3. Tag der Gesund­heits­be­rufe: Gesund­heits­kom­pe­tenz stärken

25.01.2013 | Politik

Exper­ten sind sicher: Nur wenn man das „Kapi­tal Gesund­heits­kom­pe­tenz“ – so das Motto des drit­ten Tages der Gesund­heits­be­rufe – von klein auf in allen Lebens­be­rei­chen för­dert, kön­nen lang­fris­tig Kos­ten gesenkt wer­den. Von Marion Huber

För­dert man Gesund­heits­kom­pe­tenz und Prä­ven­tion nicht recht­zei­tig, ver­ur­sacht der schlechte Gesund­heits­zu­stand der öster­rei­chi­schen Jugend­li­chen ab 2030 jähr­li­che Mehr­kos­ten von 1,6 Mil­li­ar­den Euro; im Jahr 2050 wer­den sie sogar auf 3,7 Mil­li­ar­den Euro anstei­gen. Mit die­sen Zah­len unter­mau­erte Univ. Prof. Gott­fried Haber, Lei­ter des Zen­trums für Manage­ment im Gesund­heits­we­sen an der Donau-Uni­ver­si­tät Krems, die öko­no­mi­sche Bedeu­tung des „Kapi­tals Gesund­heits­kom­pe­tenz“ zu Beginn des 3. Tages der Gesund­heits­be­rufe in Wien. Zum Teil ent­ste­hen diese Mehr­kos­ten durch Behand­lun­gen, zum Teil durch einen Aus­fall von Arbeits­kräf­ten. Dem Arbeits­markt wird damit enor­mes Poten­tial ent­zo­gen: So wür­den ab 2050 pro Jahr ganze 40.000 Erwerbs­tä­ti­gen­jahre ver­lo­ren­ge­hen. Die­sem Trend müsse man – zeigt sich Haber über­zeugt – mit geziel­ter Vor­sorge schon im Kin­des­al­ter gegensteuern.

Zu glau­ben, dass man die Kos­ten auto­ma­tisch senkt, wenn man in die Gesund­heits­kom­pe­tenz der Bevöl­ke­rung inves­tiert, ist ein Irr­tum, weil die mess­ba­ren Gesund­heits­aus­ga­ben dadurch zunächst stei­gen. Warum? Als Bei­spiel führte Haber das Vor­sorge-Pro­gramm „Selb­stän­dig gesund“ der SVA (Sozi­al­ver­si­che­rungs­an­stalt der gewerb­li­chen Wirt­schaft) an: „Ich wette, dass das Pro­jekt die Kos­ten nicht nur senkt.“ Denn wenn mehr Men­schen zur Vor­sor­ge­un­ter­su­chung gehen und auf ihre Gesund­heit ach­ten, wer­den Krank­hei­ten früh­zei­tig erkannt. So kommt es zu Behand­lun­gen, die sonst erst viel spä­ter statt­ge­fun­den hät­ten – und das führt zunächst zu Kos­ten. „Man muss das in einem lang­fris­ti­gen Zeit­ho­ri­zont sehen. Prä­ven­tion bedeu­tet zwar mehr Kos­ten zum heu­ti­gen Zeit­punkt, in der Zukunft spart man aber“, erklärte er.

Abge­se­hen von der Gesund­heits­kom­pe­tenz beim „Kon­sum“ von Gesund­heits­leis­tun­gen gehe es auf einer zwei­ten Ebene darum, „zu wis­sen, wer wel­che Leis­tun­gen im Gesund­heits­be­reich erbringt. Kos­ten und Nut­zen sind hier aber nicht voll­stän­dig erfasst“, führte Haber wei­ter aus. Wolle man nun das Gesund­heits­sys­tem opti­mie­ren und Ver­sor­gungs­struk­tu­ren pla­nen, müss­ten auch lang­fris­tige Fol­ge­kos­ten und jene Leis­tun­gen ein­be­zo­gen wer­den, die „am Markt vor­bei“ – also etwa durch Zivil­die­ner – erbracht werden.

Bei der anschlie­ßen­den Podi­ums­dis­kus­sion erklärte Gesund­heits­mi­nis­ter Alois Stö­ger, dass nicht nur jeder Ein­zelne zu sei­ner Gesund­heit bei­tra­gen müsse, son­dern er nahm auch die Gesamt­ge­sell­schaft in die Ver­ant­wor­tung: „Ver­än­de­run­gen müs­sen nicht nur im Ver­hal­ten des Ein­zel­nen pas­sie­ren son­dern auch bei den Ver­hält­nis­sen.“ Auch Hans Jörg Schel­ling, Vor­sit­zen­der des Haupt­ver­ban­des der Sozi­al­ver­si­che­rungs­trä­ger, plä­dierte dafür, Gesund­heit nicht iso­liert zu betrach­ten. Nur mit „Health in All Poli­cies“, Ver­net­zung und Inte­gra­tion könne man lang­fris­tig etwas errei­chen. Dass man die Gesund­heits­kom­pe­tenz nur durch bes­sere Ver­hält­nisse stär­ken kann, glaubt er nicht: „Wenn gesetz­li­che Maß­nah­men gesetzt wer­den, aber die Men­schen sie nicht umzu­set­zen, funk­tio­niert es nicht.“ Alles stehe und falle damit, dass bei jedem Ein­zel­nen Bewusst­sein dafür geschaf­fen werde, dass er für seine Gesund­heit selbst ver­ant­wort­lich ist. Werde damit nicht schon sehr früh begon­nen, sieht Schel­ling in Sachen Gesund­heits­kom­pe­tenz schwarz. Denn so wie schon bei Vor­sor­ge­un­ter­su­chun­gen, die „jene, die es nötig hät­ten, nicht machen“, werde es auch beim neuen flä­chen­de­cken­den Mam­mo­gra­phie-Scree­ning sein: „Die Fal­schen wer­den hin­ge­hen“, pro­gnos­ti­ziert der Vor­sit­zende des Hauptverbandes.

Reit­stät­ter-Haberl, der Vor­sit­zen­den der Gesund­heits­be­rufe-Kon­fe­renz und Prä­si­den­tin des Berufs­ver­bands logo­pä­die­aus­tria: „Die Men­schen wol­len vor­sor­gen und sind bereit, für Prä­ven­tion etwas zu tun, aber die Rah­men­be­din­gun­gen müs­sen stim­men.“ Hier for­derte sie im Namen der gesetz­lich gere­gel­ten Gesund­heits­be­rufe eine Ver­bes­se­rung: „Beson­ders im extra­mu­ra­len Bereich, wo fast alle Kol­le­gen frei­be­ruf­lich tätig sind, stiehlt sich die Sozi­al­ver­si­che­rung aus der Ver­ant­wor­tung.“ Büßen müs­sen das die Pati­en­ten, die die Leis­tun­gen selbst bezah­len müs­sen. Spa­ren sei zwar „gut und rich­tig – aber bitte nicht auf dem Rücken der Gesund­heits­be­rufe“, stellte sie klar.

Kos­ten­ver­ur­sa­cher Fortschritt?

Nicht „spa­ren“ sei das Stich­wort, son­dern „Kos­ten däm­fen“, erklärte Schel­ling wei­ters, der im medi­zi­ni­schen Fort­schritt einen gro­ßen Kos­ten­ver­ur­sa­cher sieht. Aus dem Publi­kum wandte sich Harald Mayer, Bun­des­ku­ri­en­ob­mann der ange­stell­ten Ärzte in der ÖÄK, direkt an den Haupt­ver­bands-Vor­sit­zen­den: „Sie wol­len doch nicht behaup­ten, dass wir in Zukunft kei­nen medi­zi­ni­schen Fort­schritt mehr haben wol­len?“ Nein, man bekenne sich zum medi­zi­ni­schen Fort­schritt, erklär­ten Schel­ling und Stö­ger uni­sono. Und der Gesund­heits­mi­nis­ter fügte hinzu: „Ich sage sogar, dass das öster­rei­chi­sche Gesund­heits­sys­tem aus­ge­baut wer­den müsste.“ Außer­dem zeigte er sich „zutiefst davon über­zeugt“, dass die pro­fes­sio­nel­len Leis­tun­gen, die im Gesund­heits­be­reich erbracht wer­den, „gerecht“ bezahlt wer­den müssen.

Und nach Ansicht von Hans Jörg Schel­ling – der pikan­ter­weise auch Vize­prä­si­dent der Wirt­schafts­kam­mer ist – gibt es über­haupt zu viele Gesund­heits­be­rufe. Beson­ders die „Auf­split­tung und Spe­zia­li­sie­rung“ von Berufs­grup­pen – wie etwa bei Psych­ia­tern, Psy­cho­the­ra­peu­ten und Psy­cho­lo­gen – und Über­schnei­dun­gen in der Tätig­keit sind ihm ein Dorn im Auge. Die­ses ver­meint­li­che „Über­an­ge­bot“ an Gesund­heits­be­ru­fen kann Reit­stät­ter-Haberl nicht erken­nen – im Gegen­teil: „Wir haben einen Man­gel an gesetz­lich aus­ge­bil­de­ten Gesund­heits­be­ru­fen. Wir kön­nen nicht ein­mal abde­cken, was wir abde­cken soll­ten.“ Dabei schei­tere es nicht nur an den Rah­men­be­din­gun­gen son­dern auch am Wis­sen um das Ange­bot. Als Exper­ten im Bereich der Gesund­heits­kom­pe­tenz und Prä­ven­tion könn­ten die Gesund­heits­be­rufe aber viel dazu bei­tra­gen – nicht erst in der Schule, son­dern so früh wie mög­lich, bes­ten­falls schon am ers­ten Lebenstag.

Denn um die Gesund­heits­kom­pe­tenz der Öster­rei­cher ist es alles andere als gut bestellt, wie Pamela Rendi-Wag­ner, Lei­te­rin der Sek­tion Öffent­li­cher Gesund­heits­dienst und Medi­zi­ni­sche Ange­le­gen­hei­ten im Gesund­heits­mi­nis­te­rium, aus­führte: Nur Bul­ga­rien schnei­det in einer EU-wei­ten Stu­die schlech­ter ab. Hier­zu­lande schät­zen knapp mehr als 50 Pro­zent der Befrag­ten ihre eigene Gesund­heits­kom­pe­tenz als exzel­lent oder aus­rei­chend ein; beim Spit­zen­rei­ter Nie­der­lande sind es mehr als 70 Pro­zent. Mit ein Grund, wieso die Gesund­heits­kom­pe­tenz auch in den Rah­men-Gesund­heits­zie­len für Öster­reich Ein­gang gefun­den hat: „Sie ist so uner­läss­lich, dass sie sogar ein eige­nes Ziel gewor­den ist.“ In der Umset­zung gehe es nun darum, nicht nur gemein­same Ziele zu haben, son­dern auch gemein­sam zu han­deln, resü­mierte Rendi-Wag­ner. Dem schloss sich Reit­stät­ter-Haberl in ihren Schluss­wor­ten an: „Wir sol­len, kön­nen und müs­sen gemein­sam etwas bewegen.“

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 1–2 /​25.01.2013