Psychosomatische Erkrankungen: Dysbalance beseitigen

10.03.2013 | Medizin



Bei etwa jedem fünften Patienten mit psychosomatischer Erkrankung führen ambulante Verfahren nicht zum erwarteten Erfolg. Stationäre Konzepte mit hoher Therapieintensität können helfen, aus dem Kreislauf von körperlichen und psychischen Symptomen auszubrechen.
Von Elisabeth Gerstendorfer

Psychosomatische Symptome und Erkrankungen treten auf, wenn das Wechselspiel zwischen körperlichen und seelischen Faktoren aus dem Gleichgewicht gerät. Die Ursachen für die Dysbalance können somatische Erkrankungen sein sowie psychische Belastungen wie etwa schwerwiegende Konflikte, lebensverändernde Ereignisse oder traumatische Erlebnisse. Auch steigende Leistungsanforderungen im Beruf, anhaltender Stress und Überforderung können Auswirkungen auf die körperliche Gesundheit haben. „Besonders in Situationen, die mit einer hohen emotionalen Betroffenheit verbunden sind, kann unser Körper heftige Reaktionen zeigen“, sagt Prof. Michael Bach, Chefarzt und Ärztlicher Direktor der Fachklinik für Psychosomatik Medical Park Chiemseeblick in Bernau-Felden am Chiemsee, Deutschland. Laut Bach leidet in Deutschland nahezu jeder Zweite unter Stress-bedingten Symptomen.

Häufig erleben die Betroffenen körperliche Beschwerden und psychische Belastungen als getrennte Wahrnehmungsbereiche. Bach: „Die meisten konzentrieren sich nur auf einen Aspekt ihres Leidens und suchen dafür Hilfe, meist in Form einseitiger Behandlungsmethoden.“ Zwar berücksichtigt das etablierte Paradigma des bio-psychosozialen Gesundheitsmodells den Zusammenhang zwischen Körper und Psyche beim Krankheitsgeschehen und die psychosomatische Medizin wird immer mehr Bestandteil der einzelnen Fachrichtungen. Der Fokus der Patienten liege jedoch meist auf körperlichen Symptomen.

Psychosomatische Anamnese

Der erste Weg führt die Betroffenen daher häufig zum Hausarzt. Geschildert werden die somatischen Beschwerden,  zugrundeliegende psychische Einflüsse geraten in den Hintergrund. Umso wichtiger ist es, nicht nur medizinische Befunde zu erheben. „Eine psychosomatische Anamnese erfasst auch die psychosozialen Faktoren. Speziell wenn die Behandlung der betroffenen Organe beziehungsweise Symptome keinen Erfolg zeigt, muss abgeklärt werden, welche Rolle die PSyche und das soziale Umfeld für das Entstehen, den Verlauf und die Bewältigung der Krankheit spielen“, sagt Bach. Neben somatischen Faktoren wie früheren Erkrankungen sollten beispielsweise die individuelle Lebensgeschichte, die aktuelle Arbeitssituation, soziale Beziehungen und die Persönlichkeitsentwicklung erhoben werden. Stellt sich heraus, dass psychosoziale Faktoren einen maßgeblichen Einfluss auf die individuellen Beschwerden haben, besteht Bedarf nach einer psychosomatisch-psychotherapeutischen Versorgung. „Wichtig ist, dass sich die Betrachtungsebenen somatisch oder psychisch nicht ausschließen, sondern ergänzen“, meint Bach.

Ambulante Psychotherapien, die je nach Erkrankung und Schweregrad durch Psychotherapeutika unterstützt werden können, führen bei einem Großteil der psychosomatischen Krankheiten zu Verbesserungen. Bei etwa jedem fünften Patienten zeigen ambulante Therapien jedoch nicht die erwarteten Erfolge. Auch bei Krankheitsbildern, die eine ambulante Therapie nicht zulassen, bei sehr langer Krankheitsdauer, hohem Chronifizierungsgrad oder bei Komorbidität von verschiedenen psychischen und/oder körperlichen Erkrankungen eignen sich stationäre Behandlungsangebote. Der meist mehrwöchige Aufenthalt in einer Fachklinik kann auch Ausgangspunkt für eine spätere ambulante Therapie sein oder einzige Behandlungsmöglichkeit, wenn in der Nähe des Wohnorts keine ambulante Psychotherapie verfügbar ist.

Individuelle Therapiepläne

Das Kennzeichen von stationären Behandlungskonzepten bei psychosomatischen Beschwerden ist ein multimodaler und interdisziplinärer Behandlungsplan mit hoher Therapieintensität. Je nach Erkrankung werden individuelle Wochenpläne erstellt, wobei der Aufenthalt meist vier bis acht Wochen dauert. Während dieser Zeit nehmen die Patienten 15 bis 30 Wochenstunden an Therapieangeboten teil und werden je nach Bedarf medizinisch versorgt. „Die zeitintensive Behandlung macht es möglich, den Heilungsprozess in einem geschützten Setting zu beschleunigen. Die nachfolgende ambulante Weiterbehandlung dient dann der Stabilisierung und Umsetzung der neu erworbenen Fähigkeiten im Alltag“, berichtet Bach. Ziel der stationären Therapie ist es, nicht nur die Mechanismen der Erkrankung aufzuarbeiten, sondern auch die individuellen Fähigkeiten zu ihrer Bewältigung zu fördern sowie Krankheits-relevante Erlebnisse zu verarbeiten.

Körperliche und psychische Krankheitszeichen werden gleichzeitig behandelt. Für die psychischen Anteile kommen meist Einzel- und Gruppenpsychotherapie verschiedener Richtungen und Entspannungstrainings zum Einsatz. In der Klinik am Chiemsee werden etwa Tiefenpsychologie und Verhaltenstherapie mit Bewegungs- und Kreativitäts-fördernden Methoden kombiniert. Bei depressiven Störungen kommen etwa die tiefenpsychologisch-psychodynamische Psychotherapie, die kognitive Verhaltenstherapie, interpersonelle Psychotherapie, Lichttherapie sowie Kreativ- und Körpertherapie zum Einsatz. Bei Patienten mit Burnout wird mit berufsspezifisch psychotherapeutischen Konzepten, Biofeedbackverfahren, Kreativ- und Bewegungstherapien sowie Entspannungsmethoden gearbeitet. Bach: „Studien wie etwa mit chronischen Schmerzpatienten haben gezeigt, dass multimodale Therapien den Einzelverfahren überlegen sind. Auch die Langzeiteffekte sind stabiler.“ Laut Bach liegen die Langzeiteffekte von (teil-)stationären Intensivbehandlungen bei Besserungen um 50 Prozent der ursprünglichen Symptomatik. Die meist bereits chronifizierten oder rezidivierenden Krankheitsbilder werden also nicht vollständig remittiert, aber signifikant gebessert – in vergleichsweise kurzer Zeit. „Auch eine länger dauernde ambulante Psychotherapie führt zum gleichen Ergebnis, allerdings erst nach etwa sechs bis zwölf Monaten“, so Bach. Die Verordnung für eine stationäre Therapie bei psychosomatischen Beschwerden kann durch niedergelassene Ärzte erfolgen.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 5 / 10.03.2013