Interview – Vize-Präs. Harald Mayer: „Es brodelt gewaltig“

10.04.2013 | Politik

„Es brodelt gewaltig“

Das sagt der Kurienobmann der angestellten Ärzte in der ÖÄK, Harald Mayer. Alarmierende Burnout-Zahlen bei Spitalsärzten, ebenso alarmierend sind die Ergebnisse aus der Turnusärzte-Evaluierung. Was ist zu tun? Antworten auf diese und andere Fragen gab er im Gespräch mit Agnes M. Mühlgassner.

ÖÄZ: Sie haben mit Jahresende die Funktion des ärztlichen Direktors im Krankenhaus Schärding zurückgelegt. Warum?
Mayer: Weil ich aus meiner Sicht viel zu wenig gestalten konnte und es daher für mich uninteressant geworden ist. Der Einfluss des ärztlichen Direktors ist viel zu gering im Rahmen des Triumvirats der kollegialen Führung. Ein Krankenhaus lebt nun einmal davon, dass dort Ärzte arbeiten und daher ist es notwendig, dass Ärzte das Leadership in der kollegialen Führung übernehmen. Daher habe ich die Konsequenzen gezogen.

In den vergangenen Wochen hat neuerlich eine Diskussion um die Einführung von Ambulanzgebühren stattgefunden. Von der Politik hat es ja eine klare Absage gegeben.
Es waren typische Reaktionen, wie man sie von der Politik erwarten konnte. Ich habe die Ambulanzgebphren nicht deswegen thematisiert, weil ich sie für der Weisheit letzten Schluss hatte, sondern weil man endlich Maßnahmen ergreifen muss, um den ungefilterten Zustrom in die Spitalsambulanzen zu regulieren. Ich wäre dankbar, wenn einer der Herrschaften, die die Ambulanzgebühr ablehnen, einen Vorschlag machen würde. Immer nur ‚nein‘ zu sagen, wie es die Politik tut, ist auch keine Lösung. Wie man den Zustrom eindämmt, da sollten der Phantasie keine Grenzen gesetzt sein.

Wie sieht Ihr Alternativvorschlag aus?
Ich kann mir eine Zugangsregelung vorstellen, dass Patienten nur noch über einen begründeten Rettungstransport oder nach Überweisung kommen können. Oder aber einen Leistungszuschlag bei Selbsteinweisung, wenn Menschen mit einem schon länger bestehenden Problem am Wochenende in die Spitalsambulanz kommen. In den Spitälern soll die Bezahlung im Idealfall vor der Leistungserbringung erfolgen. Über die Rückerstattung soll sich die Sozialversicherung Gedanken machen.

Das Modell vorgelagerter Ordinationen oder Gruppenpraxen funktioniert auch nicht wirklich. Wieso?
Es handelt sich ganz generell um einen Systemfehler. Derzeit nehme ich immer häufiger wahr, dass die Spitalserhalter die Meinung vertreten: die Ärzte gehören mir und die haben zu arbeiten, was ich will. Grundsätzlich ist diese Aussage nicht falsch, aber dann sollten die finanziellen Anreize anders gestaltet werden. Denn was man den Fachärzten derzeit bezahlt und was man von ihnen verlangt, ist inakzeptabel. Rund um die Uhr permanent Spitzenleistung abzurufen und bezahlt zu werden wie jemand, der Montag bis Freitag von 8h bis 16h arbeitet, das ist weder zeitgemäß noch motivierend.

Um bei den Arbeitszeiten zu bleiben: Das Arbeitsinspektorat hat bei einer Überprüfung massive Überschreitungen der Arbeitszeithöchstgrenzen in den Wiener Spitälern festgestellt. Wieso unternimmt die Ärztekammer nichts dagegen?
Die Ärztekammer tut alles, was sie kann. Sie fordert die Einhaltung der gesetzlichen Arbeitszeit-Höchstgrenzen und hier bietet die österreichische Regelung ohnehin einen enormen Spielraum mit durchschnittlich 60-Stunden-Wochenarbeitszeit, das ist ohnehin mehr als im Rest von Europa. Wenn wir rund um die Uhr arbeiten, dann hat aus meiner Sicht das europäische Arbeitszeitrecht – sprich 48 Stunden Wochenarbeitszeit – für Ärzte zu gelten. Hier wird sich der Dienstgeber überlegen müssen, sorgfältiger mit der Ressource ‚Ärzte-Arbeitszeit‘ umzugehen. Solange wir 40 Prozent unserer Arbeitszeit mit Administration verbringen, gibt es noch genug Potential für Effizienz. Wir haben in den Spitälern teilweise parallele EDV-Systeme, so dass wir alle Daten doppelt eingeben müssen. Die Ärzte werden uns ganz sicher ausgehen, wenn wir sie weiter so schlecht behandeln. In vielen Ländern ist man da weiter als in Österreich. In sieben Jahren werden in Deutschland so viele Ärzte fehlen, wie in Österreich arbeiten. Die österreichischen Krankenhausträger sind also gut beraten, hier Anreize zu setzen.

Die Forderung nach Umsetzung von maximal 25-Stunden-Diensten lässt noch immer auf ihre Umsetzung warten.

Wir diskutieren permanent über die Qualität in der Patientenversorgung. Es ist aus vielen Studien bekannt, dass man bei Diensten über 25 Stunden so arbeitet, als hätte man 0,8 Promille Alkohol im Blut. Es ist den Patienten nicht zumutbar, von einem solchen Arzt behandelt zu werden. Hier behindern die Länder die Umsetzung eines Gesetzes, weil sie Angst vor Mehrkosten haben. Aber Schadensfälle, die durch unausgeruhte Ärzte an Patienten entstehen könnten und Folgekosten verursachen, gehören ausgeschlossen. Man kann nicht Qualität fordern und gleichzeitig den Standpunkt vertreten, dass die Arbeitszeit und ein ausgeruhter Arzt bei der Leistungserbringung egal sind. Am liebsten hätten ja die Arbeitgeber, dass wir 168 Stunden in der Woche zur Verfügung stehen. Das ist weder zeitgemäß noch modern, noch ist man bereit, etwas dafür zu zahlen.

Die Burnout-Zahlen unter Spitalsärzten sind alarmierend, ebenso alarmierend sind die Ergebnisse der Ausbildungsevaluierung bei Turnusärzten. Sind das nur zwei Hot spots oder steckt da mehr dahinter?
Nein, das sind keine Blitzlichter. Es brodelt gewaltig. Jeder Facharzt würde gerne junge Kollegen ausbilden, wenn er die Zeit dafür hätte. Aber es gibt in keinem Zeitplan Ressourcen für das Ausbilden von Kollegen. Wenn man die jungen Kollegen vom ersten Tag an nur als Systemerhalter missbraucht, werden sie kein Interesse haben, bei uns zu arbeiten und die älteren Ärzte werden nicht entlastet. Wir erleben derzeit, dass dieses Wissen und der Erfahrungsschatz dieser Ärzte jetzt verloren gehen, weil keine Zeit da ist, das weiterzugeben. Das führt letztlich auch dazu, dass immer mehr diagnostische Hilfsmittel in Anspruch genommen werden, weil die klinische Erfahrung und Untersuchung kaum mehr Raum hat.

Stichwort Ausbildung: die Jungen stimmen mit den Füßen ab und laufen dem System davon. In drei Bundesländern gibt es derzeit schon einen akuten Mangel an Turnusärzten. Was ist zu tun?
Von verschiedenen Experten wird behauptet, dass es noch immer genug Medizin-Absolventen gibt. Wenn dem so ist, dann heißt das aber, dass die Arbeitsbedingungen so inferior sind, dass die Jungen gar nicht mehr in den Turnus kommen. Also muss man die Arbeitsbedingungen attraktiver gestalten. Dazu gehört, dass man nicht mehr drei Jahre Turnus machen muss, wenn man heute Facharzt werden will. Und wenn jemand Allgemeinmediziner werden will, muss man auch die Arbeit in einer Lehrpraxis ermöglichen. Dass sie gratis erbracht werden soll, wird nicht gehen und dass die niedergelassenen Ärzte diese Ausbildung kostenlos machen, wird auch nicht gehen. Die Ressource Zeit ist das kostbarste, was man jemandem schenken kann. Die muss man den Jungen geben und den Ärzten insgesamt wieder zur Verfügung stellen. Dann werden auch junge Kollegen wieder kommen. Offensichtlich ist die Ignoranz teilweise so groß, weil man nicht bereit ist, das zu erkennen. Und wenn trotzdem noch immer nicht genug Jungärzte kommen, wird man sich auch bei der Bezahlung etwas überlegen müssen.

Der Ministerrat hat die Gesundheitsreform beschlossen, ohne dass es wesentliche Änderungen im Vergleich zum Begutachtungsentwurf gegeben hätte. Was ist aus Sicht der Spitalsärzte dazu zu sagen?
Diese Gesundheitsreform, in die am Ende doch ein bisschen von unserem Know how eingeflossen ist, ist eine Finanzreform, sonst hätte man sich dieser Thematik ganz anders zuwenden müssen. Gesellschaftspolitisch wird die Frage bleiben, wie viel dem Staat die Gesundheit der Bevölkerung wert ist, wie wir das ja kürzlich rund um die Diskussion von Hüftendoprothesen erlebt haben. Ob die Schaffung von zusätzlichen Verwaltungsebenen, die ja im Zug der Gesundheitsreform kommen sollen, dazu führt, dass die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung verbessert wird, wage ich zu bezweifeln. Ein Mehr an Bürokratie bringt selten mehr Qualität.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 7 / 10.04.2013