Standpunkt – Präs. Artur Wechselberger: Inkonsequenz als politische Maxime

10.04.2013 | Standpunkt

(c) Dietmar Mathis

Unter diesem Motto könnte man die vernichtende Kritik des Rechnungshofs am Entwurf des Gesundheitsreformgesetzes 2013 zusammenfassen. Inkonsequenz, weil eines der Grundübel des österreichischen Gesundheitssystems, das in der Fragmentierung der Kompetenzen liegt, nicht angetastet wurde. An die Stelle von klaren Verantwortlichkeiten wurde das Prinzip der Einstimmigkeit der Vertreter des Bundes, des Hauptverbandes und der Bundesländer gesetzt. Ein Grundsatz, der – so der Rechnungshof – die Zielerreichung in wesentlichen Fragen zusätzlich erschwert, notwendige Maßnahmen verhindern oder bestenfalls zu Lösungen auf Basis des „kleinsten gemeinsamen Nenners“ führen wird.

Inkonsequenz ortet der Rechnungshof auch, wenn der richtigen Intention der Leistungsverlagerung in den ambulanten Bereich nicht gleichzeitig der dabei notwendige Ressourcenabbau im entlasteten Bereich und bundeseinheitliche Vorgaben zur Finanzierung ambulanter Leistungen gegenübergestellt werden. Ebenso fehle, so die obersten Rechnungsprüfer weiter, die Auflistung der Kosten für die neuen, als Doppel-strukturen erkannten Gremien und Organe oder für die zu gründende Gesellschaft, die das Berichtswesen und Monitoring im geplanten Zielsteuerungssystem übernehmen soll.

Letztendlich spiegelt das ganze Reformgesetz ein demokratiepolitisches Dilemma wider, dem wir in allen Bereichen des öffentlichen Lebens begegnen: dem trügerischen Versprechen des Staates, bei jedem Problem die Quadratur des Kreises lösen zu können ohne Gegenleistungen der Bürger zu fordern. Wird dann doch ein Obolus fällig, sollen diesen gefälligst Minderheiten tragen, um das Stimmvolk nicht zu beunruhigen. Was im Steuersystem den „Reichen“ auferlegt wird, haben im Gesundheitswesen die Leistungsträger und damit oft die Ärzte zu übernehmen. Ob qualitätsverbessernde Maßnahmen wie Ordinationshygiene und verpflichtende Fortbildung, die behinderten-gerechte und elektronisch zeitgemäße Ordinationsausstattung oder die zeitliche Verfügbarkeit an Randzeiten, Nächten und Wochenende – alles wird in Spenderlaune staatlich dekretiert. Allerdings ohne den Hinweis, dass Qualität kostet und dass der, der sie fordert, auch bereit sein muss, sie zu bezahlen.

Im Zuge der Gesundheitsreform wird etwa der Ausbau der Primary Health Care gefordert. Gleichzeitig verweigert der Gesetzgeber den Allgemeinmedizinern die dafür notwendige Ausbildung. Statt die Finanzierung der Lehrpraxis sicherzustellen, scheitert die extramurale Ausbildung an den fehlenden Mitteln. Aber auch der intramurale Qualitätsschub in der Ausbildung wird solange ausbleiben, solange Jungärztinnen und Jungärzte als Systemerhalter gebraucht werden und Ausbildung scheinbar ein Nebenprodukt darstellt. Qualität in der Ausbildung zum Allgemeinmediziner bedeutet zudem, dass diese auf Facharzt-Niveau angeboten wird. Dazu wird der Bund die erforderliche Reduktion der Ausbildungsstellen auch gegen den Willen der Länder durchsetzen müssen.

Wie die Diskussion um die Frage der Rationierung in der Gesundheitsversorgung am Beispiel von Hüftprothesen jüngst gezeigt hat, wird sich die Politik nicht ewig drücken können. Schließlich ist es eine ökonomische Binsenweisheit, dass Budgetierungen und Ressourcenmangel Rationierungen zur Folge haben. Der Umgang mit diesen Konsequenzen ökonomischer Entscheidungen setzt allerdings Ehrlichkeit, Transparenz und medizinisches wie ethisches Grundverständnis voraus, um mit einer gerechten und humanen Priorisierung von Leistungen im Bereich der medizinischen Versorgung inadäquaten Rationierungen entgegen zu wirken.

Artur Wechselberger
Präsident der Österreichischen Ärztekammer

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 7 / 10.04.2013