Interview – Hermann Toplak: Fortbildung in Stufen

25.02.2013 | Politik

Einführung, vertiefende Kurse und Seminare auf wissenschaftlicher Ebene: Künftig wird es im Bereich der Fortbildung unterschiedliche Level geben. Davon ist Univ. Prof. Hermann Toplak, der seit 2012 eine Professur für Medizinische Fortbildung an der Universität Graz innehat, überzeugt. Das Gespräch führte Barbara Wakolbinger.


ÖÄZ: Sie sind seit rund 20 Jahren in der ärztlichen Fortbildung tätig. Was hat sich in dieser Zeit geändert?

Toplak: Die erste Entwicklung ist sicher jene von der Angebots-orientierten zur Konsumenten-orientierten Fortbildung. Zur selben Zeit hat in vielen Fächern eine Spezialisierung stattgefunden, die es vorher nicht gegeben hat. Eine Reaktion darauf sind etwa Grundkurs-Angebote oder Updates in gewissen Fachgebieten wie etwa der Neurologie. Die dritte Entwicklung ist jene, dass sich das Wissen heute extrem vervielfacht hat. Schon in der Ausbildung geht es darum, nicht alles, sondern das Richtige zu lernen. Das Richtige bedeutet in diesem Fall alles, was häufig oder exemplarisch wichtig ist.

Welche Rolle spielt Fortbildung in Zeiten der täglich zunehmenden Information und der damit einhergehenden Wissensexplosion?

Das Informationszeitalter und die Technisierung des Berufs haben nicht nur unseren Umgang mit neuem Wissen und neuen Forschungsergebnissen verändert, sondern auch die Auswahl schwierig gemacht. Deswegen nimmt Fortbildung, bei der jemand anderer anleitet und hilft, Zusammenhänge in der Flut von Informationen zu erkennen, eine besonders wichtige Rolle ein. Sie hilft, zu sortieren und Hinweise darauf zu geben, was wichtig ist und wo es langgeht beziehungsweise gehen könnte. In der Fortbildung nutzt man den aktuellsten Publikationsstand, um zu erkennen, was dann für die Umsetzung wirklich brauchbar ist und fasst es zu einem Extrakt zusammen.

Wie sieht moderne Fortbildung im medizinischen Bereich aus?
Wir werden auch in Zukunft in der Medizin Lehrer brauchen, die neueste komplexe Entwicklungen auf das herunterbrechen können, was es morgen in der täglichen Praxis beim Patienten braucht.

Müssen sich also die Formate ändern?
Wenn Ärzte in einem Seminar ein paar Fälle lösen müssen, vergessen sie vieles einfach nicht mehr. Menschen merken sich Geschichten und anhand dieser Geschichten nehmen sie auch eine Information mit, die gleich mitgemerkt wird. Das bringt viel tiefschürfendere Ergebnisse als den bloßen Aha-Effekt samt Abnicken. Das ist die moderne Form der Aus- und Fortbildung, die wir gestalten müssen: Wissen so zu vermitteln, dass es die Teilnehmer wirklich adoptieren und lernen, um es dann in ihre tägliche Praxis zu integrieren.

Welche Rolle spielen dabei die Technik und auch digitale Medien? Werden sie in Zukunft verstärkt zum Einsatz kommen?

Wir haben schon einiges versucht – etwa Vorträge online zu stellen. Das ist ein Projekt, das ich auch weiterverfolgen möchte. Problematisch ist aber, dass man das nicht einfach so machen kann, also etwa einen Vortrag abfilmen. Im Internet schaut man meist nichts an, was länger als fünf bis sieben Minuten dauert und dann klickt man weg. Man müsste also Diplomfortbildungen so gestalten, dass die Ärzte dranbleiben. Man müsste sie „entertainen“. Bei solchen Produkten muss man wahrscheinlich gänzlich neue Wege gehen. Letztlich glaube ich aber, dass das nicht der Weg ist. Ich bin überzeugt, dass man von einem guten Lehrer in der Präsenz, in der Interaktion und Diskussion mehr lernt als das simple Wort. Das kann man im Internet momentan und vermutlich auch in Zukunft in dieser Qualität mit machbarer Finanzierung nicht anbieten.

Wo gibt es Defizite in der Ausbildung?
Wenn eine medizinische Ausbildung mehrere Jahre her ist, dann hat sich bereits so viel getan, dass man wieder von vorne anfangen könnte. Das heißt, es muss in Hinkunft Prozesse geben, die jeden Arzt auch in fachfremden Disziplinen so fortbildgen, damit er die absoluten ‚Basics‘ weiß.

Was wird denn in der Fortbildung besonders häufig nachgefragt?

Einfache Kochrezepte. Das ist auch ein Problem, weil man Kochrezepte häufig nur dann richtig anwenden kann, wenn man zusätzlich die Philosophie des Kochens versteht. Gebe ich nur Anweisungen zu einem Medikament in einer gewissen Dosierung, wird das nicht reichen. Ärzte müssen schließlich verstehen, warum sie das machen und sie müssen wissen, worauf man wechselweise aufpassen muss. Gerade in der erstmaligen Vermittlung von Themen haben wir noch extrem viel zu tun. Dazu fehlt es momentan auch an geeigneten Lehrern. So wie es Menschen geben wird, die einen Forschungsschwerpunkt haben, werden andere Ärzte ihren Schwerpunkt in Zukunft auf das Lehren legen. Die Humboldtsche Trias kann man heute nicht mehr das ganze Leben lang leben. Man kann nicht Basisforschung im Labor machen, hochwertigste Qualitätsversorgung von Patienten bieten und dann noch Lehrer auf höchster Ebene sein. Das geht nicht.

Wie könnte die Zukunft der medizinischen Fortbildung aussehen?
Im Grunde wird es irgendwann verschiedene Level in der Fortbildung geben: Einführungen, vertiefende Kurse und Seminare auf wissenschaftlicher Ebene. Das liegt aber auch beim Konsumenten. Momentan ist diese Hinterfragung und Einordnung des eigenen Wissensstandes noch nicht da. Dazu ist der Anspruch noch zu groß, ‚alles‘ wissen zu müssen. Daher ist eine Stufen-Fortbildung noch Zukunftsmusik.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 4 / 25.02.2013