Jose­phinum in Wien: Die Kunst der Anatomie

10.06.2013 | Spektrum


Aus Flo­renz stam­men die ana­to­mi­schen Wachs­mo­delle, die Kai­ser Joseph II. im
18. Jahr­hun­dert nach Wien brin­gen ließ. Bis 26. Okto­ber sind die rund 1.200 „Ama­zing Models“ im Wie­ner Jose­phinum aus­ge­stellt.
Von Bar­bara Wakolbinger

Im 18. Jahr­hun­dert ließ Kai­ser Joseph II. in Flo­renz rund 1.200 ana­to­mi­sche Wachs­mo­delle anfer­ti­gen; auf Pack­eseln wur­den sie zwi­schen 1784 und 1786 über den Bren­ner trans­por­tiert. Per Boot fan­den sie ihren Weg über den Inn und die Donau nach Wien. Hier soll­ten sie bei der Aus­bil­dung in der medi­zi­nisch-chir­ur­gi­schen Mili­tär­aka­de­mie, dem „Jose­phinum“, ein­ge­setzt wer­den. Die Modelle tra­gen wie „Venus“ alle­samt baro­cke Züge, sie haben dich­tes Haar und rosige Wan­gen – so, als seien sie noch am Leben. Heute sind die Modelle des Kai­sers das Herz­stück der Samm­lun­gen der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Wien und sol­len in Zukunft auch als „medi­zin­his­to­ri­sche Schätze des Muse­ums akti­ver und attrak­ti­ver“ prä­sen­tiert wer­den, wie die Vize-Rek­to­rin der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Wien, Univ. Prof. Chris­tiane Druml, bei der Eröff­nung vor kur­zem erklärte. Denn die Eröff­nung der Aus­stel­lung „Ama­zing Models“ war gleich­zei­tig auch Gele­gen­heit, das neue Gesicht und Cor­po­rate Design des Muse­ums im Jose­phinum zu prä­sen­tie­ren. Mit dem neuen Logo, das Grün­der Kai­ser Joseph II. zeigt, wolle man auch eine neue Ära ein­läu­ten, so Druml: „Es soll die Liai­son zwi­schen Wis­sen­schaft und Kunst im Vor­der­grund ste­hen.“ Wäh­rend die Wan­der­aus­stel­lung nach Lei­den wei­ter­zieht, ver­bleibt eine Dau­er­aus­stel­lung im Museum. Auch einige der Wachs­mo­delle wer­den wei­ter­hin zu sehen sein.

„Venus“ etwa ist der Name eines weib­li­chen Modells. Es liegt am Rücken, über den Pols­ter des Schau­kas­tens brei­ten sich die lan­gen blon­den Haare aus – ein klas­si­sches Motiv der bil­den­den Kunst. Aller­dings ist die Wachs­puppe im Wie­ner Jose­phinum nicht nur nackt, sie zeigt ihr Inners­tes – Herz und Magen sind klar zu erken­nen, die Lun­gen­flü­gel sind abnehm­bar. Denn der Künst­ler legte hier nur in zwei­ter Linie Wert auf Ästhe­tik, viel­mehr war „Venus“ als Lehr- und Anschau­ungs­ob­jekt gedacht. Bei „Venus“ han­delt es sich um eine Frau, die im fünf­ten Monat schwan­ger ist; auch die Ent­wick­lung des Embryos ist klar erkennbar.

Kunst und Wissenschaft

Diese Modelle wur­den nicht nur für aka­de­mi­sche Lehr­zwe­cke genutzt, son­dern auch, um einer brei­ten Bevöl­ke­rung den mensch­li­chen Kör­per näher­zu­brin­gen. Die Sek­tion von mensch­li­chen Lei­chen war bereits im 14. Jahr­hun­dert üblich. Schon bald dar­auf began­nen Ana­to­men, den mensch­li­chen Kör­per prä­zise auf­zu­zeich­nen und nach­zu­for­men und so ihre medi­zi­ni­schen Erkennt­nisse für die Nach­welt festzuhalten.

Eines der frü­hes­ten Bei­spiele für diese Kunst ist eben­falls im Jose­phinum zu sehen: Das Ana­to­mie­buch „De humani cor­po­ris fabrica libri sep­tem“ von Andreas Vesa­lius, der als Begrün­der der neu­zeit­li­chen Ana­to­mie gilt. Wäh­rend sich Vesa­lius noch groß­teils auf Zeich­nun­gen beschränkte, wur­den im 17. Jahr­hun­dert nach und nach auch ana­to­mi­sche Wachs­mo­delle in die medi­zi­ni­sche Lehre ein­ge­bun­den. Dabei waren gesunde Organe, der Ver­lauf von Venen und Arte­rien, aber auch ver­schie­dene Krank­heits­bil­der von Inter­esse für die Ana­to­men. Das zeigt zum Bei­spiel ein Wachs­mo­dell eines Bla­sen­tu­mors aus dem Jahr 1858 oder ein Modell einer Enze­pha­lo­zele – eben­falls aus Wachs. Aber auch Papier­ma­ché kam zum Ein­satz, etwa um die Sek­tion eines Auges dar­zu­stel­len. Das Modell eines Fötus sowie die embryo­nale Ent­wick­lung – in einem Setz­kas­ten nach­ge­stellt – zeu­gen von dem bereits vor­han­de­nen Wis­sen der dama­li­gen Ana­to­men. Bei der Anfer­ti­gung war höchste Prä­zi­sion von­nö­ten: Die Modelle und Figu­ren wur­den zu Schnitt­stel­len zwi­schen Kunst und Wissenschaft.

His­to­ri­sche Geräte

Ergänzt wird die Aus­stel­lung, die vom Museo delle Cere Ana­to­miche „Luigi Cat­ta­neo“ in Bolo­gna in Ita­lien über Wien ins nie­der­län­di­sche Lei­den ins Museum Boer­haave wan­dert, mit his­to­ri­schen Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen über den Bau und die Wie­ner Schule der Medi­zin und zeit­ge­nös­si­schen Gerä­ten. Mikro­skope, Skal­pelle oder Sphygmo-Mano­me­ter sind ebenso zu bewun­dern wie ein Modell des Jose­phin­ums sowie des alten Wie­ner All­ge­mei­nen Krankenhauses.

Ori­en­tiert sich die Wan­der­aus­stel­lung mit inter­ak­ti­ven Ele­men­ten, Touch­screens und einem Dr. Bib­ber-Skal­pell-Spiel an moder­nen muse­ums­päd­ago­gi­schen Stan­dards, taucht man in der Wachs­fi­gu­ren­samm­lung ins 18. Jahr­hun­dert ein. Die alten Schau­käs­ten, in denen offene Brust­körbe oder Beine, ganz oder halb auf­ge­schnit­tene Kör­per oder Hände mit Kno­chen- und Blut­ge­fäß­sys­te­men zu sehen sind, wur­den im Ori­gi­nal belassen.

Was, Wann, Wo:

„Ama­zing Models“
24. Mai bis 26. Okto­ber 2013

Jose­phinum – Samm­lun­gen der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Wien
Wäh­rin­ger Straße 25, 1090 Wien

www.josephinum.meduniwien.ac.at

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 11 /​10.06.2013