Ein­schrän­kung der Sub­sti­tu­ti­ons­be­hand­lung: Pro­test­sturm ausgelöst

10.03.2013 | Politik

Breite Ableh­nung ern­tet der Vor­schlag von Innen­mi­nis­te­rin Johanna Mikl-Leit­ner, wonach die Sub­sti­tu­ti­ons­the­ra­pie ein­ge­schränkt wer­den soll. Der Vor­schlag sei kon­tra­pro­duk­tiv, unver­ant­wort­lich und Wahlkampfgeplänkel.

Als „unver­ant­wort­li­chen Rück­schritt für jeden ein­zel­nen Betrof­fe­nen, aber auch für die Gesell­schaft“ kri­ti­sierte ÖÄK-Prä­si­dent Artur Wech­sel­ber­ger die For­de­rung von Innen­mi­nis­te­rin Johanna Mikl-Leit­ner, die Sub­sti­tu­ti­ons­the­ra­pie ein­zu­schrän­ken. Durch die Sub­sti­tu­ti­ons­the­ra­pie werde die Reinte­gra­tion Sucht­kran­ker mög­lich, was wie­derum auch Beschaf­fungs­kri­mi­na­li­tät ver­hin­dere und posi­tive Effekte für die gesamte Gesell­schaft habe, so der ÖÄK-Prä­si­dent. An die Poli­tik wie­derum rich­tete er die For­de­rung, die ärzt­li­che The­ra­pie­frei­heit bei der Behand­lung von Kran­ken zu respek­tie­ren. Wech­sel­ber­ger wei­ter: „Wenn sich die Poli­tik in Behand­lungs­fra­gen ein­brin­gen will, dann soll sie die psy­cho­so­zia­len Behand­lungs­mög­lich­kei­ten aus­bauen, die eine not­wen­dige Ergän­zung der Sub­sti­tu­ti­ons­the­ra­pie darstellen.“

„Sucht­kranke gehö­ren zum Arzt, nicht zur Poli­zei“, empörte sich auch Gesund­heits­mi­nis­ter Alois Stö­ger. Es sei nicht akzep­ta­bel, dass Poli­tik „auf dem Rücken von Sucht­kran­ken“ gemacht werde. In der Stei­er­mark setze man auf die Sub­sti­tu­tion als „fes­ten und aner­kann­ten Bestand­teil“ der 2011 erar­bei­te­ten Sucht­po­li­tik, so die stei­ri­sche Gesund­heits­lan­des­rä­tin Kris­tina Edlin­ger-Plo­der. Davon wür­den alle pro­fi­tie­ren, weil sie auf den Schutz und die Sicher­heit der Bevöl­ke­rung abziele. Der Kärnt­ner Lan­des-Gesund­heits­re­fe­rent Peter Kai­ser sieht in der For­de­rung von Mikl-Leit­ner „wohl mehr den popu­lis­ti­schen Ver­such, eine Schlag­zeile zu ergat­tern, denn ver­ant­wor­tungs­volle Politik“.

Der Salz­bur­ger Gesund­heits­re­fe­rent Wal­ter Steidl sieht „über­haupt kei­nen Anlass dazu, den in Öster­reich seit Jahr­zehn­ten gel­ten­den Ansatz ‚The­ra­pie statt Strafe‘ infrage zu stel­len“. Mit ihrem Vor­schlag treibe die Innen­mi­nis­te­rin chro­nisch Kranke in die Kri­mi­na­li­tät. Und Univ. Prof. Kurt Grü­ne­wald, Gesund­heits­spre­cher der Grü­nen, meinte: „Hier wird vor den Wah­len bil­li­ges Klein­geld für ein kon­ser­va­ti­ves Kli­en­tel gemacht. Und das auf Kos­ten der Betroffenen.“

Ärzt­li­che Fort­bil­dung fördern

Zuspruch für die „geeig­netste und inter­na­tio­nal eta­blierte Form der Behand­lung von opi­at­ab­hän­gi­gen Pati­en­ten, um das chro­ni­sche Erkran­kungs­bild zu sta­bi­li­sie­ren und gesell­schafts­po­li­ti­schen Scha­den abzu­wen­den“, kommt auch vom Obers­ten Sani­täts­rat. Denn eine täg­li­che The­ra­pie koste circa acht Euro; ein Tag im Gefäng­nis dage­gen mehr als 100 Euro. Auch Mas­sen-Prä­ven­ti­ons­pro­gramme kos­te­ten mehr Geld als sie Nut­zen brin­gen und seien „anti­quiert“, fügt Univ. Prof. Gabriele Fischer, Dro­gen­ex­per­tin im Obers­ten Sani­täts­rat und Lei­te­rin der Dro­gen­am­bu­lanz am AKH Wien hinzu: „Öster­reich hat Mil­lio­nen und Aber­mil­lio­nen für sol­che Pro­jekte aus­ge­ge­ben und nichts erreicht.“ För­dern müsse man viel eher die Qua­li­tät der Aus- und Fort­bil­dung der Ärzte in der Substitutionstherapie.

Die Bedeu­tung des Behand­lungs­net­zes betont auch Alex­an­der David, Dro­gen­be­auf­trag­ter der Stadt Wien und einer der ers­ten, der 1987 Opi­at­ab­hän­gige mit Metha­don behan­delt hat: „Wir haben die Sub­sti­tu­ti­ons­the­ra­pie zum Haus­arzt hin gebracht. Wir brau­chen die Haus­ärzte, wir brau­chen auch unbe­dingt die Psych­ia­ter und wir brau­chen die spe­zia­li­sier­ten Zen­tren.“ Die For­de­rung von Hans Halt­mayer, Refe­rent für Sub­sti­tu­tion und Dro­gen­the­ra­pie in der Wie­ner Ärz­te­kam­mer: „Man sollte einen noch bes­se­ren Zugang zur Dro­gen­sub­sti­tu­tion schaf­fen und zwar in ganz Öster­reich. Das sollte nied­rigst­schwel­lig mög­lich sein.“

Inter­view: „Das macht mich fas­sungs­los!“

Für ihn sei es unvor­stell­bar, Pati­en­ten aus poli­ti­schen Grün­den eine The­ra­pie vor­zu­ent­hal­ten, erklärt Univ. Prof. Michael Mus­a­lek, ärzt­li­cher Lei­ter des Anton-Proksch-Insti­tuts in Wien, im Gespräch mit Marion Huber. Er erklärt, wo es hin­ge­gen viel­mehr gilt, Maß­nah­men zu setzen.

ÖÄZ: Wel­che Fak­ten wol­len Sie – im Gegen­satz zum Vor­stoß von Innen­mi­nis­te­rin Johanna Mikl-Leit­ner – in den Mit­tel­punkt rücken?
Mus­a­lek: Wir müs­sen dahin zurück­kom­men, dass wir wie in jedem ande­ren Fach­be­reich den Pati­en­ten die best­mög­li­che The­ra­pie zur Ver­fü­gung stel­len und das mit der größt­mög­li­chen Sicher­heit und ent­spre­chen­den Kon­troll­me­cha­nis­men. Ich finde es unmög­lich, dass hier poli­ti­sche Ideen Ein­gang fin­den. Die Sub­sti­tu­ti­ons­the­ra­pie ist heute aus dem gesam­ten The­ra­pie­spek­trum der Sucht­er­kran­kun­gen nicht weg­zu­den­ken: für die Pati­en­ten, die eine Abs­ti­nenz noch nicht schaf­fen; für jene, die pri­mär nicht in The­ra­pie gehen wol­len bezie­hungs­weise kön­nen und auch für jene, die eine große Sta­bi­li­tät unter der Sub­sti­tu­ti­ons­the­ra­pie erreicht haben und über viele Jahre sta­bil in ihrem psy­cho­so­zia­len Umfeld leben. Ihnen aus poli­ti­schen Grün­den eine sol­che The­ra­pie­form vor­zu­ent­hal­ten, ist unvor­stell­bar.

Ein Aspekt der Debatte betrifft die ver­wen­de­ten Sub­stan­zen. Kann man dar­über dis­ku­tie­ren?

Es steht außer Frage, dass der Arzt abschät­zen muss, wel­che The­ra­pie­form bei wel­chem Pati­en­ten sinn­voll ist. Aber es kann nicht ein Poli­ti­ker oder jemand ande­rer, der nicht vom Fach ist, beur­tei­len, was nun bes­ser wäre. Man würde auch nicht auf die Idee kom­men, einem Ortho­pä­den vor­zu­schrei­ben, wel­che Schmerz­mit­tel er zu geben hat. Das macht einen ja fas­sungs­los. Diese medi­zi­ni­sche Ent­schei­dung, kann nur jemand tref­fen, der ent­spre­chend aus­ge­bil­det ist und abschät­zen kann, wel­che Medi­ka­tion für wel­chen Pati­en­ten die rich­tige ist – und das ist aus­schließ­lich der ent­spre­chend aus­ge­bil­dete Arzt.

Was wün­schen Sie sich als Out­come die­ser Debatte?

Ich würde mir wün­schen, dass nicht nur über das Medi­ka­ment dis­ku­tiert wird. Nur ein Medi­ka­ment zu ver­schrei­ben, ist noch keine Behand­lung. Gerade in die­sem Bereich geht es vor allem auch um psy­cho­so­ziale Maß­nah­men. Sucht­er­kran­kun­gen sind schwere chro­ni­sche Erkran­kun­gen, die ent­spre­chend auf­wän­dig zu behan­deln sind. Außer­dem wün­sche ich mir, dass es zu einer Ent-Ideo­lo­gi­sie­rung kommt. Und ich würde mir sehr wün­schen, dass die ver­füg­ba­ren Men­gen an Heroin und Kokain am Markt gerin­ger wer­den. Da sind sehr wohl Maß­nah­men zu set­zen: Nicht bei den Sucht­kran­ken – das ist der fal­sche Ansatz­punkt – son­dern bei jenen, die Sucht­kranke süch­tig machen. Und das sind in der Regel nicht Suchtkranke.

Reak­tio­nen aus der Politik

„… Sucht­kranke gehö­ren zum Arzt, nicht zur Poli­zei …“ – Alois Stö­ger, Gesund­heits­mi­nis­ter

„… unver­ant­wort­li­cher Rück­schritt für jeden ein­zel­nen Betrof­fe­nen und die Gesell­schaft …“ – Artur Wech­sel­ber­ger, Prä­si­dent der Öster­rei­chi­schen Ärztekammer

„… Wahl­kampf auf dem Rücken chro­nisch Erkrank­ter …“ – Sonja Weh­sely, Wie­ner Gesundheitsstadträtin

„… mehr der popu­lis­ti­sche Ver­such, eine Schlag­zeile zu ergat­tern, denn ver­ant­wor­tungs­volle Poli­tik …“ – Peter Kai­ser, Kärnt­ner Gesundheitsreferent

„… Innen­mi­nis­te­rin treibt chro­nisch Kranke in die Kri­mi­na­li­tät …“ – Wal­ter Steidl, Salz­bur­ger Gesundheitsreferent

„… Sub­sti­tu­tion erhöht Schutz und Sicher­heit der Bevöl­ke­rung …“ – Kris­tina Edlin­ger-Plo­der, Gesund­heits­lan­des­rä­tin Steiermark

„… Sub­sti­tu­tion ist bewährte Pra­xis ohne wirk­li­che Alter­na­tive …“ – Kurt Grü­ne­wald, Gesund­heits­spre­cher „Grüne“

„… bes­se­ren, nied­rigst schwel­li­gen Zugang in ganz Öster­reich schaf­fen …“ – Hands Halt­mayer, Refe­rent für Sub­sti­tu­tion und Dro­gen­the­ra­pie in der Wie­ner Ärztekammer

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 5 /​10.03.2013