Auf die steigende Zahl an Plagiatsfällen hat die Medizinische Universität reagiert und die Richtlinien zur guten wissenschaftlichen Praxis aktualisiert. Der hohe Druck, Drittmittel einzuwerben sowie Überlastungen des Gutachterbetriebes sind Hauptursachen für Plagiate und Datenfälschungen, erklärten Experten bei einer Veranstaltung in Wien.Von Barbara Wakolbinger
Auch Fälle von wissenschaftlichem Fehlverhalten von Personen, die in der Öffentlichkeit stehen, werden immer wieder bekannt. In Österreich etwa war eine Studie der Urologischen Abteilung der Universität Innsbruck, im Rahmen derer Stammzellen gegen Harninkontinenz eingesetzt wurden. „Something, it seems, is rotten in the state of Austria“, urteilte das renommierte Journal „Nature“ bereits im Jahr 2008.
Die Medizinische Universität Wien hat darauf reagiert und ihre Richtlinien zur guten wissenschaftlichen Praxis überarbeitet und aktualisiert. Die bis dato gültigen Vorgaben stammten aus dem Jahr 2001, wie die Vizerektorin für Klinische Angelegenheiten der Medizinischen Universität Wien, Univ. Prof. Christiane Druml, bei der Podiumsdiskussion zu „Good Scientific Practice“ im Zuge der Präsentation der Richtlinien vor Kurzem in Wien erklärte. Inzwischen sei ein Paradigmenwechsel in der Wissenschaft zu beobachten. „Was früher mit dem Mantel des Schweigens umhüllt wurde, geschieht heute sehr transparent. Transparenz hat sich in der wissenschaftlichen Arbeit zu einer der wichtigsten Maximen entwickelt“, führte Druml weiter aus.
Neue Richtlinien
Wissenschaftliches Fehlverhalten wie etwa das Erfinden von Daten („fabrication“) oder die Fälschung und Manipulation von Daten („falsification“) sowie der Diebstahl geistigen Eigentums („Plagiarismus“) schädigen nicht nur den Ruf des Einzelnen und die Reputation der Universität, sondern sind häufig Ausgangspunkt für arbeitsrechtliche Streitfälle, stellt der Rektor der MedUni Wien, Univ. Prof. Wolfgang Schütz, fest. Deshalb werde Fehlverhalten in den neuen Richtlinien auch genau definiert und das Verfahren und die Konsequenzen erläutert. Geschützt werden sollen dabei nicht nur die Personen, die eines Fehlverhaltens beschuldigt werden, sondern auch diejenigen, die diesen Sachverhalt anzeigen, die so genannten „Whistleblower“. Auf diese Weise will man in Zukunft „Schlammschlachten“ vermeiden, bei denen es auf beiden Seiten nur Verlierer gebe, meinte Schütz.
MedUni Wien: Vorreiterrolle
Der MedUni Wien käme dabei eine besondere Vorreiterrolle zu, wie der Vizerektor für Forschung, Univ. Prof. Markus Müller, betonte. „Die besondere Verantwortung in der wissenschaftlichen Integrität ist dabei schon der Disziplin geschuldet. Datenfälschung in der Medizin kann unmittelbare Auswirkungen auf das Patientenwohl haben.“
Die Gründe für die steigende Zahl von wissenschaftlichem Fehlverhalten ortete der Präsident des Österreichischen Wissenschaftsfonds und Vorsitzende der Österreichischen Akademie für wissenschaftliche Integrität, Univ. Prof. Christoph Kratky, auch im zunehmenden Publikationsdruck. Dem schloss sich Univ. Prof. Magdalena Pöschl vom Institut für Staatsund Verwaltungsrecht der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien an: „Die Devise ‚publish or perish‘ ist zusammen mit dem hohen Drittmittel-Druck und der Überlastung des Gutachterbetriebes eine der Hauptursachen für Plagiate und Datenfälschungen.“ Man müsse nicht nur forschen, sondern aktiv zeigen, dass man forsche. Der Konkurrenzdruck zwischen den Spitzenforschungsinstitutionen steige. Dazu kämen Interessenskonflikte etwa mit der Industrie und auch der zunehmende Autonomieverlust würde das Fehlverhalten fördern.
Vereinheitlichen und vorbeugen
Als großes Problem beschrieben die Teilnehmer der Diskussion die Uneinheitlichkeit der Regeln für gute wissenschaftliche Praxis an den verschiedenen Universitäten und Institutionen. An der MedUni Wien beispielsweise wird deshalb jetzt auch die Verantwortung der Wissenschafter für ihre Arbeit, für die Dokumentation von klinisch-wissenschaftlichen Projekten, für den Umgang mit Studiendaten und Tierversuchen sowie für die Nennung von Autoren bei wissenschaftlichen Publikationen und die Zusammenarbeit mit der Industrie klar geregelt. Studenten an der MedUni Wien würden diesen Richtlinien auf jeden Fall in einem Methodenseminar begegnen, sagte Müller. Der Sinn der Aktualisierung sei auch „dass man noch schärfer und konkreter klarmacht, was Fehlverhalten ist“. Auch die Medizinischen Universitäten Graz und Innsbruck sind Mitglieder der Österreichischen Agentur für wissenschaftliche Integrität. An der Med- Uni Graz sorgt neben den Richtlinien zu „Good Scientific Practice“ auch eine Ombudsstelle für wissenschaftliche Qualitätssicherung für die Förderung guter wissenschaftlicher Praxis. In Innsbruck sind die Richtlinien in der Satzung der Universität verankert; außerdem gibt es vier Vertrauenspersonen, an die sich die Forscher im Zweifelsfall wenden können.
Interview – Hohe Dunkelziffer Dass es bei wissenschaftlichem Fehlverhalten eine hohe Dunkelziffer gibt, davon geht der Präsident des Österreichischen Wissenschaftsfonds und Vorsitzender der Österreichischen Akademie für wissenschaftliche Integrität, Univ. Prof. Christoph Kratky, aus. Das Gespräch führte Barbara Wakolbinger. ÖÄZ: Wie hoch schätzen Sie die Dunkelziffer von wissenschaftlichem Fehlverhalten ein? Ist wissenschaftliche Integrität gerade in der Medizin besonders wichtig? Sie haben bisher vier medizinische Fälle behandelt. Das sind im Vergleich zu etwa den Geisteswissenschaften relativ wenige. Was sind die nächsten Ziele der Agentur? |
© Österreichische Ärztezeitung Nr. 3 /10.02.2013