Gesundheitsreform: Der Paradigmenwechsel

25.06.2013 | Politik


Dass mit der Gesundheitsreform die Grundversorgung gestärkt, Patientenströme gelenkt werden und Public Health eine größere Bedeutung zukommen soll, beurteilt ÖÄKPräsident Artur Wechselberger als richtige Entwicklung. Bei diesem Paradigmenwechsel dürfe allerdings nicht die finanzielle, auf das Sparen fokussierte Komponente im Vordergrund stehen.
Von Barbara Wakolbinger

Mit der soeben beschlossenen Gesundheitsreform steht das österreichische Gesundheitssystem vor einem Paradigmenwechsel, zeigte sich der Präsident der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK), Artur Wechselberger, vor kurzem bei einem Hintergrundgespräch in Wien überzeugt. „Das System hat das Potential, etwas zu werden, aber auch das Potential für gravierende Verschlechterungen“, sagt er; es komme auf die Umsetzung an. Denn in Österreich gebe es keine Tradition der Public Health, vielmehr habe sich das System im Laufe der Jahrzehnte vor allem auf engagiertes Betreiben der Leistungsanbieter wie niedergelassene Ärzte oder Krankenhäuser entwickelt, so seine Analyse. Gesundheitspolitische Konzepte, die analysieren, was für die künftige Versorgung der Bevölkerung benötigt wird, gab es bisher wenige. „Vor allem in der Präventivmedizin hat Österreich daher großen Aufholbedarf“, meint Wechselberger.

Probleme durch „Best Point of Service“

Im Zuge der Reform sollen speziell Public Health und Primary Health Care gestärkt werden. Damit möchte man unter anderem die Zahl der Krankenhausbetten verringern und die Aufenthaltsdauer verkürzen. In Zukunft soll außerdem ein „Best Point of Service“ eingeführt werden. Das könnte laut Wechselberger zu Problemen führen, denn österreichische Patienten sind es gewöhnt, den Zugang zu allen Ebenen der Versorgung frei zu wählen. „Das widerspricht dem bisherigen System vollkommen. Hier wird man gegen alte Gewohnheiten ankämpfen müssen, um den Patientenfluss richtig zu kanalisieren. Dazu braucht es auch die entsprechenden Ressourcen.“ Vorsicht ist dabei vor allem bei der Definition des „Best Point of Service“ geboten; denn Interesse – besonders wirtschaftliches – daran, zum „Best Point“ zu werden, könnten auch die öffentlichen Krankenhäuser mit ihren ambulanten Einrichtungen haben. Noch ist nicht definiert, wo künftig die ambulante Versorgung von Patienten erfolgt, was nach Ansicht von Wechselberger „eine gewaltige Verlagerung von Leistungen und Auswirkungen auf die Leistungserbringer“ zur Folge haben könnte.

Die Grundversorgung sieht Wechselberger „klar als Domäne des niedergelassenen Bereichs“. Kern der Grundversorgung ist der Hausarzt. Primary Health Care in Österreich ist – vor allem im internationalen Vergleich – nicht gut ausgebildet. Die Gesundheitsreform könnte hier „Chance sein, endlich den Anschluss zu finden“, so Wechselberger. „Die Zukunft liegt in einer Integration der Versorgung, die ein Zusammenspiel aller Leistungsträger ermöglicht und auch verlangt“, erklärt er. Vor allem bei der Behandlung von chronischen Krankheiten und im Hinblick auf die immer älter werdende Bevölkerung sieht Wechselberger geradezu einen Zwang zu verstärkter interdisziplinärer Zusammenarbeit. „Wir müssen bei der Patientenbehandlung weg vom Einzelkämpfer hin zu neuen Formen der Zusammenarbeit.“ Vor allem junge Ärzte wünschten sich oft mehr entsprechende Möglichkeiten: beginnend vom losen Netzwerk bis hin zur Gruppenpraxis. Dazu müsse der Gesetzgeber die Grundvoraussetzungen schaffen, etwa die Anstellung von Ärzten bei Ärzten ermöglichen, einen zeitgemäßen Leistungskatalog entwickeln oder eine Entkopplung von Kassenverträgen und Bereitschaftsdiensten andenken. „Wir brauchen Artenvielfalt und Offenheit, kein kleinkariertes Denken in der Kategorie von ‚Was kostet es mich?‘“

Planung in der Gesundheitsversorgung und die Stärkung des Primary Care-Sektors bewertet der ÖÄK-Präsident grundsätzlich als gute und richtige Entwicklungen. „Aber wir müssen aufpassen, dass bei diesem Umdenken nicht nur die finanzielle Komponente im Auge behalten wird sondern eine Optimierung der Versorgung das primäre Ziel bleibt.“ Außerdem sei es bei einem solchen Paradigmenwechsel falsch, dass die Ärzte als die medizinischen Leistungsträger aus den Entscheidungsprozessen ausgeschlossen würden. „Wenn nur noch die sogenannten Zahler reden wollen, geht jede Menge an Know-how, Einsatzfreude und Innovationskraft verloren“, so seine Warnung.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 12 / 25.06.2013