Transparenz im Gesundheitswesen: Es gibt sie doch …

15.12.2013 | Politik

Um mehr Transparenz und Qualität im Gesundheitswesen zu haben, ist es ein langer Weg. Aber: Die ersten Schritte dazu sind getan, etwa mit A-IQI. Darüber und ob die durch die Gesundheitsreform bedingten Einsparungen für die Qualität förderlich sind, diskutierten Experten bei einer Podiumsdiskussion in Wien.Von Marion Huber

Der Grundgedanke für all die Aktivitäten: Die Qualität im Gesundheitswesen muss für Patienten und Leistungserbringer gleichermaßen transparent werden. Das Problem dabei: Entsprechende Daten, Mess-Instrumente und allen voran eine qualitätsförderliche Fehlerkultur fehlen in Österreich. Wie Transparenz trotzdem möglich sein soll, darüber diskutierten zahlreiche Experten bei der mittlerweile neunten Podiumsdiskussion, die von der Karl-Landsteiner-Gesellschaft Mitte November im Rahmen der Reihe „Zukunft Gesundheit“ in Wien veranstaltet wurde.

Projekt A-IQI

Von einem ersten erfolgreichen Projekt berichtet Silvia Türk, Leiterin der Abteilung „Qualität im Gesundheitssystem“ im Gesundheitsministerium, eingangs in ihrem Impulsreferat. Die Ärztin arbeitet mit ihrem Team seit zwei Jahren an einem Instrument zur Ergebnisqualitäts-Messung. Das Modell, das aus Deutschland und der Schweiz übernommen wurde, vergleicht auf Basis von Abrechnungsdaten etwa die Zahl der Todesfälle bei bestimmten Krankheitsbildern mit der statistisch zu erwartenden Mortalität. Mit A-IQI (Austrian Inpatient Quality Indicators) – so der Name des Systems – „können wir sehr genau den Finger in die Wunden legen“, sagt Türk. Es sei „ein guter Weg“, transparenter zu werden, vorhandene Defizite festzustellen, gemeinsam eine Lösung zu erarbeiten und schlussendlich etwas zu verbessern. Im Zuge dessen werden LKFDaten aus den Krankenhäusern analysiert; bei Auffälligkeiten folgt ein peer review durch geschulte Primarärzte. Und dabei zeigt sich: „Die Ärzte haben das Instrument in großer Breite angenommen und bemühen sich wahnsinnig, egal ob bei Verbesserungsmaßnahmen oder als peer reviewer“, so Türk.

Jahrzehntelange Erfahrung im Gesundheitswesen – und das Erleben mehrerer Reformversuche mit teils bescheidenem Erfolg – haben Türk skeptisch gemacht, was Gesundheitsreformen anbelangt. Dank A-IQI habe nun aber auch sie wieder Hoffnung: „Es ist ein Instrument, mit dem man wirklich arbeiten kann.“

Ausweitung auf Ordinationen

A-IQI gibt es bislang aber nur im Spitalsbereich. Und schon hier erweist sich die Datenverarbeitung als schwierig. Zwar sieht auch ÖÄK-Präsident Artur Wechselberger das Instrument als „möglichen Weg“ in Richtung Transparenz, verweist aber gleichzeitig darauf, dass „es viel, viel schwieriger sein wird, dieses Werk im niedergelassenen Bereich zu beginnen“. Von der Vergleichbarkeit zwischen den beiden Sektoren, die in einem letzten Schritt folgen soll, „ganz zu schweigen“, waren sich die Experten einig. Auch Arno Melitopulos, Direktor der Tiroler Gebietskrankenkasse, sieht das ähnlich: „Das mag man sich wünschen und es mag auch großartig sein, aber das wird es so nicht geben.“ Fakt sei: Die notwendigen Datengrundlagen fehlen.

Skeptisch ist auch Eva-Maria Kernstock von der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG): 18 Monate gebe der Zielsteuerungsvertrag den Verantwortlichen Zeit, das System auf den extramuralen Bereich auszuweiten. „Ich wünsche uns viel Glück, dass wir das in der Zeit schaffen. Sie alle kennen das österreichische Gesundheitswesen.“ Als „absolute Gegnerin von unreflektierten Rankinglisten“ rechnet sie mit einem langen, mühsamen Prozess, wolle man nicht Äpfel mit Birnen vergleichen.

Ihre Kritik in Sachen Qualität im Gesundheitswesen fokussierte die Wiener Pflege- und Patientenanwältin Sigrid Pilz auf die Evaluation der Arztpraxen durch die ÖQMed.

Gesetzliche Evaluierungs-Ziele

„Man kann von einem System nicht etwas erwarten, wofür es nicht geschaffen wurde und was es dementsprechend nicht leisten kann“, entgegnet ÖÄK-Präsident Wechselberger. Die Ziele der Evaluierung seien vom Gesetzgeber klar vorgegeben: die Überprüfung von Struktur- und Prozessqualität in österreichischen Arztpraxen. Auch die vielfach kritisierte Selbstbeurteilung sei internationaler Standard in Qualitätsmanagement-Systemen im Gesundheitswesen. Dabei seien – wie auch in Österreich – Audits vorgesehen, im Rahmen derer die Selbstbeurteilungen überprüft werden.

Ziel sei es, am Ende des Prozesses bestehende Mängel zu beheben, erklärt der ÖÄK-Präsident: „Es geht nicht um ‚blame and shame‘ sondern um einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess.“ Auch Kernstock ist überzeugt: Schon das Sich-Beschäftigen mit der Qualität im Rahmen der Selbstevaluierung löse ein Umdenken aus. Und weiter: „Außerdem tendiere ich dazu, nicht die schwarzen Schafe herauszugreifen, sondern die vielen zu sehen, die das gut machen.“

Wenn die partnerschaftliche Qualitätssicherung auch „für manch einen Geschmack nicht die optimale Lösung ist“, sei die Sozialversicherung einstweilen zufrieden mit dem System, so Melitopulos. Aber: „Die Reise muss weitergehen.“ Seit 2005 wurden etwa eine Qualitätsstrategie sowie ein Bundesqualitätsgesetz entwickelt; es gebe wahnsinnig viele Normen und Strukturen – ja sogar einen „regelrechten Regulativ-Dschungel“, führt er weiter aus. Die Gesundheitsreform sei nun ein Versuch, geordnet und zielgerichtet mit all dem umzugehen, was in den letzten Jahren in den einzelnen Sektoren angehäuft wurde.

Gesamthafte Sicht fehlt

Was laut Melitopulos fehlt: die gesamthafte Sicht. „Wir werden bald einen ersten Bericht zu A-IQI sehen. Es gibt einen Bericht der Ärztekammer über die Qualitätsarbeit. Jetzt müssen wir es schaffen, das auf einen Punkt zusammenzuführen – auch wenn es hinter den Kulissen völlig getrennte Dinge sind“, führt Melitopulos weiter aus. Bei dem großen Arbeitsprogramm, das „mit der Gesundheitsreform in den Rucksack gepackt wurde“, müsse man aber auch klar zwischen dem unterscheiden, was beabsichtigt sei und dem, was tatsächlich gemacht werden könne.

Nicht alles sei immer eine Frage der Qualität, oft handle es sich um ganz schlichte Versorgungsfragen, so der Direktor der Tiroler GKK. Zauberwörter wie „Best Point of Service“ seien in aller Munde. In Wirklichkeit aber gebe es Regionen, in denen die ärztliche Versorgung überhaupt nicht gesichert ist – hier gehe es noch gar nicht um Qualität, sondern darum, ob überhaupt ein Arzt verfügbar ist, sagt Melitopulos: „Und die Kostendämpfungen, die wir im Rahmen der Gesundheitsreform verpasst bekommen haben, sind nicht unbedingt qualitätsförderlich.“

Auch Univ. Prof. Manfred Maier, Vorstand der Abteilung für Allgemein- und Familienmedizin an der Medizinischen Universität Wien, verweist darauf, dass nicht einzelne Personen oder die Kammervertretung allein für gute und schlechte Krankenhäuser und Ärzte verantwortlich sind: „Wir müssen an mehreren Wurzeln – auch in der Ausbildung – ansetzen, um das gesamte System zu verbessern und nicht nur ständig Schuld zuweisen.“

Fehlerkultur statt Unkultur

Woran es gewaltig mangelt? „Wir haben in Österreich keine Fehlerkultur, sondern noch immer eine Unkultur, eine reine ‚blame and shame‘-Kultur“, kritisiert Kernstock. Weswegen es ihrer Ansicht nach nur einen Weg geben könne: bei Fehlern nicht nach dem Schuldigen zu suchen, sondern nach dem „Warum“ zu fragen und aufzuarbeiten. „Risk-Management und das Lernen aus Beinahe-Fehlern sind des Pudels Kern“, sagt sie. Die ÖÄK will mit dem Fehlerberichts- und Lernsystem CIRS (Critical Incident Reporting System) dazu beitragen, ergänzt Wechselberger: „Wenn alle Teilnehmer im System Beinahe-Fehler melden, werden wir einen großen Schritt machen, um die Qualität zu verbessern. Aber nicht, indem wir mit Strafe drohen, sondern indem wir motivieren.“

Dass Ärzte grundsätzlich motiviert sind, qualitativ hochwertige Arbeit zu leisten, weiß Türk aus ihrer Erfahrung mit dem Projekt A-IQI: „Es gab keinen Widerstand. Ich kenne keinen Arzt, der nicht weiß, dass er qualitativ hochwertig arbeiten soll.“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 23-24 / 15.12.2013