Richtlinien zur wissenschaftlichen Praxis: Wie man korrekt forscht

10.02.2013 | Politik

Auf die steigende Zahl an Plagiatsfällen hat die Medizinische Universität reagiert und die Richtlinien zur guten wissenschaftlichen Praxis aktualisiert. Der hohe Druck, Drittmittel einzuwerben sowie Überlastungen des Gutachterbetriebes sind Hauptursachen für Plagiate und Datenfälschungen, erklärten Experten bei einer Veranstaltung in Wien.Von Barbara Wakolbinger

Auch Fälle von wissenschaftlichem Fehlverhalten von Personen, die in der Öffentlichkeit stehen, werden immer wieder bekannt. In Österreich etwa war eine Studie der Urologischen Abteilung der Universität Innsbruck, im Rahmen derer Stammzellen gegen Harninkontinenz eingesetzt wurden. „Something, it seems, is rotten in the state of Austria“, urteilte das renommierte Journal „Nature“ bereits im Jahr 2008.

Die Medizinische Universität Wien hat darauf reagiert und ihre Richtlinien zur guten wissenschaftlichen Praxis überarbeitet und aktualisiert. Die bis dato gültigen Vorgaben stammten aus dem Jahr 2001, wie die Vizerektorin für Klinische Angelegenheiten der Medizinischen Universität Wien, Univ. Prof. Christiane Druml, bei der Podiumsdiskussion zu „Good Scientific Practice“ im Zuge der Präsentation der Richtlinien vor Kurzem in Wien erklärte. Inzwischen sei ein Paradigmenwechsel in der Wissenschaft zu beobachten. „Was früher mit dem Mantel des Schweigens umhüllt wurde, geschieht heute sehr transparent. Transparenz hat sich in der wissenschaftlichen Arbeit zu einer der wichtigsten Maximen entwickelt“, führte Druml weiter aus.

Neue Richtlinien

Wissenschaftliches Fehlverhalten wie etwa das Erfinden von Daten („fabrication“) oder die Fälschung und Manipulation von Daten („falsification“) sowie der Diebstahl geistigen Eigentums („Plagiarismus“) schädigen nicht nur den Ruf des Einzelnen und die Reputation der Universität, sondern sind häufig Ausgangspunkt für arbeitsrechtliche Streitfälle, stellt der Rektor der MedUni Wien, Univ. Prof. Wolfgang Schütz, fest. Deshalb werde Fehlverhalten in den neuen Richtlinien auch genau definiert und das Verfahren und die Konsequenzen erläutert. Geschützt werden sollen dabei nicht nur die Personen, die eines Fehlverhaltens beschuldigt werden, sondern auch diejenigen, die diesen Sachverhalt anzeigen, die so genannten „Whistleblower“. Auf diese Weise will man in Zukunft „Schlammschlachten“ vermeiden, bei denen es auf beiden Seiten nur Verlierer gebe, meinte Schütz.

MedUni Wien: Vorreiterrolle

Der MedUni Wien käme dabei eine besondere Vorreiterrolle zu, wie der Vizerektor für Forschung, Univ. Prof. Markus Müller, betonte. „Die besondere Verantwortung in der wissenschaftlichen Integrität ist dabei schon der Disziplin geschuldet. Datenfälschung in der Medizin kann unmittelbare Auswirkungen auf das Patientenwohl haben.“

Die Gründe für die steigende Zahl von wissenschaftlichem Fehlverhalten ortete der Präsident des Österreichischen Wissenschaftsfonds und Vorsitzende der Österreichischen Akademie für wissenschaftliche Integrität, Univ. Prof. Christoph Kratky, auch im zunehmenden Publikationsdruck. Dem schloss sich Univ. Prof. Magdalena Pöschl vom Institut für Staatsund Verwaltungsrecht der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien an: „Die Devise ‚publish or perish‘ ist zusammen mit dem hohen Drittmittel-Druck und der Überlastung des Gutachterbetriebes eine der Hauptursachen für Plagiate und Datenfälschungen.“ Man müsse nicht nur forschen, sondern aktiv zeigen, dass man forsche. Der Konkurrenzdruck zwischen den Spitzenforschungsinstitutionen steige. Dazu kämen Interessenskonflikte etwa mit der Industrie und auch der zunehmende Autonomieverlust würde das Fehlverhalten fördern.

Vereinheitlichen und vorbeugen

Als großes Problem beschrieben die Teilnehmer der Diskussion die Uneinheitlichkeit der Regeln für gute wissenschaftliche Praxis an den verschiedenen Universitäten und Institutionen. An der MedUni Wien beispielsweise wird deshalb jetzt auch die Verantwortung der Wissenschafter für ihre Arbeit, für die Dokumentation von klinisch-wissenschaftlichen Projekten, für den Umgang mit Studiendaten und Tierversuchen sowie für die Nennung von Autoren bei wissenschaftlichen Publikationen und die Zusammenarbeit mit der Industrie klar geregelt. Studenten an der MedUni Wien würden diesen Richtlinien auf jeden Fall in einem Methodenseminar begegnen, sagte Müller. Der Sinn der Aktualisierung sei auch „dass man noch schärfer und konkreter klarmacht, was Fehlverhalten ist“. Auch die Medizinischen Universitäten Graz und Innsbruck sind Mitglieder der Österreichischen Agentur für wissenschaftliche Integrität. An der Med- Uni Graz sorgt neben den Richtlinien zu „Good Scientific Practice“ auch eine Ombudsstelle für wissenschaftliche Qualitätssicherung für die Förderung guter wissenschaftlicher Praxis. In Innsbruck sind die Richtlinien in der Satzung der Universität verankert; außerdem gibt es vier Vertrauenspersonen, an die sich die Forscher im Zweifelsfall wenden können.


Interview – Hohe Dunkelziffer

Dass es bei wissenschaftlichem Fehlverhalten eine hohe Dunkelziffer gibt, davon geht der Präsident des Österreichischen Wissenschaftsfonds und Vorsitzender der Österreichischen Akademie für wissenschaftliche Integrität, Univ. Prof. Christoph Kratky, aus. Das Gespräch führte Barbara Wakolbinger.

ÖÄZ: Wie hoch schätzen Sie die Dunkelziffer von wissenschaftlichem Fehlverhalten ein?
Kratky: Aus meiner Erfahrung ist diese Ziffer sehr hoch. Fast jeder Kollege kann Geschichten erzählen oder hat selbst Fehlverhalten erlebt. Deshalb ist wissenschaftliche Integrität ein Problem, das uns alle angeht. Ich halte auch die Haltung für gefährlich, dass sich gefälschte Daten früher oder später von selbst erledigen, da sie ja von anderen nicht reproduziert werden können. Es ist zwar richtig, dass sich die Wahrheit letztendlich durchsetzt, aber häufig unter enormen Kosten.

Ist wissenschaftliche Integrität gerade in der Medizin besonders wichtig?
Wissenschaftliche Integrität ist überall wichtig, zunächst einmal unabhängig vom wissenschaftlichen Fach. Datenfälschung ist Datenfälschung, so wie Diebstahl Diebstahl ist. Da macht es wenig Unterschied, ob er in einem Supermarkt oder in einer Bank geschieht. Deshalb sagen wir nicht, dass man bei der Medizin genauer hinsehen müsste. Allerdings kommen in der Medizin viele fachspezifische Besonderheiten hinzu, etwa der Datenschutz oder der Umgang mit Probanden. Außerdem können die Folgen wissenschaftlichen Fehlverhaltens in einigen Bereichen der Medizin natürlich besonders gravierend sein.

Sie haben bisher vier medizinische Fälle behandelt. Das sind im Vergleich zu etwa den Geisteswissenschaften relativ wenige.
Ich meine, dass diese Fallzahlen noch keine allgemeingültigen Schlüsse zulassen. Viel wichtiger ist die Art der Verfehlung und deren Schwere. Bedenken Sie, dass die Publikation gefälschter Daten das gesamte Wissenschaftssystem schädigt. Demgegenüber schädigt ein Plagiat in erster Linie einzelne Personen, ebenso wie Autorenkonflikte. Bei den Geisteswissenschaften geht es meist um Plagiate. In der Medizin kommen durchaus auch Datenfälschungen vor.

Was sind die nächsten Ziele der Agentur?
Ein großes Problem der Österreichischen Akademie für wissenschaftliche Integrität besteht darin, dass jede Institution eigene und oft stark divergierende ‚Regeln guter wissenschaftlicher Praxis‘ hat. Das macht unsere Arbeit unnötig kompliziert, und hat auch Implikationen für die Legitimität unseres Tuns. Deshalb arbeiten wir daran, in Zusammenarbeit mit unseren Mitgliedsorganisationen einen Satz von Regeln guter wissenschaftlicher Praxis auszuarbeiten, dem sich alle anschließen können. Außerdem beschäftigen wir uns damit, wie Forschungseinrichtungen die ‚Regeln guter wissenschaftlicher Praxis‘ für ihre Mitarbeiter verbindlich machen können. Am Ende stellt sich natürlich die Frage, ob nicht eine für ganz Österreich geltende gesetzliche Regelung angemessener wäre. Zurzeit bin ich – noch – der Meinung, dass man auf die Selbstregulierung des Wissenschaftssystems vertrauen soll. Die Wissenschaft weiß selbst am besten, was ‚gut‘ für sie ist. Dennoch beobachten wir immer wieder, dass ein großer Unterschied zwischen der wissenschaftlichen und der juristischen Beurteilung eines Falles bestehen kann. Ich wage nicht vorauszusagen, was am Ende des Tages aus diesem ‚Clash of cultures‘ herauskommt.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 3 / 10.02.2013