Interview – Erwin Rasinger: „Arbeit der Ärzte wird nicht wertgeschätzt“

15.07.2013 | Politik

Rund 100 Millionen Euro – ein Betrag, der nicht ganz der jährlichen Sportförderung entspricht – sind nach Ansicht von ÖVP-Gesundheitssprecher Erwin Rasinger notwendig, um bei der Prävention effiziente Maßnahmen setzen zu können. Die Arbeit der Ärztinnen und Ärzte werde insgesamt nicht wertgeschätzt, erklärt er im Gespräch mit Agnes M. Mühlgassner.

ÖÄZ: Es hat zwar lang gedauert, aber schließlich ist die Gesundheitsreform dann doch beschlossen worden. Sind Sie zufrieden damit?
Rasinger: Gesundheitsreformen wird es immer geben. Leider ist es in Österreich so, dass man hier das Gesundheitswesen als Aufmarschfeld von Politprofileuren entdeckt hat. Man hat ständig mit Attacken von Patientenanwälten zu tun und andauernd wollen uns Gesundheitsökonomen vorschreiben, was gescheit sein soll. Der Gesundheitsminister ist ja nach wie vor der Meinung, dass man 3,4 Milliarden im österreichischen Gesundheitswesen einsparen kann, ohne dass man etwas merkt.

Werden wir den hohen Standard im Gesundheitsbereich weiterhin aufrechterhalten können?
Außer Streit stehen sollte in der Gesundheitsdebatte immer, dass wir ein hoch qualitatives System, unabhängig von Alter und Einkommen wollen, so steht es auch im Regierungsprogramm. Diesen Anspruch sehen Gesunde und Ökonomen oft völlig anders. Österreich ist das drittreichste Land Europas und liegt bei den Kosten für das Gesundheitssystem zwischen dem siebenten und neunten Platz in der westlichen Welt. Dabei steigt die Qualität laufend, das zeigen auch die OECD-Berichte. Das muss auch so sein, denn in der Medizin wird immer mehr von Richtern bestimmt, was Qualität zu sein hat. Ganz unfair finde ich das Argument, dass unser System ineffizient sei.

Warum?
Weil die Behauptung, dass in Österreich die Menschen zwar eine gute Lebenserwartung haben, aber im Schnitt 19 Jahre mit schlechter Gesundheit leben, einfach falsch ist. Diese Studie wurde nie hinterfragt. Wahrscheinlich hat das mit der hohen Invaliditätspensionsrate und der hohen Rate an Kuraufenthalten in Österreich zu tun. Fakt ist, dass es in den Ordinationen jährlich mehr als 100 Millionen Arzt-Patienten-Kontakte, in den Ambulanzen 17 Millionen Kontakte und 2,7 Millionen stationäre Aufenthalte gibt. Das österreichische Gesundheitswesen ist sehr, sehr leistungsfähig.

In der Wahrnehmung vieler Ärzte ist es deswegen so, weil sie bis an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit gehen.
Jedes Wochenende stehen 1.500 Ärzte rund um die Uhr zur Verfügung. Auch in den Spitälern arbeiten die Ärzte 80 Stunden. Hier muss man die Arbeitszeiten an die Möglichkeiten der Kollegen anpassen. Es ist nicht verwunderlich, dass Ärzte eine doppelt so hohe Burn-out-Rate angeben wie die Durchschnitts-Bevölkerung. Und viele Ärzte haben das Gefühl, dass ihre Arbeit nicht wertgeschätzt wird. Wir müssen alles tun, damit wir zufriedene Ärzte haben und sie nicht mit unsinnigen Zeiträubern wie mit überschießender Bürokratie quälen, so dass ihnen die Lust am Arbeiten vergeht. Was mir große Sorge bereitet, ist, dass die jungen Ärzte Österreich nicht mehr als attraktiv ansehen. Die jetzt von Minister Stöger vorgelegte Ausbildungsreform ‚Facharzt für Allgemeinmedizin‘ ist völlig ungenügend und bedeutet nur ein Jahr mehr Turnus. Dass man die Finanzierung von 15 Millionen Euro Lehrpraxis nicht zusammenbringt, ist schlicht und einfach ein Trauerspiel.

Haben Sie diesbezüglich schon mit ihm gesprochen?
Wir müssen den Hausarzt aufwerten. Das steht seit fünf Jahren im Regierungsprogramm und der Gesundheitsminister hat nichts gemacht. Ich höre ständig nur ‚sparen, sparen, sparen‘. Der Bau von einem halben Kilometer Autobahn kostet 15 Millionen Euro. Wenn man ständig von Qualität redet, dann muss auch die Ausbildung der jungen Ärzte eine entsprechende Qualität haben. Und wenn wir keine attraktiven Verhältnisse in den Allgemeinpraxen schaffen, werden wir so wie in Deutschland Landstriche ohne Hausärzte haben. In Europa gibt es ja schon jetzt eine Völkerwanderung wegen des Ärztemangels. In England fehlen 15.000 Ärzte, in Deutschland bis zu 60.000 Ärzte. Schon jetzt sind 2.800 österreichische Ärzte in Deutschland tätig.

Kann man im Gesundheitsbereich überhaupt sparen?
Sparen ist ein laufender sorgsamer Umgang mit den Ressourcen und stellt eine ständige Herausforderung dar. Das darf aber nicht zu einer Bedrohung für den Arzt werden, wenn er wichtige Sachen unterlässt, nur weil er Schwierigkeiten in der Bürokratie aus dem Weg gehen will. Der Wunsch des Bürgers ist es, die modernste Medizin zu bekommen – dem müssen wir uns stellen. Österreich hat die zweithöchste Rate an Spitalsaufnahmen in der Welt und einen unterentwickelten niedergelassenen Sektor. Die Zahl der §2-Kassenärzte stagniert bei uns seit rund 20 Jahren. Deutschland hat doppelt so viele Kassenärzte und es wird wohl keiner behaupten, dass Deutschland ein ineffizientes Land ist. Spitalsbereich und niedergelassener Bereich sind kommunizierende Gefäße.

Die Vorsorge soll ja künftig aufgewertet werden.
Mit der Vorsorge müssen wir uns sicher vermehrt beschäftigen. Eine Katastrophe ist die Finanzierung der vorgelagerten Vorsorge. Seit 1999 hat der Fonds Gesundes Österreich im Jahr gerade einmal sieben Millionen Euro zur Verfügung. In derselben Zeit wurde die Förderung des Sports von 20 auf 130 Millionen gesteigert. Mit sieben Millionen kann weder Bewusstsein bei Osteoporose noch bei Rauchen, Übergewicht etc. geschaffen werden. Ich bezweifle auch, ob das starre Einladungskonzept bei der Mammographie mit einer fixen Terminvorgabe erfolgreich sein wird. Das hat sich in einem Pilotprojekt in Wien nicht bewährt.

Wie viel Geld brauchen wir für effiziente Prävention?
Wir brauchen mindestens 100 Millionen Euro pro Jahr, um Krebs, Herz-Kreislauf, psychische Beschwerden und andere Themen in der Prävention abzuhandeln. Das wäre ein lohnendes Thema für Patientenanwälte zum Beispiel oder Gesundheitsökonomen.

Wie ist die aktuelle Situation am AKH?
Auch dort sind die Arbeitsverhältnisse für viele Kollegen nicht mehr attraktiv, vor allem für Frauen. Jeder zweite Vertrag insgesamt wird nicht verlängert, der Zugang zu Forschungsgeldern ist schwierig und auch das niedrige Grundgehalt von 1.800 Euro netto macht das AKH nicht konkurrenzfähig mit dem Ausland. Außerdem ist das AKH 40 Jahre alt. Insider sagen, dass Renovierungsarbeiten in der Höhe von 1,5 Milliarden Euro notwendig sind. Unter diesen Voraussetzungen wird mein Traum, dass wir einen Nobelpreisträger aus dem AKH bekommen, nicht Realität werden.

Die Meinung der Ärzte wird in Österreich von Seiten der Politik vielfach nicht beachtet. Warum ist das so?

Im Vergleich zum Ausland herrscht bei uns eine Stimmung, dass man deswegen nicht auf die Ärzte hören sollte, weil sie Reform-unfreudig sind. Das halte ich für ein Killer-Argument, denn: wer weiß besser, was ein Patient braucht, als ein Arzt, der das zehn Jahre lang gelernt hat? Das kann jemand, der einen Patienten nie gesehen hat und einen Crashkurs in Gesundheitsökonomie absolviert hat, nicht beurteilen. Deshalb ist die Ärztekammer als Stimme der Ärzte sehr wichtig. Dies wird leider von Politikern oft als lästig empfunden. Sie müssen aber Sachkritik aushalten können.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 13-14 / 15.07.2013