Expertenforum: Gesundheitsreform konkret – am Beispiel CED

25.04.2013 | Politik

Seit 2013 liegt eine Studie vor, die für chronisch entzündliche Darmerkrankungen (CED), ICD 10 K50-K51, eine Inzidenz von 11,5 pro 100.000 Einwohner angibt (rurale Gebiete 9,5, urbane 14,6). Zum Vergleich: Die Prävalenz in Österreich liegt bei 480 Patienten pro 100.000 Einwohner, in Großbritannien bei 400.

Versorgung

Die Verbesserung der Lebensqualität ist international ein wichtiges Versorgungsziel. Aus Österreich gibt es dazu keine Studien. Aber auch andere Ergebnisqualitäts-Parameter werden nicht erfasst. Dazu gehören Aktivität der Krankheit beziehungsweise Remissionsraten, Notwendigkeit von Operationen beziehungsweise wiederholter Operationen, Notwendigkeit einer Steroidtherapie, Ernährungszustand, Grad der Behinderung und bei Kindern Wachstum und Entwicklung.

Der einzige Ergebnisqualitäts-Parameter, der bei uns verfolgt werden kann, ist die Hospitalisierungsrate; wir erreichen mit 23 Prozent der Prävalenz einen sehr hohen Wert. In der Literatur, die jedoch unschlüssig ist, werden normalerweise zehn bis 15 Prozent genannt. Allerdings sind Ergebnisqualitäts-Parameter bei einer derart komplexen, psychosozial beeinflussten Krankheit nicht alleine aussagekräftig. Daneben sind Prozess- und Strukturqualitätskriterien sehr wichtig.

CED-Patienten müssen lebenslang medizinisch kompetent begleitet, psychologisch betreut, Blut und Nierenfunktion regel- und routinemäßig kontrolliert, etc. werden. Dafür braucht es Strukturen: Richtig ausgestattete Gastroenterologen (Endoskopie!) müssen schnell zugänglich sein, das Gleiche gilt für spezialisierte Chirurgen, Radiologen und Pathologen; ein eigenes Krebsvorsorgeprogramm ist nötig; auf CED- und Stoma-Versorgung spezialisierte Pflegekräfte sind vorzuhalten; der leichte Zugang zu versierten Diätologen, Psychologen und, für Kinder, Pädagogen ist sicherzustellen. Möglichst viele der Gesundheitsprofessionisten sollten in Teams organisiert sein oder über verbindliche Kooperationsverträge verfügen. Die Primärversorgungsebene muss ausreichend kompetent sein, einen auftretenden Krankheitsschub rasch zu erkennen und richtig zu reagieren, weswegen es neben verbindlichen Kommunikationsregeln zwischen der Primär- und der Sekundärversorgungsebene auch verpflichtende Ausund Fortbildungsprogramme geben muss. Und schließlich ist die Verfügbarkeit eines Registers und eines elektronischen Patientenakts für qualitativ hochstehende Versorgungsstrukturen, die eine geschlossene Versorgungskette ermöglichen, ohne dass Patienten „verloren“ gehen, nötig. Und damit so ein anspruchsvolles Versorgungskonzept auch wirklich lebt, müssen messbare Prozess- und Strukturqualitätskriterien sowie die Lebensqualität regelmäßig überprüft werden, um Defizite zu erkennen und „zu lernen“.

Neben ethischen Gründen, eine dermaßen teure Versorgungskette zu errichten, sprechen auch ökonomische Gründe dafür. Allein die direkten Kosten liegen mindestens bei etwa 4.000 Euro pro Jahr. Indirekte Kosten – etwa durch Arbeitslosigkeit – verdoppeln diesen Wert rasch. Gelingt es, Patienten möglichst effektiv in Remission zu halten beziehungsweise einen Krankheitsschub rasch zu erkennen und optimal ambulant zu versorgen, erhöht sich deren Lebensqualität und sinken die Kosten – trotz „teurer“ Infrastruktur! In Österreich gibt es weder verbindliche Versorgungsstandards, noch werden Prozess- oder Strukturqualitätsmerkmale gemessen.

Der Bundes-Ziel-Steuerungsvertrag

Solange wir keine Versorgungsstandards haben und deren Umsetzungsgrade messen, können Ziele auch nicht auf diese reflektieren. Der einzige aktuell zur Verfügung stehende Parameter ist die Hospitalisierungsrate, auf den sich die bis 30. Juni 2013 im sogenannten Bundes-Ziel-Steuerungsvertrag zu beschließenden Ziele, die bis 2016 erreichbar sein sollen, beziehen könnten. Allerdings ist es auch möglich, einen Fahrplan mit messbaren Meilensteinen zu beschließen, der darauf abzielt, bis 2016 Versorgungsverbesserungen aufzuzeigen, die in der darauffolgenden Vertragsperiode konkret angegangen werden. Jedenfalls gilt es, pragmatische Ziele festzuhalten, die den CED-Patienten helfen – und nicht Politikern! Und solche Ziele könnten so aussehen:

Bundesziele „Verbesserung der Versorgung von CED-Patienten“:

  • Senken der Spitalsaufenthalte von derzeit 23 Prozent auf 17 Prozent der Prävalenz im Jahr 2016;
  • Einrichten einer CED-Arbeitsgruppe bestehend aus namentlich genannten Experten aller betroffenen Gesundheitsberufe und Selbsthilfeorganisationen mit folgenden Aufgaben:
    • Definition von international vergleichbaren Versorgungsstandards – Mitte 2014;
    • Adaptierung eines Testverfahrens zur Erhebung der Lebensqualität – Mitte 2014.
  • Beauftragung der GÖG mit einem Audit-Verfahren wie in Großbritannien2 zur Kontrolle des Umsetzungsgrades der Versorgungsstandards zwischen 2014 und 2015;
  • Beauftragung der GÖG mit der Erhebung der Lebensqualität – Mitte 2015;
  • Beauftragung der Ärztekammer mit Entwicklung von Fort- und Ausbildungsprogrammen für Mitarbeiter aller Gesundheitsberufe in CED-Kompetenzzentren.

Der Landes-Zielsteuerungsvertrag

Dieses Bundesziel muss dezentral konkretisiert werden. Betrachtet man die Bundesländer einzeln, wird klar, dass die Versorgung (gemessen an Spitalsaufnahmen) unterschiedlich gut funktioniert.

Warum gerade Burgenland eine dermaßen hohe Krankenhaushäufigkeit hat, ist nicht eruierbar. Eine Assoziation zwischen Ärztedichte und Spitalshäufigkeit gibt es nicht.

Vor allem bei Hausärzten sind CED-Patienten selten, daher spielt in der ambulanten Versorgung der Gastroenterologe die zentrale Rolle. Wo dieser angesiedelt ist, ob in einem CED-Kompetenzzentrum, einer Spitalsambulanz oder als niedergelassener Kassenarzt, ist unerheblich, solange der Zugang leicht und schnell funktioniert – je wohnortnäher, desto leichter ist das. Aus diesem Grund wird beispielweise in Großbritannien empfohlen, unterschiedliche Versorgungskonzepte anzubieten, zwischen denen der Patient frei wählen und auch wechseln kann. Es sind im Wesentlichen drei evidenzbasierte Konzepte, die umgesetzt werden:

  • Versorgung durch eine akkreditierte Spezialambulanz oder auf CED spezialisierte gastroenterologische Ordination;
  • Versorgung durch einen geschulten Hausarzt oder Allgemein-Internisten – Shared Care;
  • Versorgung im Rahmen eines angeleiteten Selbst-Management-Programms.

Jedes Konzept kann nur funktionieren, wenn in einer Versorgungsregion ein ausgewiesenes CED-Kompetenzzentrum vorhanden ist, von dem aus es geleitet und koordiniert wird und das dafür verantwortlich zeichnet, dass die Qualität gesichert ist. Dieses Zentrum muss sowohl für dezentrale Einrichtungen als auch Patienten rund um die Uhr erreichbar sein (wobei hier ein Telefonservice durch eine spezialisierte Pflegekraft und eine Antwortzeit von 24 Stunden ausreicht). Und weil gerade für ein Shared-Care-Konzept der Informationsfluss nicht abreißen darf, sind hier Register und elektronische Krankenakte für ALLE diagnostizierten CED-Patienten einzurichten.

Im CED-Kompetenzzentrum sollten alle stationären Behandlungen, Operationen und weiterführenden Diagnosen (v.a. Histologie und Radiologie) zentralisiert werden. Analog zu Tumor-Boards sind multiprofessionelle CED-Boards einzurichten, an die sich auch dezentrale Einrichtungen wenden können. Zudem sind verpflichtende Schulungsprogramme für alle Berufsgruppen, die mit CED-Patienten arbeiten wollen, hier anzubieten.

Ohne genau zu wissen, welche Versorgungsstandards seitens des Bundes vorgegeben werden, können diese strukturellen Vorarbeiten im Landes-Zielsteuerungsvertrag mit dem Bund, abzuschließen am 30. September 2013, verankert werden.

Landesziel – beispielsweise für die Versorgungsregion: 11: Burgenland Nord: „Verbesserung der Versorgung von CED-Patienten“:

  • Reduktion der Spitalsaufenthalte bis 2016 um 50 Prozent;
  • Festlegen des CED-Kompetenzzentrums und Einrichtung eines CED-Boards – September 2013;
  • Bereitstellen einer Vollzeitkraft durch die Landesgesundheitsplattform, die die administrativen Aufgaben (Organisation von Arbeitssitzungen bis CED-Board-Sitzungen) übernimmt – sofort;
  • Einrichten einer Planungsgruppe, bestehend aus Vertretern aller Gesundheitsprofessionisten und der Selbsthilfegruppen mit den Aufgaben:
    • Entwerfen von konkreten Versorgungskonzepten nach internationalen Vorbildern für die Versorgungsregion – Mitte 2014;
    • Definition von konkreten Rollenbildern für Selbsthilfegruppen, jeden Hausarzt oder Allgemein-Internisten, niedergelassenen Gastroenterologen, alle Spezialambulanzen bis zum CED-Kompetenzzentrum – Ende 2014;
      • Maßnahmen: … (wer, was, wann, wo, mit welchen Ressourcen; zum Beispiel Hausarzt N1 Shared-Care mit Gastroenterologen N2, Hausarzt N3 Überweisung zu Gastroenterologen N4 oder Spitalsambulanz in Oberpullendorf)
      • Ziele: … (wie gemessen; zum Beispiel zehn Prozent, 20 Prozent, 30 Prozent der Hausärzte in Konzept eingebunden)

So könnte die Reform konkret für CED-Patienten aussehen. Aber das ist sehr viel echte Arbeit, weit weg vom Glamour der „großen Politik“. Ob unsere Entscheidungsträger dafür bereit sind?

*) Dr. Ernest Pichlbauer ist Gesundheitsökonom

 

Tipp:
www.rezeptblog.at/category/konkretisierung-der-gesundheitsreform

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 8 / 25.04.2013