Standpunkt – Präs. Artur Wechselberger: Nicht auf Zuruf

10.09.2013 | Standpunkt

© Dietmar Mathis

Übernervöse Vorwahlzeiten, mediale Sommerlöcher oder Profilierungsallüren, selbst berechtigte Sorgen um Patienteninteressen rechtfertigen nicht das Außerkraftsetzen rechtsstaatlicher Grundregeln. Dementsprechend hat der Verdacht, dass gegen Gesetze und Normen verstoßen wurde, klar definierte rechtliche Schritte auszulösen. So auch beim Vorwurf ärztlichen Fehlverhaltens. Mutmaßungen – und seien sie noch so von medialer Berichterstattung getragen – können und dürfen den Ablauf rechtsstaatlicher Verfahren nicht beeinflussen.

Zweimal haben in diesem Sommer öffentliche Vorverurteilungen unseren Berufsstand getroffen. Im ersten Fall wurde ein Berufsverbot gefordert ohne abzuwarten, ob die Vorwürfe konkret und belegt genug waren. Ebenso fehlten Untersuchungsergebnisse zur Feststellung, wem die angeklagten Verfehlungen überhaupt zuzuordnen sind. Die ÖÄK hat nach rascher, aber eingehender Prüfung der Vorwürfe eine erste Entscheidung getroffen. Die entsprechenden Gremien werden jetzt den Sachverhalt weiter klären und die notwendigen Konsequenzen setzen.

Dringend aufklärungsbedürftig sind auch die Vorfälle, die zu einer zweiten Welle von Vorwürfen gegen Ärztinnen und Ärzten und deren Standesvertretung geführt haben. Selbst wenn auch Krankenhäuser und Apotheken Daten an Marktforschungseinrichtungen weitergeben und sogar öffentliche Einrichtungen deren Ergebnisse kaufen und für ihre Arbeit nutzen, entbindet das uns Ärztinnen und Ärzte nicht davon, diesen Vorgang äußerst kritisch zu hinterfragen. Das Vertrauen der Menschen, dass einerseits der Datenschutz in Arztpraxen gewährleistet ist und in das Arztgeheimnis andererseits gehört zum Grundkapital der Ärzteschaft. Trotzdem sind auch hier mediale Vorverurteilungen unangebracht. Bei den Vorwürfen der illegalen Datenweitergabe gilt es, zuerst die Fakten zu erheben, Fehlverhalten festzustellen und dann zu urteilen. Parallel dazu sind wir aufgerufen, der Situation angemessen zu begegnen und rasch Maßnahmen zu setzen, um erkannte Datenlecks schnellstens zu schließen. Die Ärzte selbst sind gefordert, besondere Sensibilität den Datenschutz betreffend zu zeigen und sich des Gefahrenpotentials der neuen elektronischen Möglichkeiten bewusst zu sein.

In beiden aufgezeigten Fällen galten die öffentlichen Vorwürfe neben den Ärzten auch deren Interessensvertretung. Gerade die, denen unsere starke Selbstverwaltung schon lange ein Dorn im Auge ist, vielleicht sogar noch von Revanche für früheres Agieren der Ärztekammer, hielten dabei die Flamme der publizistischen Entrüstung am Lodern.

Mit „Bashing“ trifft der neudeutsche Ausdruck wohl das richtige Wort für die öffentlichen Beschimpfungen, denen sich die Ärzteschaft und deren Interessensvertretung in zunehmendem Maße ausgesetzt sehen. So als könnten es viele einfach nicht ertragen, dass es eine Berufsgruppe gibt, die sich aus medizinisch wissenschaftlichen aber auch aus ethischen Gründen dem Schutz des Individuums verschrieben hat und dass deren Mitglieder als Angehörige eines freien Berufes ihre Meinung gegen Fehlentwicklungen im Gesundheitssystem laut äußern und berufliche Rahmenbedingungen einfordern, wie sie eine zeitgemäße und humane Behandlung der sich ihnen anvertrauenden Menschen voraussetzt.

Dass dabei auch die Ärztekammer als Behörde angegriffen und verunglimpft wird, stimmt bedenklich. Denn gerade in Erfüllung dieser Aufgaben wird die Ärztekammer nicht als Interessensvertretung, sondern als verlängerter Arm des Staates tätig. Diese Aufgaben kann sie nur am Boden der Rechtsstaatlichkeit und nicht auf Zuruf erfüllen.

Artur Wechselberger
Präsident der Österreichischen Ärztekammer

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 17 / 10.09.2013