Standpunkt – Präs. Artur Wechselberger: Ausbildungsreform

10.11.2013 | Standpunkt

© Dietmar Mathis

Absichtserklärungen zur Weiterentwicklung der Aus- und Fortbildung der Gesundheitsberufe finden sich schon im Regierungsprogramm aus dem Jahr 2008. In diese politische Zielsetzung hat die ÖÄK in den letzten Jahren große Anstrengungen gesteckt und an der Entwicklung entsprechender Konzepte intensiv mitgearbeitet.

Trotzdem ist alles beim Alten geblieben. Nicht einmal der im Gesundheitsreformgesetz 2013 festgeschriebene Ausbau der Primärversorgung brachte die Entscheidungsträger dazu, das Ausbildungskonzept der ÖÄK zur Novelle der Ausbildung zum Facharzt für Allgemein- medizin, wie es von den Gremien der ÖÄK schon 2004 beschlossen und 2013 in gekürzter Form bestätigt worden war, endlich in ein Gesetz zu gießen.

Erschreckend ist dabei nicht nur der Zeitlauf, sondern insbesondere die Tatsache, dass die Notwendigkeiten der neuen Schwerpunktsetzung in den Ausbildungsinhalten offensichtlich nicht erkannt werden. Primary Health Care nach internationalem Muster, wie es die Gesundheitsreform vorgibt, erfordert Allgemeinmediziner, die neben ihrer traditionellen fach- und organbezogenen Turnusausbildung zu Experten in Fragen der Gesundheitsprävention, der Sozial- und Familienmedizin, der Früherkennung gefährlicher Krankheitsverläufe, der Betreuung chronisch Kranker bis hin zur palliativen Begleitung im extramuralen Versorgungsbereich ausgebildet sind.

Kommunikations- und Managementfähigkeiten zur Organisation der integrierten Versorgung und zur Zusammenarbeit in multidisziplinären Teams gehören ebenso zum Berufsbild wie Diagnostik und Therapie ohne den Einsatz von Hightech-Medizin sowie die gezielte Zuweisung zu Spezialisten oder die federführende Koordination zwischen den Versorgungs- ebenen. Zu den Grundlagen der Arbeit eines Allgemeinmediziners gehört eine auf Dauer ausgelegte Arzt-Patienten-Beziehung, der Umgang mit den epidemiologischen Besonderheiten eines unausgelesenen Patientenkollektivs und – neben den somatischen und psychischen Gegebenheiten – die Einbeziehung der psychosozialen Situation und der Lebenswelt der Betroffenen. Ausbildungsinhalte genug, um der Forderung nach einer ausreichend langen und verpflichtenden Lehrpraxistätigkeit Nachdruck zu verleihen. Inhalte aber auch, die nicht nur dem einzelnen Patienten, sondern der Gesellschaft zu Gute kommen und eine öffentliche Finanzierung der Lehrpraxisausbildung mehr als rechtfertigen. Lehrinhalte aber auch, die einer „Lehrpraxis light“ eine deutliche Absage erteilen. Denn die Kurzform einer Lehrpraxis zum Kennenlernen des Krankheitsspektrums einer Allgemein- ordination oder der Praxisführung im Sinne eines Einblicks in Abrechnungssysteme, Buchführung und Personalwesen verkennt die Fachinhalte der Allgemeinmedizin und verfehlt das Ziel der Ausbildung in diesem Spezialgebiet bei Weitem.

Fachliche, aber auch systemische Entwicklungen machen es nötig, auch die Ausbildung in den Sonderfächern zu überarbeiten. Neue Sonderfächer stehen vor der Tür, das österreichspezifische Additivfachsystem behindert die europäische Migration und muss ebenso hinterfragt werden wie einzelne bestehende Sonderfächer. Aber auch die Ausbildungssystematik ist nicht mehr zeitgemäß. Der Wissenszuwachs in den einzelnen Sonderfächern macht es notwendig, die bisher oft überproportional langen Zeiten von Gegenfächern zu überdenken. Ein modulares Ausbildungsregime soll zudem der Realität Rechnung tragen, dass nicht der gesamte Fachinhalt in durchgehend gleicher Intensität während der Ausbildung vermittelt werden kann. Das derzeit diskutierte Modulsystem soll dabei den individuellen Präferenzen der Auszubildenden, aber auch den realen Ausbildungsgegebenheiten Rechnung tragen.

Wenn auch noch am neuen Regierungsprogramm gefeilt wird und die zukünftige Organisation des Gesundheitsressorts offen ist, steht schon fest, dass sowohl Ärztevertreter als auch Bundespolitik mit arbeitsreichen Monaten zum Thema Ärzteausbildung zu rechnen haben.

Artur Wechselberger
Präsident der Österreichischen Ärztekammer

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 21 / 10.11.2013