Obamacare nach der Wahl: Die Zeit drängt

25.03.2013 | Politik


Schon ab 2014 soll in den USA die Versicherungspflicht für alle gelten. Weder das richtungsweisende Gerichtsurteil des Supreme Court noch Obamas Wiederwahl haben den politischen und gesellschaftlichen Widerstand gegen Obamacare gebrochen. Doch der Weg bleibt steinig.
Von Nora Schmitt-Sausen

Auch drei Jahre nach Unterzeichnung geht das Ringen um die Reform des US- amerikanischen Gesundheitswesens unvermindert weiter. Das größte Kopfzerbrechen macht der Regierung derzeit der Aufbau der sogenannten Health Insurance Exchanges. Über diese neuen lokalen Online-Versicherungsmärkte sollen unversicherte US-Bürger bereits in wenigen Monaten Zugang zum Gesundheitsmarkt finden. Das Problem: Mehr als die Hälfte der 50 US-amerikanischen Bundesstaaten hat der Zentralregierung in Washington am Jahresende signalisiert, dass sie diesen Schritt nicht mitgehen werden. Sie weigern sich, die notwendigen technischen und personellen Ressourcen bereit- zustellen, obwohl Washington den Großteil der Finanzlast trägt. Verwehrt sich eine Lokalregierung, die Börse zu implementieren, wird diese vom Bundesgesundheits-ministerium aufgebaut und betrieben. Bei der Entscheidung für oder gegen den Aufbau spielt das Parteibuch ohne Zweifel eine Rolle. Lediglich drei republikanisch regierte Bundesstaaten gaben ihr ‚Ja‘ zu der neuen Gesundheitsbörse. Knapp 20 Bundesstaaten werden sich selbst um den Aufbau der Plattform kümmern; einige davon wollen sogar schon nach einem Jahr in das Management des Programms einsteigen, um das Angebot besser an den lokalen Gegebenheiten ausrichten zu können. Gesundheitsministerin Kathleen Sebelius ist sich sicher, dass die Online-Märkte landesweit funktionieren werden. „In zehn Monaten werden Verbraucher in allen 50 Bundesstaaten Zugang zu den neuen Börsen haben und in der Lage sein, auf einfache Art und Weise qualitätsstarke Versicherungspläne zu kaufen“, verkündete die Ministerin Ende 2012.

Online-Start im Oktober

Bereits ab Oktober dieses Jahres sollen Unversicherte über die Online-Plattformen private Versicherungen erwerben können, die dann ab 1.1.2014 greifen. Falls nötig, sollen die US-Bürger über die Börsen auch staatliche Unterstützung in Form von Steuer- vergünstigungen beantragen können. Für die Präsenz im Online-Markt müssen die Versicherer eine Gebühr bezahlen. An die angebotenen Versicherungspläne werden Mindeststandards gestellt. Die Versicherer sind verpflichtet, allen Bürgern Policen anzubieten – ungeachtet des Gesundheitsstandes. Es ist ihnen untersagt, chronisch Kranke oder Bürger mit behandlungsintensiven Erkrankungen höher einzustufen als Gesunde. Nach offiziellen Berechnungen sollen über die neuen Online-Märkte in den kommenden Jahren 25 Millionen US-Bürger Zugang zum Gesundheitswesen erhalten.

Ein weiterer Unruheherd bei der Implementierung der Jahrhundertreform bleibt die strikte Ablehnung von konservativen Politikern, Gesellschaftsgruppen und Unternehmern gegenüber einem anderen zentralen Baustein von Obamacare. Der Streit erhitzt sich an der Frage, ob Arbeitgeber – die in den USA zum Großteil die Kosten für die Versicherung ihrer Angestellten zahlen – gezwungen werden können, für Empfängnisverhütung aufzukommen. Denn: Obamacare sieht vor, dass Empfängnis-verhütende Mittel künftig kostenfrei zugänglich sind. Sie sollen unter der Kategorie Prävention zur Standardversorgung zählen. Neben den Kosten für Sterilisationen und Anti-Baby-Pille müssen demnach auch Behandlungen mit der „Pille danach“ übernommen werden. Arbeitgebern, die sich dieser neuen Richtlinie verweigern, droht eine Strafe.

Doch der Widerstand gegen diesen Passus der Reform ist in konservativen Kreisen massiv. Religiöse Institutionen und gläubige Unternehmer haben die Regierung landesweit mit Klagen überzogen. Es verstoße gegen ihre Glaubensgrundsätze, für Empfängnis-verhütende Mittel aufzukommen. Bisher ist es Obama nicht gelungen, die Balance zwischen Frauenrechten, Gesundheitsversorgung und Religionsfreiheit zu finden. Ein aktueller Kompromissvorschlag – der dritte in gut einem Jahr – sieht vor, dass Kirchen und andere religiöse Institutionen sowie einzelne Krankenhäuser, Universitäten und soziale Einrichtungen auch künftig nicht für die Empfängnisverhütung zahlen müssen. Weibliche Angestellte, die einen kostenfreien Zugang zu Empfängnis-verhütenden Mitteln wünschten, müssten dafür eine gesonderte Police bei einem Privatversicherer abschließen – die sie allerdings nichts kosten darf. Entsprechend empfindlich reagieren die Versicherungs- unternehmen. Sie fragen sich, woher sie das Geld bekommen, um die staatlich verordneten Präventionsleistungen bei der Geburtenkontrolle zu bezahlen. Die Gräben in dieser Debatte sind so tief, dass Beobachter nicht ausschließen, dass die Gesundheitsreform wegen dieser Streitfrage erneut vor dem Obersten Gericht landet.

Skepsis in Bevölkerung bleibt

Dass die Skepsis gegenüber der Reform nicht nur auf politischer Ebene weiterhin groß, sondern auch in der Gesellschaft weit verbreitet ist, zeigt eine aktuelle Umfrage des renommierten Meinungsforschungsinstituts Gallup. In einer Erhebung Ende 2012 äußerten die Befragten gar eine größere Ablehnung gegenüber der staatlich aufgedrückten Pflicht zur Versicherung, als in den vergangenen Jahren. Auf die Frage, ob es in der Verantwortung der Zentralregierung läge, sicherzustellen, dass alle Amerikaner krankenversichert sind, antworteten 54 Prozent mit Nein und nur 44 Prozent mit Ja. Immerhin: Obamas Gesetz befürwortet derzeit eine knappe Mehrheit – 48 zu 45 Prozent.

Ob dieser weit verbreiteten Skepsis sowie wegen der anhaltenden Querschüsse von republikanischen Gouverneuren und konservativen Gruppen ging eine positive Nachricht beinahe unter. Nach Angaben des Census Bureau (Volkszählungsbehörde) sind erstmals seit 2007 wieder weniger US-Bürger unversichert. Im Jahr 2011 waren 48,6 Millionen Amerikaner (15,7 Prozent) ohne Krankenversicherung, im Vorjahr waren es noch 49,9 Millionen (16,3 Prozent). Obamacare wird mitverantwortlich für diese positive Entwicklung gemacht. Vor allem deshalb: Die Reform macht es möglich, dass Erwachsene zwischen 18 und 26 Jahren über ihre Eltern mitversichert sein können. Mehr als drei Millionen junge Amerikaner machten seit 2010 von dieser Option Gebrauch.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 6 / 25.03.2013