Stand­punkt – Präs. Artur Wech­sel­ber­ger: Gesund­heits­re­form beschlossen

10.05.2013 | Standpunkt

© Dietmar Mathis

Das Gesund­heits­re­form­ge­setz 2013 hat den Natio­nal­rat pas­siert. Wenn es der Ärz­te­schaft auch gelun­gen ist, durch ihre Aktio­nen vor Weih­nach­ten und das dar­auf fol­gende ener­gi­sche poli­ti­sche Auf­tre­ten im Vor­feld der Gesetz­wer­dung Angriffe auf die Auto­no­mie der Selbst­ver­wal­tung abzu­wen­den und ärzt­li­che Ver­sor­gungs­prä­mis­sen in die Pläne der Bun­des­re­gie­rung ein­zu­brin­gen, so muss uns den­noch klar sein, dass mit dem Gesetz eine Neu­aus­rich­tung unse­res Gesund­heits­sys­tems bevorsteht.

Dabei sind es mög­li­cher­weise nicht die finanz­zen­trier­ten Macht­spiele von Bund, Län­dern und Sozi­al­ver­si­che­rung, deren hart erkämpfte Reprä­sen­tanz in den neu errich­te­ten Kon­troll- und Steue­rungs­gre­mien oder die – vom Rech­nungs­hof als zu wenig kon­kret erkann­ten – Kos­ten­dämp­fungs­maß­nah­men, die das Sys­tem ver­än­dern soll­ten. Viel­mehr schei­nen die nun im Gesetz ver­an­kerte Ori­en­tie­rung an den Grund­sät­zen von Public Health, die Defi­ni­tion von „best points of ser­vice“ und die Stär­kung der „Pri­mary Health Care“ nach inter­na­tio­na­lem Vor­bild ein neues Para­digma vor­zu­ge­ben. Die­ses rich­tet sich gegen Defi­zite, die – obwohl im inter­na­tio­na­len Ver­gleich schon lange bekannt – bis­her kaum gesund­heits­po­li­ti­sche Beach­tung gefun­den haben.

Anders als etwa in anglo­ame­ri­ka­ni­schen Staa­ten ist bei uns Public Health bis­her bes­ten­falls rudi­men­tär vor­han­den. Dabei wird es meist im Sinne von Sozi­al­me­di­zin oder als Auf­ga­ben­be­reich des öffent­li­chen Gesund­heits­diens­tes gese­hen. In Anleh­nung an das inter­na­tio­nale Ver­ständ­nis ver­steht sich Public Health aber als Grund­prin­zip eines Ver­sor­gungs­sys­tems, das den Gesund­heits­zu­stand und die Gesund­heits­ver­sor­gung der Bevöl­ke­rung ana­ly­siert und sich sek­toren­über­grei­fend an medi­zi­ni­schen und gesund­heit­li­chen Zie­len ori­en­tiert. Dabei bemisst sich die Qua­li­tät der Gesund­heits­ver­sor­gung am Ein­satz evi­denz­ba­sier­ter Metho­den sowie am Errei­chen defi­nier­ter Ziel­vor­ga­ben oder erwünsch­ter Behand­lungs­er­geb­nisse. – Dies in der Regel unter ega­li­tä­rer Ein­bin­dung aller Gesund­heits­be­rufe und mit Stär­kung von Prä­ven­tion und Rehabilitation.

Ebenso neu sind die Ambi­tio­nen, den bes­ten Ort für eine Behand­lung fest­zu­le­gen und den jeweils „best point of ser­vice“ zu defi­nie­ren. In der Folge gilt es, diese der Bevöl­ke­rung wie auch den Behand­lern schmack­haft zu machen. Schließ­lich erfor­dern die aus dem sta­tio­nä­ren Bereich aus­ge­la­ger­ten Kran­ken­be­hand­lun­gen neben einem zeit­lich ver­füg­ba­ren, fach­lich qua­li­täts­vol­len und wohn­ort­na­hen ärzt­li­chen Behand­lungs­an­ge­bot auch aus­rei­chend extra­mu­rale Pflege- und Betreu­ungs­mög­lich­kei­ten. Feh­len diese, droht der öster­rei­chi­sche Reflex zur sta­tio­nä­ren Rund­um­ver­sor­gung als Bumerang.

Damit ist es vor­dring­lich, die Pri­mär­ver­sor­gung im Sinne der „Pri­mary Health Care“ zu stär­ken, um ihre Haupt­funk­tio­nen im Bereich von Erst­kon­takt, kon­ti­nu­ier­li­cher und umfas­sen­der Ver­sor­gung sowie der Koor­di­na­tion der Ver­sor­gung pati­en­ten­nah garan­tie­ren zu kön­nen. Ein Anspruch, der gerade in einem Land wie Öster­reich mit sei­ner zum Teil unter­ge­ord­ne­ten, zah­len­mä­ßig unter­be­setz­ten und in sei­nem Auf­ga­ben­be­reich unklar defi­nier­ten Pri­mär­ver­sor­gung große Auf­hol­ar­beit bedeu­tet. Inter­na­tio­nale Vor­bil­der die­ser Ver­sor­gungs­form haben uns dabei den gut aus­ge­bil­de­ten, in Lehr­pra­xen geschul­ten Fach­arzt für All­ge­mein­me­di­zin ebenso vor­aus wie libe­rale Mög­lich­kei­ten der Zusam­men­ar­beit, ein­schließ­lich der Anstel­lung von Ärz­ten bei Ärz­ten, Auf­ga­ben-adäquate Leis­tungs­ka­ta­loge und ent­spre­chend qua­li­fi­zier­tes und ein­setz­ba­res Praxispersonal.

Bei der Kom­ple­xi­tät des vom Natio­nal­rat beschlos­se­nen Reform­pro­gram­mes, das sich aus einer pri­mär als Spar­re­form kon­zi­pier­ten Bund-Län­der-Ver­ein­ba­rung ent­wi­ckelt hat, ist es drin­gend ange­ra­ten, die Ärz­te­schaft und ihre Ver­tre­ter als Exper­ten der Pati­en­ten­ver­sor­gung ein­zu­bin­den. Von der Qua­li­tät die­ses Umset­zungs­pro­zes­ses wird es abhän­gen, ob Öster­reich sei­nen hohen Ver­sor­gungs­stan­dard hal­ten kann. Dabei gilt es auch, eine Reduk­tion der Reform auf Pati­en­ten- oder Arzt-bezo­gene Kos­ten­rech­nun­gen oder eine rein betriebs­wirt­schaft­li­che Steue­rung von Dia­gnos­tik und Behand­lung zu verhindern.

Artur Wech­sel­ber­ger
Prä­si­dent der Öster­rei­chi­schen Ärztekammer

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 9 /​10.05.2013