DRESS-Syn­drom: Viel­schich­tig und komplex

10.02.2014 | Medizin

Wenn auch die Initi­al­sym­ptome des DRESS-Syn­droms einem grip­pa­len Infekt ähn­lich sind, kann die­ses als Reak­tion auf ver­schie­dene Medi­ka­mente zu unter­schied­li­chen Organ­ma­ni­fes­ta­tio­nen füh­ren. Typisch sind: Gesichts­ödem, Hepato­me­ga­lie, erhöhte Leber­en­zyme.
Von Irene Mlekusch

Bei DRESS – Drug Reac­tion with Eosi­no­phi­lia and Sys­te­mic Sym­ptom – han­delt es sich um ein viel­schich­ti­ges, kom­ple­xes Krank­heits­bild. Als Hyper­sen­si­ti­vi­täts­syn­drom kann es als Reak­tion auf ein­zelne Medi­ka­mente je nach Aus­lö­ser zu unter­schied­li­chen Organ­ma­ni­fes­ta­tio­nen füh­ren. Die Initi­al­sym­ptome ähneln denen eines grip­pa­len Infekts, mit hohem Fie­ber und Schwä­che­ge­fühl. Bei vie­len Pati­en­ten fin­det sich ein auf Beine und Stamm beschränk­tes makul­o­pa­pu­lö­ses Exan­them. Im Gegen­satz zu ande­ren Arz­nei­mit­tel­re­ak­tio­nen typisch ist – als Aus­druck einer erhöh­ten Gefäß­per­mea­bi­li­tät – ein Gesichts­ödem. Das am häu­figs­ten in Mit­lei­den­schaft gezo­gene Organ ist die Leber, erkenn­bar an einer Hepato­me­ga­lie, vor­über­ge­hend drei- bis fünf­fach erhöh­ten Leber­en­zy­men oder auch einer Koagul­opa­thie. Niere und Lunge sind wei­tere mög­li­che Organ­ma­ni­fes­ta­tio­nen. Grund­sätz­lich kön­nen aber auch eine Kar­di­tis, Pan­krea­ti­tis oder Koli­tis im Rah­men eines DRESS-Syn­droms auf­tre­ten. Fall­weise wur­den auch Beein­träch­ti­gun­gen der Milz, des Zen­tral­ner­ven­sys­tems und der Thy­ro­idea beschrie­ben. Eine Lympha­deno­pa­thie fin­det sich bei mehr als der Hälfte der Patienten.

Abgren­zung: Eosinophilie

Die vis­ze­rale Betei­li­gung unter­schei­det das DRESS-Syn­drom zwar von ande­ren medi­ka­men­tös beding­ten All­er­gien, erschwert dadurch aber auch die Dia­gnose. Vor allem Ver­laufs­for­men ohne Exan­them wer­den rasch einer vira­len oder infek­tiö­sen Ursa­che zuge­ord­net. Im Gegen­satz zu ande­ren infek­tiö­sen Erkran­kun­gen fin­den sich aus­ge­prägte häma­to­lo­gi­sche Abnor­mi­tä­ten wie zum Bei­spiel eine deut­li­che tran­si­ente Eosi­no­phi­lie, aty­pi­sche Lym­pho­zy­ten sowie eine Leuko- und Lym­pho­zy­tose. Für Univ. Prof. Michael Freiss­muth, Lei­ter des Zen­trums für Phy­sio­lo­gie und Phar­ma­ko­lo­gie an der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Wien, stellt die Eosi­no­phi­lie die Abgren­zung zu ande­ren Arz­nei­mit­tel­re­ak­tio­nen dar.

Zur bes­se­ren Iden­ti­fi­zie­rung des DRESS-Syn­droms wurde im Rah­men eines inter­na­tio­na­len For­schungs­pro­jekts über schwere kutane Arz­nei­mit­tel­re­ak­tio­nen ein Scoring-Sys­tem ent­wi­ckelt, wel­ches die wesent­li­chen dia­gnos­ti­schen Eck­pfei­ler wie Fie­ber, Eosi­no­phi­lie, aty­pi­sche Lym­pho­zy­ten, Exan­them und Organ­be­tei­li­gung erhe­ben und die Zuord­nung erleich­tern soll. Als Dif­fe­ren­ti­al­dia­gno­sen kom­men akute virale Infek­tio­nen ebenso in Frage wie mul­ti­sys­te­mi­sche inflamm­a­to­ri­sche Erkran­kun­gen: zum Bei­spiel sys­te­mi­scher Lupus ery­the­ma­to­des, idio­pa­thi­sche hypereo­si­no­phi­lie Syn­drome, kutane T‑Zell-Lym­phome, die eosi­no­phile Cel­lu­li­tis, akute gene­ra­li­sierte exan­the­mi­sche Pus­tu­lose, Sta­phy­loc­co­cal Scald Skin Syn­drom und Arz­nei­mit­tel­re­ak­tio­nen wie das Ste­ven John­son Syn­drom, die toxi­sche epi­der­male Nekro­lyse oder das EMPACT Syndrom.

„Das DRESS-Syn­drom muss im his­to­ri­schen Kon­text gese­hen wer­den“, erklärt Univ. Prof. Alexis Sidoroff von der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Der­ma­to­lo­gie und Vene­ro­lo­gie in Inns­bruck. In den ver­gan­ge­nen Jah­ren und in ver­schie­de­nen Län­dern war und ist das DRESS-Syn­drom unter ver­schie­de­nen Bezeich­nun­gen mehr oder weni­ger bekannt. Drug Hyper­sen­si­ti­vity Syn­drome, Anti­con­vulsant Hyper­sen­si­ti­vity Syn­drome oder Drug-indu­ced delayed mul­ti­or­gan Hyper­sen­si­ti­vity Syn­drome sind einige der bekann­te­ren Bezeich­nun­gen. Japa­ni­sche For­scher spre­chen vom Drug Hyper­sen­si­ti­vity Syn­drome (DHS) und betrach­ten die Virus­re­ak­ti­vie­rung als Defi­ni­ti­ons­grund­lage. Die Reak­ti­vie­rung von Her­pes-Viren erfolgt meist in der zwei­ten oder drit­ten Krank­heits­wo­che und ist mit einem län­ge­ren und schwe­re­ren Ver­lauf asso­zi­iert. Ent­we­der gelingt der Nach­weis der Virus-DNA oder der Anti­kör­per­ti­ter gegen HHV‑6 und HHV‑7 – manch­mal auch gegen CMV oder EBV – ist erhöht. „Das Virus beein­flusst das Arz­nei­mit­tel und schal­tet die Immun­ant­wort um“, beschreibt Freiss­muth die Hintergründe.

Fehl­klas­si­fi­zie­run­gen

Obwohl das Syn­drom mit einer Inzi­denz von 1:1.000 bis 1:10.000 Medi­ka­men­ten­ga­ben eher sel­ten ist, kön­nen die Aus­wir­kun­gen mit einer Mor­ta­li­tät von bis zu zehn Pro­zent fatal sein. Die bei­den Exper­ten gehen von Fehl­klas­si­fi­zie­run­gen im All­tag aus, sodass die Dun­kel­zif­fer nicht abschätz­bar ist. Auf­grund der Viel­sei­tig­keit der Erkran­kung gibt es keine stan­dar­di­sierte Behand­lung. Das aus­lö­sende Medi­ka­ment sollte in jedem Fall so rasch wie mög­lich iden­ti­fi­ziert und abge­setzt wer­den. Sidoroff dazu: „Dabei sollte mit Bedacht vor­ge­gan­gen wer­den. Das Abset­zen aller Medi­ka­mente kann ihre even­tu­ell nötige Wie­der­ein­set­zung schwie­rig gestal­ten.” Der Ein­satz von sys­te­mi­schen Kor­ti­kos­te­ro­iden kann je nach Stärke des Organ­be­falls not­wen­dig wer­den. Ist eine Virus­re­ak­ti­vie­rung nach­weis­bar, kann ein Behand­lungs­ver­such mit Viro­sta­tika sinn­voll sein.

Die Patho­ge­nese des DRESS-Syn­droms ist bis­her nicht voll­stän­dig geklärt; an der Ent­ste­hung der Reak­tion dürf­ten unter­schied­li­che Mecha­nis­men betei­ligt sein. Man erklärt sich das Krank­heits­bild der­zeit durch eine ver­zö­gerte Immun­ant­wort auf spe­zi­elle Medi­ka­mente einer­seits und eine ver­zö­gerte Reak­ti­vie­rung einer laten­ten Her­pes-Virus­in­fek­tion ande­rer­seits. Wobei Sidoroff betont, dass die Virus­re­ak­ti­vie­rung nicht immer nach­weis­bar ist: „Das Vor­han­den­sein von Viren erklärt die Per­sis­tenz der Beschwer­den trotz Abset­zen des Medi­ka­ments.“ Freiss­muth wie­derum spricht von einem immu­no­lo­gi­schen Ereig­nis vom ver­zö­ger­ten Typ und nennt einen Zeit­raum von zwei bis zwölf Wochen nach Medi­ka­men­ten­ein­nahme bis zum Auf­tre­ten der ers­ten Sym­ptome. Vor allem bei Pati­en­ten, die meh­rere Medi­ka­mente ein­neh­men, kann nach einer län­ge­ren Latenz­zeit das wahr­schein­lichste, aus­lö­sende Phar­ma­kon nur ver­mu­tet wer­den. „Der Index­tag der Erkran­kung ist oft schwer zu erken­nen, da nicht immer ein Exan­them vor­han­den ist“, sagt Sidoroff und unter­streicht, dass es nicht mög­lich ist, nach­zu­wei­sen, was tat­säch­lich Aus­lö­ser ist.

DRESS wird von ver­schie­de­nen Medi­ka­men­ten aus­ge­löst. Zu den häu­figs­ten gehö­ren Anti­kon­vul­siva, Sul­fo­n­amide, Allo­pu­ri­nol, Mino­cy­clin, anti­re­tro­vi­rale Medi­ka­mente, Mexi­le­tin und Nevi­ra­pin. Epi­ku­tane Haut­tests mit mög­li­chen Aus­lö­sern sind häu­fig posi­tiv, las­sen aber vor allem bei nega­ti­vem Test­ergeb­nis keine ein­deu­ti­gen Rück­schlüsse zu. Diese Ergeb­nisse spie­geln eher die hohe Reak­ti­ons­be­reit­schaft der T‑Zellen der Betrof­fe­nen, eine sys­te­mi­sche Reak­tion zu ent­wi­ckeln, wider. Der Lym­pho­zy­ten-Trans­for­ma­ti­ons­test, der vor allem bei Anti­epi­lep­tika eine hohe Sen­si­vi­tät und Spe­zi­fi­tät auf­weist, ist auch bei ande­ren DRESS-asso­zi­ier­ten Phar­maka oft posi­tiv. Mit­un­ter kann eine Dosis­stei­ge­rung zum Aus­bruch des Syn­droms füh­ren; auch die mit DRESS asso­zi­ier­ten Sym­ptome sind dosis­ab­hän­gig. Selbst nach dem Abset­zen des Aus­lö­sers dau­ern die Sym­ptome noch meh­rere Wochen an und die Bes­se­rung schrei­tet nur lang­sam voran.

Auch die Ver­ab­rei­chung von ande­ren Medi­ka­men­ten kann zu einer neu­er­li­chen Sym­ptom­ver­stär­kung, einem soge­nann­ten flare up, füh­ren. „Viele Arz­nei­stoffe sor­gen für Kon­kur­renz. Teil­weise reagie­ren die akti­vier­ten T‑Zellen ent­we­der spe­zi­fisch auf das Medi­ka­ment oder einen Meta­boli­ten des Aus­lö­sers“, erklärt Freiss­muth. Sidoroff macht ande­rer­seits auf die Ten­denz der DRESS-Pati­en­ten auf­merk­sam, auch emp­find­lich auf andere Medi­ka­mente zu reagie­ren. Pro­ble­ma­tisch daran ist, dass die reak­ti­vier­ten T‑Zellen zyto­to­xisch sind und hohe Men­gen an IFNy, IL‑5, IL‑2 und ande­ren Zyto­ki­nen produzieren.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 3 /​10.02.2014