Kinderwunschbehandlung: Vom Traum zum Trauma

25.11.2013 | Medizin

Die meisten Paare, die ungewollt kinderlos sind, unterschätzen die psychische Belastung der assistierten Reproduktion. Schon zu Beginn sollte deswegen ein Endpunkt definiert und auch Strategien überlegt werden, mit einem eventuellen Misserfolg zurecht zu kommen.

Etwa jedes siebente Paar in Österreich ist ungewollt kinderlos. Zwar hat sich die Assistierte Reproduktionstechnologie (ART) seit Geburt des ersten „Retortenbabys“ im Jahr 1978 laufend weiterentwickelt, der Weg zum Wunschkind ist für die betroffenen Paare jedoch nach wie vor oft lang und beschwerlich. Er führt über Hormonbehandlung, In-vitro-Fertilisation (IVF) bis zur Fremd-Eizellspende und Samenspende und dauert oft mehrere Jahre. Genaue Zahlen zu den unterschiedlichen Behandlungsmethoden gibt es für Österreich nicht. Die Statistik des IVF-Fonds des Gesundheitsministeriums für das Jahr 2012 weist aber allein für die In-vitro-Fertilisation 7.196 Versuche bei 5.099 Paaren aus. Die sogenannte Baby-Take-Home-Rate betrug rund 25 Prozent. „Dass nur etwa ein Viertel der Versuche zur Geburt eines Kindes führt, ist den meisten Paaren nicht bewusst. Auch wenn sie von den behandelnden Ärzten korrekt informiert werden, machen Internetauftritte von Kinderwunschkliniken und Werbung falsche Hoffnungen“, sagt Ao. Univ. Prof. Astrid Lampe, Leiterin der Frauenambulanz an der Universitätsklinik für Medizinische Psychologie in Innsbruck. Immer wieder begegnet sie in der Praxis Paaren, die erwarten, dass sich bereits nach wenigen Wochen eine Schwangerschaft einstellt. Umso größer sei die Enttäuschung, wenn die Bemühungen erfolglos bleiben.

Schon vor der eigentlichen Behandlung empfinden viele Paare ihre Infertilität als belastend. Die Kinderwunschbehandlung entspricht nicht der romantischen Vorstellung von der Entstehung eines gemeinsamen Kindes. Beim infertilen Partner können Gefühle der Insuffizienz und des Versagens auftreten. Schuldzuweisungen und Vorwürfe belasten Psyche und Paarbeziehung. Lampe: „Häufig kommt es zu Gereiztheit, Depressionen, Ängsten sowie zu akuten Belastungsreaktionen, die auch länger anhalten können.“ Im Lauf der Kinderwunschbehandlung entstehe oft auch das Gefühl, die Kontrolle über den Prozess zu verlieren und der Behandlungssituation ausgeliefert zu sein.

Frauen stärker betroffen

Vor allem Frauen erleben die Behandlung – ohne entsprechende Aufklärung und psychologische Betreuung – als sehr belastend. Durch die körperlichen Eingriffe sind sie emotional und gedanklich stärker beteiligt als Männer. „Frauen sehen die Verantwortung für eine erfolgreiche Schwangerschaft meist bei sich und empfinden den Verlust bei missglückten Versuchen stärker als Männer. Oft entsteht bei missglückten Versuchen das Gefühl, als schützende oder nährende Instanz versagt zu haben“, erzählt Lampe. Schuldgefühle und Kontrollverlust setzen Frauen verstärkt unter Druck. Männer erleben ebenfalls oft Gefühle der Hilflosigkeit und Ohnmacht, da sie – in die Rolle der Passivität gedrängt – selbst kaum etwas beitragen können. Häufig entstehe, so Lampe, beim Mann ein Bild, wie Arzt und Frau ohne sein Zutun das Unmögliche möglich machen. Infertile Männer empfinden die assistierte Reproduktion oft als Demütigung, die sich manchmal bei erfolgreicher Behandlung auch in einer gewissen Entfremdung gegenüber dem Kind zeigen kann.

Problematisch: Fremd-Eizell/Samenspende

Besonders problematisch für die Eltern-Kind-Beziehung wird die Konzeption mit Fremd-Eizellspende oder Fremd-Samenspende erlebt. Bei Fremd-Eizellspenden besteht neben den hohen Kosten durch die aufgrund der österreichischen Gesetzeslage notwendigen Behandlungen im Ausland ein erhöhtes Risiko für eine Distanzierung gegenüber dem Kind. „Speziell kurz vor der Geburt kommt es zur Krise. Die Angst entsteht, etwas Fremdes zu gebären. Es kommt ein Kind, das sich unter Umständen deutlich von den Eltern unterscheidet“, erzählt Lampe. Auch die Scham, etwas Illegales getan zu haben, könne Frauen belasten. Die notwendige Unterstützung durch Freunde und Familienangehörige fällt oft gering aus, da viele Paare ihre Versuche, mithilfe der assistierten Reproduktionstechnologie ein Kind zu bekommen, verschweigen. Nach wie vor ist das Thema ein Tabu. Dadurch, dass die ungewollte Kinderlosigkeit kaum angesprochen wird, entsteht zusätzlich der Eindruck, mit dem Problem allein zu sein. Der Anblick von fremden Babys wird von vielen ungewollt kinderlosen Paaren als schmerzhaft empfunden.

Umso mehr nimmt der Partner eine wichtige Rolle ein, die Belastung der assistierten Reproduktionstechnologie zu verarbeiten. Zwar kann die gemeinsame Krise ein Paar stärken; viele Paare, die sich auf den Prozess der IVF einlassen, würden aber mitunter ausgeprägte Beziehungskrisen schildern, sagt Lampe. „Viele Paare kommen sehr optimistisch in die Behandlung. Das Angebot psychologischer Betreuung während der Kinderwunschbehandlung wird zunächst häufig abgelehnt“, berichtet Lampe. Nur etwa ein Drittel der Paare nutzt die Möglichkeit von begleitenden psychologischen Angeboten. Rückwirkend berichten die meisten jedoch, dass eine psychologische Betreuung wichtig gewesen wäre, gepaart mit dem Wunsch nach mehr Aufklärung über den Prozess und seine Auswirkungen. Studien zeigen außerdem, dass 15 bis 20 Prozent der Paare, die die assistierte Reproduktionstechnologie in Anspruch nehmen, aufgrund von Beziehungsproblemen psychotherapeutische Hilfe aufsuchen.

Auch wenn Beratungsangebote nicht immer genutzt werden, sollte allen Paaren eine psychosoziale Kinderwunschberatung vor, während und nach einer reproduktionsmedizinischen Behandlung niederschwellig zur Verfügung stehen, um mögliche Krisen aufzufangen, sagt Tewes Wischmann, Leiter der psychotherapeutischen Ambulanzangebote am Institut für Medizinische Psychologie des Universitätsklinikums Heidelberg. „Viele Paare durchstehen diese ,Achterbahn der Gefühle‘ auch ohne professionelle Unterstützung. Andere aber überfordert die Krisenerfahrung. In Deutschland, Österreich und der Schweiz ist das Beratungsangebot in der Regel allerdings noch völlig unzureichend“, sagt Wischmann.

Isolation kontraproduktiv

Der Psychologe und Psychotherapeut beschäftigt sich vor allem mit der psychosozialen Entwicklung von IVFKindern und ihren Eltern. Seine Untersuchungen zeigen, dass viele Paare zwar während der assistierten Reproduktionstechnologie eine schwere Krise durchlaufen; in der Rückschau aber feststellen, dass die Krise sie zusammengeschweißt hat. Wichtig sei, dass sich das Paar auf Dauer nicht sozial isoliere, meint Wischmann.

Hinsichtlich der psychosozialen Entwicklung der Kinder, die mit Hilfe der assistierten Reproduktionstechnologie gezeugt wurden, konnten bisher keine auffälligen Entwicklungen festgestellt werden. Auch bei alleinstehenden Müttern entwickeln sich Einlinge ohne Unterschiede zu spontan konzipierten Kindern. Ein hohes Risikopotential besteht hingegen bei Mehrlingsgeburten, die bei assistierter Reproduktion aufgrund des Transfers mehrerer Embryonen häufiger sind als im Durchschnitt normaler Konzeption. Neben häufigeren Verhaltens- und Sprachstörungen bei den Kindern besteht die Mehrlingsproblematik in einem erhöhten Erkrankungsrisiko für Depressionen und chronische Erschöpfungszustände sowie einer erhöhten Trennungsrate bei den Eltern. Dass Eltern dem Kind nach erfolgreicher Kinderwunschbehandlung überbehütend und mit erhöhter Ängstlichkeit begegnen, konnte bisher nicht bestätigt werden. „Es gibt einige Studien, die zeigen, dass die Sectio-Rate bei Paaren nach assistierter Reproduktion bis um das Doppelte erhöht ist. Dies könnte auf ein gesteigertes Sicherheitsbedürfnis der Eltern, aber auch der Ärzte hindeuten“, so Wischmann. Allerdings sei die Sectio-Rate in den vergangenen Jahren europaweit allgemein gestiegen.

Paare, bei denen die assistierte Reproduktionstechnologie keinen Erfolg erzielte, bräuchten vor allem eine Perspektive für ein Leben ohne leibliche Kinder. Schon vor Beginn der Kinderwunschbehandlung sollte daher ein Endpunkt definiert werden. „Wichtig ist, sich einen Plan B zu überlegen und auch eine Perspektive vor Augen zu haben, wie man mit einem eventuellen Misserfolg auch zurecht kommen kann“, sagt Lampe.
EG

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 22 / 25.11.2013