Stand­punkt – Vize-Präs. Johan­nes Stein­hart: Pri­mary Health Care im Alltag

25.05.2013 | Standpunkt

© Gregor Zeitler

Pri­mary Health Care soll in Öster­reich – end­lich – Rea­li­tät wer­den. So will es Minis­ter Alois Stö­ger, so ist es in der Arti­kel 15a-Ver­ein­ba­rung fest­ge­hal­ten. Was das kon­kret im All­tag bedeu­tet und ob es tat­säch­lich die Ände­rung in die gewünschte Rich­tung bringt – näm­lich dass die Pati­en­ten weg von den Spi­tals­am­bu­lan­zen hin in den nie­der­ge­las­se­nen Bereich gelenkt wer­den – das wird sich erst zeigen.

Dass in Öster­reich die Basis-ärzt­li­che Ver­sor­gung mit All­ge­mein­me­di­zi­nern sträf­lich ver­nach­läs­sigt wurde, ist nicht neu und es ist ver­lo­rene Zeit, über die Ursa­chen zu dis­ku­tie­ren. Drin­gend not­wen­dig hin­ge­gen ist ein trans­pa­ren­ter und mög­lichst brei­ter Dis­kurs dar­über, wie genau die Struk­tur und Aus­ge­stal­tung von Pri­mary Health Care in und für Öster­reich aus­se­hen soll.

Wer meint, dadurch Geld ein­spa­ren zu kön­nen, irrt. Pri­mary Health Care kos­tet zunächst. Denn man muss nicht nur das, was man in den letz­ten Jah­ren bei der Ver­sor­gung im nie­der­ge­las­se­nen Bereich quasi ein­ge­fro­ren hat, wie­der mühe­voll auf­bauen, son­dern man muss auch dort, wo es schon auf­grund der geo­gra­phi­schen Lage etwa eine Unter­ver­sor­gung gibt, wie­der Kas­sen­plan­stel­len schaf­fen. Groß­bri­tan­nien etwa hat es bis heute nicht geschafft, seine im ambu­lan­ten Sek­tor bestehen­den Män­gel – Kos­ten­gründe waren der trei­bende Fak­tor, wieso man hier Stel­len redu­ziert hat – wie­der voll­stän­dig her­zu­stel­len. Weil es ein­fach nicht die erfor­der­li­che Zahl an Ärz­ten gab, hat man in der Pri­mär­ver­sor­gung auf Kran­ken­schwes­tern zurück­ge­grif­fen. Damit es hier kein Miss­ver­ständ­nis gibt: Kran­ken­schwes­tern sind eine wert­volle Unter­stüt­zung und Hilfe bei der ärzt­li­chen Tätig­keit. Aber sie kön­nen einen Arzt nicht ersetzen.

Denn das andere Extrem, wie es etwa in Finn­land im Rah­men der dort schon lange geleb­ten Pri­mary Health Care prak­ti­ziert wird, sieht dann so aus, dass im Gesund­heits- zen­trum die Kran­ken­schwes­ter als erste Anlauf­stelle dar­über ent­schei­det, ob der Pati­ent über­haupt zu einem Arzt darf. Falls ja, ent­schei­det in der Folge der Arzt über das wei­tere Pro­ce­dere: Ent­we­der er behan­delt selbst oder er über­weist zum Fach­arzt oder ins Kran­ken­haus. Genau hier sehe ich eine große Chance, die der­zeit völ­lig unge­steu­er­ten Pati­en­ten­ströme in den Griff zu bekom­men. So besteht auch eine reelle Mög­lich­keit, den Infor­ma­ti­ons­aus­tausch zwi­schen Zuwei­ser und Behand­ler zu ver­bes­sern, dem Doc­tor-Shop­ping Ein­halt zu gebie­ten und die Spi­tals­am­bu­lan­zen vom Pati­en­ten­an­sturm
zu ent­las­ten.

Wer Pri­mary Health Care will, muss aber auch dazu sagen, woher das Geld dafür kom­men soll. Denn die Umset­zung eines sol­chen Kon­zepts kos­tet – jeden­falls zu Beginn. Falls über­haupt, stel­len sich Kos­ten­ein­spa­run­gen erst nach vie­len, vie­len Jah­ren ein.

Und Pri­mary Health Care wird ganz sicher­lich nicht so funk­tio­nie­ren, dass man uns Ärz­ten vor­schreibt, wen wir wie und wie lange womit behan­deln kön­nen – oder im schlimms­ten Fall: behan­deln dür­fen. Wer glaubt, dass Pri­mary Health Care bei der Umset­zung sol­cher Ideen ein nütz­li­cher Hel­fer ist, hat den Sinn nicht verstanden.

Mit Schwarz­ma­len hat das Ganze übri­gens nichts zu tun: In Däne­mark, wo der Pri­mary Health Care-Sek­tor schon lange Tra­di­tion hat, über­le­gen die nie­der­ge­las­se­nen All­ge­mein- medi­zi­ner, im Herbst die Ver­träge zu kün­di­gen. Der Grund: Die Kran­ken­kasse – es gibt nur eine – will den Ärz­ten künf­tig vor­schrei­ben, wel­che Behand­lung sie durch­zu­füh­ren haben.

Und auch das ist Pri­mary Health Care: In Däne­mark ist garan­tiert, dass man bei einem Not­fall inner­halb von 72 Stun­den ärzt­li­che Hilfe erhält. Über sol­che Dinge möchte ich in Öster­reich erst gar nicht reden müssen.


Johan­nes Stein­hart

Vize-Prä­si­dent der Öster­rei­chi­schen Ärztekammer

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 10 /​25.05.2013