Anti­bio­tika-Ver­ord­nung: Das „Wie” entscheidet

10.04.2014 | Medizin


Das „Wie“ entscheidet

Im Auto­ma­tis­mus bei der Anti­bio­tika-Ver­ord­nung sehen Exper­ten einen Grund, wieso außer den Resis­ten­zen im HNO-Bereich auch jene bei der Behand­lung von Harn­wegs­in­fek­ten zuneh­men. Da es kaum neue Anti­bio­tika gibt, erle­ben „alte“ Sub­stan­zen ein Revi­val.
Von Irene Mlekusch

Inner­halb eines Kran­ken­hau­ses gibt es zwi­schen den ver­schie­de­nen Sta­tio­nen große Unter­schiede in Bezug auf die Resis­ten­zen”, berich­tet Univ. Prof. Wolf­gang Gra­nin­ger, Abtei­lungs­lei­ter der kli­ni­schen Abtei­lung für Infek­tio­nen und Tro­pen­me­di­zin an der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Innere Medi­zin I in Wien. Gra­nin­ger wei­ter: „Gibt es viele resis­tente Keime, muss man den Anti­bio­ti­ka­ver­brauch hinterfragen.“

Immer wie­der wer­den Pati­en­ten aus dem Aus­land mit mul­ti­re­sis­ten­ten Kei­men sta­tio­när auf­ge­nom­men; meist han­delt es sich dabei um mul­ti­re­sis­tente Pseu­do­mo­na­den oder Kleb­si­el­len. Oft müs­sen die Pati­en­ten nicht behan­delt wer­den, da die Keim­flora durch den Kon­takt mit nicht­re­sis­ten­ten Kei­men wie­der ins Gleich­ge­wicht kommt. Vor allem im Spi­tal hat der Mikro­bio­loge eine wesent­li­che Funk­tion, da die Ana­lyse heute wesent­lich schnel­ler erfolgt. Die Unter­su­chun­gen sind PCR-gestützt und – im Gegen­satz zu frü­her, als es vier Tage gedau­ert hat – inner­halb von zehn Minu­ten ver­füg­bar; aller­dings sind sie kostspielig.

„Anti­bio­tika wer­den zur Zeit der Influ­enz­a­sai­son bei Grippe oder grip­pa­lem Infekt oder bei exaz­er­bier­ter COPD nach wie vor zu häu­fig ver­ord­net”, erklärt Univ. Prof. Rosa Bell­mann-Wei­ler von der Abtei­lung für Infek­tio­lo­gie, Immu­no­lo­gie, Tro­pen­me­di­zin, Rheu­ma­to­lo­gie und Pneu­mo­lo­gie an der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Innere Medi­zin VI in Inns­bruck. „Para­me­ter wie CRP als Mar­ker sind bei der Auf­nahme nicht immer gut ver­wert­bar und kön­nen zum Zeit­punkt der Auf­nahme noch nied­rig sein”, betont die Exper­tin. Die Indi­ka­tion zur anti­mi­kro­biel­len The­ra­pie rich­tet sich dem­nach im kli­ni­schen Bereich nach meh­re­ren Fak­to­ren wie kli­ni­scher Prä­sen­ta­tion, Rönt­gen, Labor mit Leu­ko­zy­ten­zahl und CRP. Bell­mann-Wei­ler misst der Erfah­rung der Behan­deln­den große Bedeu­tung bei, ebenso gege­be­nen­falls der Kon­sul­ta­tion von Infek­tio­lo­gen vor Ort. Ihrer Ein­schät­zung nach ist der Anteil der nicht gerecht­fer­tig­ten Anti­bio­tika-The­ra­pie im sta­tio­nä­ren Set­ting „sehr gering“. Und wei­ter: „Auf­grund der regel­mä­ßig durch­ge­führ­ten Vor­un­ter­su­chun­gen in der Not­fall­auf­nahme und der beschränk­ten Bet­ten­ka­pa­zi­tä­ten wer­den durch­wegs nur Pati­en­ten mit schwe­ren Infek­tio­nen oder Exazer­ba­tio­nen auch sta­tio­när aufgenommen.”

Die stei­gende Zahl der Resis­ten­zen gegen­über Anti­bio­tika hat nicht nur nach­hal­tige Fol­gen für die betrof­fe­nen Pati­en­ten, son­dern führt auch zu höhe­ren Spi­tals­kos­ten. Dabei hat sich gezeigt, dass geo­gra­phi­sche Unter­schiede in der anti­bio­ti­schen The­ra­pie mit der geo­gra­phi­schen Varia­tion von Resis­ten­zen kor­re­lie­ren. „In Grie­chen­land oder Rumä­nien kor­re­liert der Penem-Ver­brauch mit der Inten­si­tät der Resis­ten­zen”, erklärt Graninger.

In Öster­reich sind die Ärzte im inter­na­tio­na­len Ver­gleich eher zurück­hal­tend im Umgang mit Anti­bio­tika gewor­den. Dem­entspre­chend ist auch die Rate der Anti­bio­tika-Resis­ten­zen ver­gleichs­weise gering. Man kann davon aus­ge­hen, dass es drei oder vier Anti­bio­tika sind, deren über­mä­ßige Ver­wen­dung zum Ent­ste­hen die­ser Resis­ten­zen geführt hat. Allein in den USA sind Anti­bio­tika-resis­tente Bak­te­rien für bis zu zwei Mil­lio­nen Erkran­kun­gen und etwa 23.000 Todes­fälle ver­ant­wort­lich. An ers­ter Stelle ste­hen Clos­tri­dium dif­fi­cile, Car­ba­pe­nem-resis­tente Ente­ro­bac­te­riaceae und resis­tente Neis­se­ria gonor­rhoeae. Bekannte, weit ver­brei­tete resis­tente Keime sind Van­co­my­cin-resis­tente Ente­ro­coc­cen und der Methi­cil­lin­re­sis­tente Sta­phy­lo­coc­cus aureus. „Außer den Resis­ten­zen im HNO-Bereich sind die Resis­ten­zen im Bereich der Harn­wegs­in­fekt-Behand­lung die zuneh­men­den, da die Anti­bio­ti­ka­ver­ord­nung in Form eines Auto­ma­tis­mus erfolgt”, bedau­ert Gra­nin­ger. Alle Pati­en­ten mit Harn­wegs­in­fekt bekom­men ent­we­der Cipro­flo­xa­cin oder Tri­me­thop­rim noch bevor klar ist, wel­cher Keim ursäch­lich ver­ant­wort­lich ist.

„Anti­bio­tika wer­den durch den Ein­satz von Gene­rika immer bil­li­ger und die Indus­trie ver­liert das Inter­esse daran, neue Anti­bio­tika zu ent­wi­ckeln”, ist Gra­nin­ger über­zeugt. Bell­mann-Wei­ler ergänzt: „Gerade für Gram-nega­tive Erre­ger sind zuletzt keine neuen Anti­bio­tika auf den Markt gekom­men und auch für Gram-posi­tive, ins­be­son­dere resis­tente Keime, gab es kaum neue Ent­wick­lun­gen.” Das führte zuletzt dazu, dass alte, zum Teil wegen schwer­wie­gen­der Neben­wir­kun­gen in der Ver­sen­kung ver­schwun­dene Anti­bio­tika ein Revi­val erle­ben. Diese Medi­ka­mente wer­den nun­mehr in rezen­ten Stu­dien neu bewer­tet; die poten­ti­el­len Neben­wir­kun­gen aber blei­ben bestehen und erfor­dern Alert­ness. „Inso­fern ist der Wie­der­ein­satz von alten Anti­bio­tika wie Colis­tin, Ami­no­gly­ko­si­den oder Sul­bac­tam eine gute Ent­wick­lung”, meint auch Gra­nin­ger, wenn­gleich er anmerkt, dass eigent­lich genü­gend Anti­bio­tika zur Ver­fü­gung ste­hen, sie nur sinn­voll und rich­tig ein­ge­setzt wer­den müss­ten. „Mehr denn je ist der adäquate Ein­satz von Anti­bio­tika in der rich­ti­gen Dosie­rung und unter Berück­sich­ti­gung der loka­len Resis­tenz­lage von Bedeu­tung”, fasst Bell­mann- Wei­ler zusammen.

Oft lie­gen bei der Behand­lung von Atem­wegs­in­fek­tio­nen erheb­li­che Wis­sens­de­fi­zite vor. Im nie­der­ge­las­se­nen Arbeits­be­reich fehlt mit­un­ter auch ein Rück­kopp­lungs­me­cha­nis­mus, der es den Ärz­ten erlau­ben würde, aus dem Feed­back des Pati­en­ten bezüg­lich Ein­nahme und Krank­heits­ver­lauf wei­tere the­ra­peu­ti­sche Rück­schlüsse zu zie­hen. „Zur Zeit der so genann­ten Grip­pe­welle ist der prak­ti­sche Arzt vor allem kli­nisch sehr gefor­dert”, bestä­tigt Bell­mann-Wei­ler. Die Unter­schei­dung zwi­schen Grippe – mit den typi­schen Sym­pto­men -, grip­pa­len Infek­ten und bak­te­ri­el­len Infek­tio­nen bezie­hungs­weise einer mög­li­chen Super­in­fek­tio­nen auf einem vira­len Infekt kann unter Umstän­den sehr schwie­rig sein, vor allem bei älte­ren Menschen.

Zu oft: Anti­bio­tika bei Halsschmerzen

Spe­zi­ell bei Per­so­nen, die wegen Hals­schmer­zen oder Bron­chi­tis einen Arzt auf­su­chen, wer­den viel zu oft Anti­bio­tika ver­schrie­ben. Obwohl nur einer von zehn Pati­en­ten mit Hals­schmer­zen tat­säch­lich an einer bak­te­ri­el­len Infek­tion – meist durch Strep­to­kok­ken der Gruppe A ver­ur­sacht – lei­det, erhal­ten rund 60 Pro­zent ein Rezept für ein Anti­bio­ti­kum. Bei Ver­dacht auf Bron­chi­tis wer­den nahezu bei 80 Pro­zent der Pati­en­ten Anti­bio­tika ver­ord­net. Eine der mög­li­chen Ursa­chen für die­sen hohen Pro­zent­satz ist der Befürch­tung zuzu­schrei­ben, dass eine Pneu­mo­nie über­se­hen wer­den könnte. Ist diese Angst tat­säch­lich vor­han­den, kön­nen kli­ni­sche Beur­tei­lungs­sys­teme wie der CRB-65-Score unter­stüt­zend her­an­ge­zo­gen wer­den. Bei mul­ti­mor­bi­den Pati­en­ten muss aller­dings wei­ter­hin die kli­ni­sche Gesamt­be­ur­tei­lung ent­schei­dend sein, da der Score in die­sen Fäl­len dazu ten­diert, den Schwe­re­grad zu unterschätzen. 

Ärzte soll­ten ihre Pati­en­ten nach Mög­lich­keit immer über den indi­vi­du­el­len Nut­zen und die Ris­ken einer anti­mi­kro­biel­len Behand­lung auf­klä­ren. Im schlimms­ten Fall kann ein Anti­bio­ti­kum auch zu einer schwe­ren Arz­nei­mit­tel­re­ak­tion füh­ren. In den letz­ten Jah­ren ist die Ver­schrei­bungs­rate für Anti­bio­tika bereits bis zu zehn Pro­zent zurück­ge­gan­gen; Ziel sollte es sein, deren Ver­ord­nung auf zehn Pro­zent zu senken.

Der sinn­volle und über­legte Ein­satz von Anti­bio­tika stellt nur einen der Eck­pfei­ler im Kampf gegen Anti­bio­tika-resis­tente Keime dar. Die Prä­ven­tion von Infek­tio­nen, mole­ku­lar­bio­lo­gi­sche Unter­su­chun­gen, die ein detail­lier­tes Ver­ständ­nis der Resis­tenz­ent­wick­lung ermög­li­chen und die Ent­wick­lung von neuen Anti­bio­tika sind wei­tere mög­li­che Stra­te­gien. Vor allem sol­len ganz spe­zi­fisch wirk­same Anti­bio­tika wie zum Bei­spiel Fida­xo­micin den Weg wei­sen – weg vom Breit­band-Anti­bio­ti­kum. Gra­nin­ger ver­weist dar­auf, nur Anti­bio­tika zu ver­ord­nen, die zu 80 bis 90 Pro­zent resor­biert wer­den. „Die Bio­ver­füg­bar­keit der ver­schie­de­nen Anti­bio­tika sollte bekannt sein”, so der Experte.

Rezept als eigent­li­che Diagnose

Vor allem das Arzt-Pati­en­ten-Ver­hält­nis beein­flusst die Ver­schrei­bung von Anti­bio­tika. Oft gehen die Pati­en­ten mit der Erwar­tung zum Arzt, ein Anti­bio­ti­kum zu bekom­men, da sie bei ähn­li­chen Sym­pto­men schon ein­mal Anti­bio­tika ein­ge­nom­men haben und sich so ernst genom­men füh­len. Die Aus­stel­lung eines Rezep­tes wird von vie­len Pati­en­ten als die eigent­li­che Dia­gno­se­stel­lung emp­fun­den und signa­li­siert, dass eine Behand­lung und somit Hei­lung mög­lich ist. „Where is my anti­bio­tic“ ist eine durch­aus auch in Öster­reich übli­che For­de­rung des Pati­en­ten. „Mit einem Kon­troll­ter­min fühlt sich der Pati­ent eben­falls ernst genom­men und der Arzt hat die Mög­lich­keit, den Ver­lauf der Sym­pto­ma­tik zu beob­ach­ten”, emp­fiehlt Gra­nin­ger. Umge­kehrt haben Unter­su­chun­gen gezeigt, dass Ärzte, die mehr Pati­en­ten begut­ach­ten und somit weni­ger Zeit für jeden ein­zel­nen haben, deut­lich mehr Anti­bio­tika ver­schrei­ben, als Kol­le­gen, die weni­ger Pati­en­ten sehen. Vor allem im nie­der­ge­las­se­nen Arbeits­be­reich wird aus Angst vor spä­te­ren Vor­wür­fen bezie­hungs­weise recht­li­chen Kla­gen sowie bei beruf­lich stark gefor­der­ten Pati­en­ten und kurz vor Fei­er­ta­gen die Indi­ka­tion für ein Anti­bio­ti­kum leicht­fer­ti­ger gestellt, hat eine Stu­die der Abtei­lung für Infek­ti­ons­epi­de­mio­lo­gie des Robert-Koch-Insti­tuts in Ber­lin ergeben.

Einen wesent­li­chen Bei­trag zur Ent­ste­hung von Resis­ten­zen bei Infek­ti­ons­er­re­gern hat der zuneh­mende Anti­bio­ti­ka­kon­sum in der Human- und Vete­ri­när­me­di­zin geleis­tet. Gra­nin­ger sieht den Ursprung die­ses ärzt­li­chen Ver­hal­tens in der Geschichte der Medi­zin mit der Ent­de­ckung des Peni­cil­lin V begrün­det. „Das rheu­ma­ti­sche Fie­ber leckt an den Gelen­ken und beißt das Herz” – hieß es damals und so sagte man den Strep­to­kok­ken mit die­sem per­oral ver­ab­reich­ba­ren und äußerst wirk­sa­men Anti­bio­ti­kum den Kampf an.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 7 /​10.04.2014

Wei­tere Arti­kel, die Sie inter­es­sie­ren könnten: