probleme oft über viele Jahre kennt. Aufgrund der „Continuity of Care“ hat der Hausarzt die Möglichkeit, psychosoziale Veränderungen zu erkennen und zu beurteilen. Die gewachsene Beziehung ermöglicht eine vertrauensvolle Gesprächsbasis und somit auch die Integration des psychosomatischen Ansatzes in die Behandlung. „Der Allgemeinmediziner muss sich am momentanen Bedarf des Patienten orientieren. Die Frage ist nicht so sehr ‚Was hat der Patient?‘, sondern ‚Was braucht er?‘. Man könnte sogar so weit gehen, dass jede Begegnung des Allgemeinmediziners mit dem Patienten eine psychotherapeutische Bedeutung hat“, betont Panhofer. Besonders für Allgemeinmediziner hält er daher Kompetenzen in psychosomatischer Medizin für absolut notwendig.

Bedarf noch lange nicht gedeckt

Das Ergebnis einer Studie der Medizinischen Universität Graz und der Donau-Universität Krems zeigt, dass die psychosomatische Versorgung in Österreich derzeit noch unzureichend ist. Rund 30 Prozent der Patienten seien demnach unterversorgt. 1.500 weitere Ärzte mit Zusatzausbildung „Psychosomatische Medizin“ wären notwendig, um die flächendeckende Versorgung sicherzustellen. „In Österreich gibt es gute körperlich orientierte und psychisch orientierte Angebote. Doch die Brücke zwischen beiden fehlt“, so Univ. Doz. Christian Fazekas, Leiter der Klinischen Psychosomatik an der Medizinischen Universität Graz, ÖÄK-PSY-Lehrtherapeut und Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin (ÖGPPM). Fazekas weiter: „Durch gezielte körperliche und psychosomatische Diagnostik und Behandlung würde sich der oft lange und unnötig teure Leidensweg für Patienten verkürzen. Nicht zuletzt würde die Maßnahme auch zu einer Kostenreduktion im Gesundheitsbereich führen. Beispielsweise zählt die somatische Abklärung von funktionellen Störungen derzeit noch zu den teuersten diagnostischen Kategorien.“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 21 / 10.11.2014