Forensisch-psychiatrisches Gutachten: Qualifiziert Stellung nehmen

10.04.2014 | Medizin

Besonders im forensisch-psychiatrischen Bereich stellt die gutachterliche Tätigkeit eine Herausforderung dar. Im von der ÖÄK angebotenen Post-Graduate-Lehrgang „Forensisch-psychiatrisches Gutachten“ werden die Besonderheiten des Fachs aufgezeigt und auch entsprechende Fertigkeiten vermittelt.

Die Rolle des Gutachters – speziell im forensisch-psychiatrischen Bereich – ist zum Teil „schwierig“, wie Univ. Prof. Reinhard Haller, Chefarzt des Krankenhauses Maria Ebene in Frastanz in Vorarlberg erklärt. Der Grund: „Man muss nicht als Therapeut, sondern als neutraler Helfer oder sogar Gegner auftreten“, führt der Psychiater weiter aus. Da der Gutachter vor Gericht als Gehilfe oder Beweismittel auftrete, seien eine gewisse „Streitfähigkeit, aber auch Resistenz und rhetorische Qualitäten“ nötig.

Grundsätzlich werden psychiatrische Gutachten, die dem Richter als Entscheidungshilfe dienen, nur von Sachverständigen erstellt. In erster Linie geht es dabei darum, dass die Fachexpertise und die Erfahrung des Gutachters in einem bestimmten Fachgebiet das Wissen des Richters in Bezug auf den zu klärenden Sachverhalt ergänzen. Umso wichtiger sei es daher, dass schriftliche Sachverständigengutachten klar strukturiert seien und internationale Standards erfüllen. Haller weiter: „Nirgends stellt sich die Psychiatrie so sehr ins Schaufenster wie in der Forensik.“ Der Psychiater ist verantwortlich für das von der ÖÄK angebotene Diplom „Forensisch-psychiatrisches Gutachten“. Bisher mussten sich Psychiater, die in diesem Bereich als Gutachter tätig waren, ihr Wissen autodidaktisch aneignen und quasi „im Alleingang“ praktische Erfahrungen im Gerichtssaal sammeln.

Was mit dem Diplom erreicht werden soll? Ziel ist es, die Qualität von forensisch-psychiatrischen Gutachten zu erhöhen, insbesondere im Bereich der Prognostik sowie eine Vereinheitlichung der diesbezüglichen Standards. „Ähnlich wie in Deutschland und in der Schweiz soll damit eine Zusatzqualifikation geschaffen werden, die von der Österreichischen Ärztekammer anerkannt ist“, erklärt der Experte.

Die „Gutachterei“ – wie Univ. Prof. Peter Hofmann, stellvertretender Vorstand der Universitätsklinik für Psychiatrie in Graz sie bezeichnet – stelle in der Psychiatrie etwas „Besonderes“ dar, das zwar über eine große Tradition, aber keine systematische Ausbildung verfüge. Im Rahmen des ÖÄKDiploms „Forensisch-psychiatrisches Gutachten“ werden die Lehrinhalte in Blöcke gegliedert. Darin geht es um Grundsätzliches wie den Aufbau und das Verfassen von Gutachten unter Berücksichtigung der möglichen Fehlerquellen; weiters um Explorationstechniken, Qualitätsstandards und Verhalten während der Verhandlung. Rechtliche Grundlagen und der Umgang mit psychisch abnormen, kranken und abhängigen Rechtsbrechern werden in einem separaten Modul behandelt. Auch die Erstellung von Prognose-Gutachten, die Handhabung von Prognoseinstrumenten, spezielle gutachterlich-prognostische Probleme und sonstige gutachterliche Fragestellungen werden behandelt.

Das Themenspektrum ist weit gefasst: Es reicht von der Feststellung der Zurechnungsfähigkeit, der Arbeitsfähigkeit und Geschäftsfähigkeit bis hin zur Abklärung „von seelischen Schmerzen und schweren psychischen Symptombildungen, deren Ausmaß und Auswirkungen auf den Betroffenen es zu erheben gilt“, wie Hofmann erklärt. Wie insgesamt die psychiatrischgutachterliche Tätigkeit ein sehr umfangreiches Gebiet darstelle, wenn auch der Schwerpunkt „eindeutig“ beim alten Menschen liege. Steigende Tendenz gibt es hier speziell bei den Bereichen Testament, Sachwalterschaft und Einweisungen in geschlossene Anstalten.

Vermittlung von Know How

Im Rahmen dieser berufsbegleitenden Weiterbildung geben erfahrene Kollegen ihr Know How weiter und vermitteln Kriterien, mit Hilfe derer die Qualität von forensischpsychiatrischen Gutachten auf ein international anerkanntes Niveau gehoben werden soll. Das ÖÄK-Diplom richtet sich vor alleman Fachärzte für Psychiatrie sowie an alle sogenannten „alten Doppelfächer“, die als gerichtlich zertifizierte Sachverständige tätig werden wollen, wie der stellvertretende PPP-Referent der Ärztekammer Steiermark, Dietmar Bayer, erklärt. Was man mit der zertifizierten Zusatz-Ausbildung erreichen will? „Damit wird die Qualität der forensisch-psychiatrischen Gutachten auf einen neuen Standard gehoben“, betont Bayer. Vor allem für junge Kolleginnen und Kollegen sei damit die Möglichkeit gegeben, sich „frühzeitig mit gutachterlicher Tätigkeit auseinanderzusetzen“.

Ein weiteres erklärtes Ziel ist auch, „möglichst viele Kolleginnen und Kollegen für die forensische Psychiatrie zu begeistern“, wie Haller ausdrücklich betont. Das Interesse an einer solchen Tätigkeit sei zwar grundsätzlich groß, jedoch hätten sich in letzter Zeit „wegen der heftigen Kritik an psychiatrischen Gutachten und auch wegen der sehr schlechten Bezahlung“ immer weniger Kollegen bereit erklärt, gutachterlich tätig zu sein. Was schließlich auch dazu geführt habe, dass „diese wichtige ärztliche Tätigkeit immer mehr von klinischen Psychologen übernommen worden ist“, wie Haller aus der Praxis weiß. Hier soll der Diplomlehrgang Abhilfe schaffen: In Kürze werden rund 140 Psychiater das Diplom „Forensisch-psychiatrisches Gutachten“ erhalten. Auch ist geplant, dass es künftig im Rahmen der DFP-Fortbildung einen forensischen Tag geben soll, an dem sich die als Gutachter tätigen Psychiater vernetzen und über spezielle Fälle austauschen können.

Dass die schwierigen methodologischen Probleme in der psychiatrischen Begutachtung immer auf die Mangelhaftigkeit der Gutachter zurückgeführt werden, lässt Haller nicht gelten. Die Gutachten selbst seien häufig von hoher Qualität, jedoch sei die Materie selbst – im Gegensatz zu anderen naturwissenschaftlichen Disziplinen – kaum fassbar. „Darum ist ein gewisser Ermessensspielraum immer gegeben“, sagt der Experte.
IM

Tipp:
Eine spezielle Fortbildung zum Thema „Forensisch-psychiatrisches Gutachten“ mit Fallbeispielen aus der Praxis gibt es im Rahmen der Grazer Fortbildungstage am 10. Oktober 2014. Details dazu folgen in Kürze.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 7 / 10.04.2014

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