Versorgung nach einem MCI: Jede Minute zählt

25.03.2013 | Medizin


Nur jeder dritte Patient mit Verdacht auf einen Myokardinfarkt erhält innerhalb der empfohlenen Fristen eine entsprechende Behandlung. Einfache organisatorische Veränderungen – etwa die Erstellung eines EKGs im Aufnahmebereich – schaffen Abhilfe; v. a. Patienten ohne bekannte kardiale Risikofaktoren profitieren davon.
Von Irene Mlekusch

Der Myokardinfarkt ist und bleibt eine der Haupttodesursachen in den Industrieländern; bis zu 60 Prozent der Betroffenen erreichen das Krankenhaus nicht mehr rechtzeitig und versterben. Die durch Ischämie bedingte Myokardnekrose zeigt einen ausgesprochen progressiven Verlauf, sodass die Zeit von der Erstsymptomatik bis zur Behandlung kurz gehalten werden sollte, um möglichst viel Myokard zu retten und die Prognose zu verbessern. „Die Entscheidungszeit des Patienten bis zum Anruf bei der Rettung oder beim Arzt ist nicht beeinflussbar“, bedauert Univ. Prof. Wolfgang Schreiber von der Universitäts- klinik für Notfallmedizin der Medizinischen Universität in Wien. Vor allem ältere Menschen oder Diabetiker nehmen die Symptome manchmal nicht wichtig.

Außerhalb von Wien bestehen regionale Strukturen, die als so genannte STEMI-Netzwerke eine intensive Kommunikation und Vernetzung zwischen Notarzt- und Rettungswesen, niedergelassenen Ärzten, peripheren Krankenhäusern und deren Herzkatheterlabors für Patienten, die einen Myokardinfarkt erlitten haben, herstellen. Schreiber sieht die Vorteile dieser Strukturen insofern gegeben, als dadurch die Behandlungskette durch das Vorhandensein von konkreten Ansprechpartnern beschleunigt wird. „Die Behandlungs-strategien und Interventionen sind in der jeweiligen Region abgesprochen“, ergänzt Schreiber.

„Time is muscle“

Der Leitsatz bei der Behandlung lautet: „time is muscle“. Ein 12-Kanal-EKG sollte innerhalb von zehn Minuten nach dem Eintreffen des Patienten in der Ambulanz durchgeführt werden, um einen ST-Streckenhebungsinfarkt (STEMI) diagnostizieren und weitere Behandlungs-schritte einleiten zu können. Laut Literatur erhalten maximal 41 Prozent der Betroffenen, bei denen man einen Myokardinfarkt vermutet, innerhalb dieses Zeitraums ein entsprechendes EKG. Auch der Erfolg der Reperfusion hängt von der Zeit ab. Eine rasche Reperfusion rettet Myokard und reduziert die Mortalität. „Je früher wiedereröffnet wird, desto besser ist die Prognose“, sagt Schreiber. Die Dauer vom medizinischen Erstkontakt bis zum Herzkatheter (first medical contact to balloon time) sollte zwei Stunden nicht überschreiten, bei sehr kurz symptomatischen Patienten maximal 90 Minuten betragen.

Die Zeit von der ersten Symptomatik bis zur Reperfusion wird beeinflusst durch das Erkennen der Symptome und den Hilferuf des Patienten, die Transportzeit, die Verfügbarkeit und der Einsatz medikamentöser Initialtherapie sowie Diagnostik und Therapie im Krankenhaus. Studien belegen, dass Patienten selbst dann, wenn sie das Krankenhaus rechtzeitig erreichen, nur in 35 Prozent der Fälle innerhalb der empfohlenen Fristen eine entsprechende Behandlung erhalten. „Vor allem im Krankenhaus sollte das Zeitfenster kurz sein“, betont Schreiber. Bei einem direkten Betreuungsweg könne an der Klinik ein Zeitfenster von 15 bis 20 Minuten gewonnen werden.

Bessere Organisation, schnellere Behandlung

Seit 1991 gibt es die Notfallaufnahme am neuen Allgemeinen Krankenhaus Wien, welche im Rahmen des neuen Universitätsorganisationsgesetzes im Jahre 2000 zur Universitätsklinik für Notfallmedizin wurde. Allein im Jahr 2011 wurden 615 Patienten mit akutem Myokardinfarkt an der Klinik behandelt, wobei bei 333 (54,1 Prozent) STEMI diagnostiziert werden konnte. Bei 83 Prozent der Betroffenen wurde eine primäre perkutane Koronarintervention (PPCI) durchgeführt und 1,3 Prozent wurden lysiert. Lediglich 10,3 Prozent erhielten keine primäre Reperfusion. Die Betroffenen waren im Durchschnitt 64 Jahre alt; fast 70 Prozent waren Männer. Studien an der Universitätsklinik für Notfallmedizin in Wien konnten zeigen, dass einfache organisatorische Veränderungen zu einer signifikant schnelleren Behandlung von Patienten mit dem Leitsymptom „Brustschmerz“ führen. Die rasche Verfügbarkeit eines 12-Kanal-EKGs, durchgeführt im Aufnahmebereich durch einen eigens dafür zuständigen Mitarbeiter, reduzierte die „door-to-ECG time“. Vor allem Patienten ohne bekannte kardiale Risikofaktoren können von einem EKG im Aufnahmebereich profitieren. In einer weiteren Studie wurde die door-to-balloon time verkürzt, indem ein STEMI-Protokoll entworfen und umgesetzt wurde. Dabei erfolgte die Patientenadministration schon während des Patiententransportes. Die Patienten wurdenvom Notfallteam bereits im Eingangsbereich übernommen und die Indikation für eine primäre perkutane Koronar-intervention in Form eines klinischen Checks und der Begutachtung des bereits präklinisch erhobenen EKGs evaluiert. Im Anschluss wurden die Patienten direkt mit der Rettungsliege ins Katheterlabor gebracht und erst dort Blut abgenommen. Damit konnte die mediane door-tocathlab time von 21 auf zehn Minuten gesenkt werden.

In Wien suchen die Betroffenen in etwas mehr als zehn Prozent selbst die Notfallaufnahme auf oder werden mit der Rettung eingeliefert. Dazu Univ. Prof. Anton Laggner, Leiter der Universitätsklinik für Notfallmedizin der Medizinischen Universität Wien: „Wichtig ist, dass die Bevölkerung dahingehend sensibilisiert wird, dass beim Eintreten von typischen Beschwerden möglichst rasch ärztliche Hilfe angefordert und ein EKG angefertigt wird.“ Sollte dabei der frische Herzinfarkt erkennbar sein, muss sofort kontinuierliche EKG- Überwachung und Defibrillationsbereitschaft hergestellt werden. „Der Transport ins Krankenhaus muss unter notärztlicher Begleitung erfolgen“, fordert Laggner. „Empfehlungen, dass der Patient mit dem Taxi beziehungsweise Privatfahrzeug das Spital aufsuchen solle, müssen als grob fahrlässig gewertet werden, weil schon ein ganz kleiner Herzinfarkt zum tödlichen Kammerflimmern führen kann.“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 6 / 25.03.2013