Pati­en­ten­si­cher­heit: Ein­fach­heit als Potential

25.10.2013 | Politik

In ein­fa­chen, stan­dar­di­sier­ten Pro­zes­sen liegt – neben ent­spre­chen­den Rah­men­be­din­gun­gen und einer offe­nen Feh­ler­kul­tur – eines der größ­ten Poten­tiale für die Pati­en­ten­si­cher­heit, beton­ten Exper­ten bei einer Tagung der Platt­form Pati­en­ten­si­cher­heit vor Kur­zem in Wien.
Von Marion Huber

Ein Mensch treibt im Fluss, der Arzt springt hin­ein, zieht ihn aus dem Was­ser und ret­tet ihn – und schon treibt der nächste Mensch vor­bei, der Arzt springt hin­ein, ret­tet ihn… – „Und so geht es immer wei­ter: In die­ser Auf­gabe erschöp­fen wir uns“, beschrieb ÖÄK-Prä­si­dent Artur Wech­sel­ber­ger bei einer Tagung der Öster­rei­chi­schen Platt­form Pati­en­ten­si­cher­heit in Wien Anfang Okto­ber die Gesund­heits­ziele aus Sicht eines kura­tiv täti­gen Arz­tes. Gesund­heits­för­de­rung, Public Health und Health in all Poli­cies seien Schlag­worte, „die uns auf­for­dern, ein­mal Fluss-auf­wärts zu schauen, was hin­ter der nächs­ten Fluss­bie­gung pas­siert und was die Ursa­che dafür ist, dass wir im kura­ti­ven Bereich hel­fen müssen“.

Die Ärzte stün­den die­sen Ansät­zen posi­tiv gegen­über, betonte der ÖÄK­Prä­si­dent. „Wir wol­len, dass man nicht nur punk­tu­ell Gesund­heits­ak­tio­nen setzt, son­dern dass das Leben von der Geburt an, vom Auf­wach­sen bis zum Arbeits­platz durch­drun­gen ist mit dem Gedan­ken, die Men­schen gesund zu hal­ten und sie in ihrer Gesund­heit zu unter­stüt­zen“, so Wech­sel­ber­ger. Er ortet aber „drin­gen­den Reform­be­darf“ etwa was Ärzte- und Pfle­ge­man­gel, die Aus­bil­dung zum Arzt für All­ge­mein­me­di­zin oder die wohn­ort­nahe Ver­sor­gung angeht. Es brau­che Kon­zepte, um aus dem Schlag­wort ‚Health in all Poli­cies‘ leb­bare Struk­tu­ren zu machen: „Wir brau­chen Akti­vi­tät. Nichts pas­siert von selbst. Man muss Maß­nah­men set­zen. Das Schlag­wort allein ist nicht genug.“

Gesund­heits­ziel Patientensicherheit?

Die öster­rei­chi­schen Rah­men­ge­sund­heits­ziele haben für den ÖÄK-Prä­si­den­ten einen „Wer­muts­trop­fen“: die Pati­en­ten­si­cher­heit ist nicht ent­hal­ten. „Ich schlage vor, dass wir sie über die zehn Ziele stel­len, weil sie allen Zie­len inne­wohnt.“ Für den Arzt ergebe sie sich aus dem Selbst­ver­ständ­nis des ärzt­li­chen Berufs, sagt Wech­sel­ber­ger und nennt den Grund­satz: „Pri­mum nil nocere“. Den­noch sei das Gesund­heits­we­sen ein Hoch­ri­si­ko­be­reich, in dem man Risiko nicht 100-pro­zen­tig aus­schlie­ßen könne. „Des­halb müs­sen Maß­nah­men zur Pati­en­ten­si­cher­heit Teil des Qua­li­täts­ma­nage­ments sein.“ So gelte es, Risi­ken zu erken­nen, mit Feh­lern posi­tiv umzu­ge­hen, Pati­en­ten ein­zu­be­zie­hen, Akteure zu schu­len und sich um die Sicher­heit von Pro­zes­sen und Struk­tu­ren zu küm­mern. Hilf­reich seien dabei ein­fa­che, stan­dar­di­sierte Lösun­gen wie Check­lis­ten, tech­ni­sche Hilfs­mit­tel sowie Feh­ler­be­richts- und Lern­sys­teme, so der ÖÄK-Prä­si­dent. „Wir dür­fen nicht zulas­sen, dass Dinge noch kom­pli­zier­ter wer­den. In der Ein­fach­heit liegt eines der größ­ten Poten­tiale zur Risikominimierung.“

Und eines möchte Wech­sel­ber­ger in die­sem Zusam­men­hang „nie wie­der hören“: die Story der Göt­ter in Weiß, die man her­un­ter­stür­zen müsse. „Ärzte sind keine Göt­ter in Weiß, son­dern hoch­qua­li­fi­zierte, sich mühende Per­so­nen. Aber nie­mand ist eine Maschine, jeder kann Feh­ler machen“, so der ÖÄK-Prä­si­dent. Des­halb brau­che es eine offene Sicher­heits­kul­tur ohne „blame and shame“. Man müsse stän­dig ver­su­chen, das Sys­tem so zu ver­än­dern, dass Feh­ler, die ein­mal auf­ge­tre­ten sind, nicht mehr pas­sie­ren. „Aber nicht die Ein­zel­per­son, son­dern feh­ler­hafte Sys­teme sind Haupt­ver­ur­sa­cher“, gab er zu beden­ken. Auch die Rah­men­be­din­gun­gen müss­ten pas­sen: „Bei allen per­sön­li­chen Bemü­hun­gen: ohne ent­spre­chende Res­sour­cen wird man das Ziel der Risi­ko­mi­ni­mie­rung nicht erreichen.“

Dem stimmte Prof. Peter Gaus­mann, Geschäfts­füh­rer der Gesell­schaft für Risi­ko­be­ratung in Nord­rhein-West­fa­len, zu: „Wir kön­nen noch so tolle Kon­zepte auf poli­ti­scher Ebene ent­wi­ckeln, wenn wir die Leute nicht haben, die es in der Pra­xis umset­zen.“ Es gelte, die Aus­bil­dung der Gesund­heits­be­rufe zu ver­bes­sern und Arbeits­be­din­gun­gen zu schaf­fen, in denen Pati­en­ten­si­cher­heit wirk­lich mög­lich ist. In Deutsch­land ist die Pati­en­ten­si­cher­heit des­halb vor kur­zem in die natio­na­len Gesund­heits­ziele auf­ge­nom­men wor­den. War es vor weni­gen Jah­ren noch „Illu­sion“, habe man nun erreicht, dass sich Poli­tik und Volks­wirt­schaft damit aus­ein­an­der­set­zen, Stra­te­gien und Rah­men­ge­sund­heits­ziele aus­ar­bei­ten. Jetzt gelte es, das poli­ti­sche Thema wie­der an die Pra­xis zurück­zu­ge­ben, wie Gaus­mann betont: „Die Poli­tik muss gemein­sam mit der Pra­xis Lösun­gen fin­den, die umsetz­bar sind.“

Pati­en­ten­si­cher­heit durch Fortbildung

„Die Aus- und Fort­bil­dung der Gesund­heits­be­rufe ist einer der wich­tigs­ten Punkte für die Pati­en­ten­si­cher­heit“, betonte Peter Nie­der­mo­ser, Prä­si­dent des wis­sen­schaft­li­chen Bei­rats der Öster­rei­chi­schen Aka­de­mie der Ärzte und Prä­si­dent der Ärz­te­kam­mer Ober­ös­ter­reich, beim Bil­dungs­tag der Platt­form Pati­en­ten­si­cher­heit. Bei den Ärz­ten sei es das Diplom-Fort­bil­dungs-Pro­gramm (DFP) der ÖÄK, das die kon­ti­nu­ier­li­che, qua­li­täts­ge­si­cherte Fort­bil­dung sichert, so Nie­der­mo­ser wei­ter. Mit der DFP-Novelle müs­sen Ärzte seit 1. Sep­tem­ber 2013 inner­halb von fünf Jah­ren 250 Fort­bil­dungs­punkte sam­meln, teil­weise durch E‑Learning, teil­weise durch Prä­senz-Ver­an­stal­tun­gen. „Es tut ein­fach gut, zusam­men­zu­kom­men und sich inter­dis­zi­pli­när aus­zu­tau­schen“, so Niedermoser.

Seit der DFP-Novelle wird für jeden Arzt ein DFP-Konto ange­legt; auf der Platt­form www.meindfp.at kann er seine Fort­bil­dung doku­men­tie­ren. Dass das Ange­bot sehr gut akzep­tiert wird, bewei­sen die Zah­len: Waren es zu Beginn im Mai 2007 noch 1.198 User-Kon­ten, zählte man im August 2013 schon 23.280 Kon­ten. Jedes Monat kom­men etwa 200 neue User hinzu. Allein 2012 wur­den mehr als 1.743.500 Fort­bil­dungs­punkte gebucht.

Aus­trian Pati­ent Safety Award verliehen

Im Rah­men der Tagung hat die Platt­form Pati­en­ten­si­cher­heit heuer erst­mals den Aus­trian Pati­ent Safety Award ver­lie­hen. Von den 23 ein­ge­reich­ten Pro­jek­ten wurde das Team um Wolf­gang Puch­ner vom AKH Linz mit dem Pro­jekt „PARS – Pati­ent at Risk-Score-Sys­tem“ mit dem ers­ten Preis aus­ge­zeich­net. Im Rah­men die­ses Pro­jekts wird in einem mul­ti­dis­zi­pli­nä­ren Ansatz das Risiko von Pati­en­ten stan­dar­di­siert bestimmt, um sie in lebens­be­droh­li­chen Situa­tio­nen rasch der rich­ti­gen Behand­lung zuzu­füh­ren. Platz zwei geht an das AUVA-Pro­jekt „CIRPS ent­wi­ckelt sich – Zah­len, Daten und Fak­ten bele­gen die Wir­kung von CIRPS zur Erhö­hung der Pati­en­ten­si­cher­heit“. Das Pro­jekt der video­as­sis­tier­ten Simu­la­tion von Not­fall­si­tua­tio­nen im Ope­ra­ti­ons­saal von Michaela Dre­xel und Univ. Prof. Ger­hard Stark vom Kran­ken­haus der Eli­sa­be­thi­nen Graz erzielte Platz drei. „Die drei Sie­ger­pro­jekte ste­hen stell­ver­tre­tend für das große Enga­ge­ment in hei­mi­schen Spi­tä­lern und Gesund­heits­ein­rich­tun­gen“, betonte Bri­gitte Ettl, Prä­si­den­tin der Platt­form Pati­en­ten­si­cher­heit und ärzt­li­che Direk­to­rin am Kran­ken­haus Hiet­zing in Wien.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 20 /​25.10.2013