Wenn Kin­der Schmer­zen haben: Dia­gnose auf Umwegen

25.01.2013 | Medizin


Die Kin­der­schmerz­the­ra­pie als Spe­zia­li­sie­rung ist selbst inner­halb der Päd­ia­trie kaum vor­han­den. Eine beson­dere Her­aus­for­de­rung liegt laut Exper­ten darin, die Schmer­zen bei Kin­dern ein­zu­schät­zen und zu objek­ti­vie­ren – eine Gesich­ter-Skala kann dabei hel­fen.
Von Doris Kreindl

Eine Dia­gnose bei Kin­dern ist oft nur auf Umwe­gen mög­lich, vor allem dann, wenn die Schmer­zen chro­nisch sind. Im Extrem­fall waren bis zu 28 Kon­takte mit ver­schie­de­nen Ärz­ten not­wen­dig, ehe Kin­der und Jugend­li­che eine spe­zia­li­sierte Behand­lung erhiel­ten, wie eine Stu­die des Deut­schen Kin­der­schmerz­zen­trums ergab. Dafür wur­den von 2005 bis 2010 die Daten aller am Kin­der­schmerz­zen­trum auf­ge­nom­me­nen Pati­en­ten gesam­melt und aus­ge­wer­tet. Fazit: Viele Kin­der erhal­ten Schmerz­me­di­ka­mente, die nicht geeig­net oder falsch dosiert sind. Laut den Stu­di­en­au­toren gäbe es wirk­same Metho­den, um chro­ni­sche Schmer­zen zu behan­deln; diese müss­ten aber bereits in einem mög­lichst frü­hen Krank­heits­sta­dium von geschul­ten Kin­der­ärz­ten und Schmerz­spe­zia­lis­ten ein­ge­setzt wer­den. Die der­zei­ti­gen Ver­sor­gungs­struk­tu­ren – so heißt es in der Stu­die wei­ter – kön­nen eine kurz­fris­tige, wohn­ort­nahe und fach­män­ni­sche Ver­sor­gung der jun­gen Pati­en­ten jedoch noch nicht gewährleisten.

Auch hier­zu­lande steckt die Ent­wick­lung eines Fach­ge­bie­tes Schmerz­me­di­zin noch in den Anfän­gen. Univ. Prof. Hans-Georg Kress, Lei­ter der Abtei­lung Spe­zi­elle Anäs­the­sie und Schmerz­the­ra­pie am Wie­ner AKH, bringt es auf den Punkt: „Die Kin­der­schmerz­the­ra­pie als Spe­zia­li­sie­rung ist selbst inner­halb der Päd­ia­trie kaum vor­han­den. Wis­sen­schaft­li­che Publi­ka­tio­nen gibt es zwar schon, aber ins­be­son­dere zu chro­ni­schen Schmer­zen noch recht wenige.“ Im LKH Graz bei­spiels­weise haben sich Univ. Prof. Wolf­gang Tol­ler und Bri­gitte Mes­se­rer auf die Behand­lung von jun­gen Schmerz­pa­ti­en­ten spe­zia­li­siert. „Wir haben im Jahr auf der Kin­der­chir­ur­gie zwi­schen 23.000 und 25.000 der klei­nen Pati­en­ten, von Früh­ge­bo­re­nen bis hin zu jun­gen Erwach­se­nen im 18. Lebensjahr.“

Eine beson­dere Her­aus­for­de­rung bei Kin­dern liege laut den Exper­ten darin, ihre Schmer­zen ein­zu­schät­zen und zu objek­ti­vie­ren. Babys und kleine Kin­der kom­mu­ni­zie­ren ihre Schmer­zen anders als Erwach­sene und auch anders, als Ärzte es gewohnt sind. Bei Kin­dern kom­men des­halb Schmerz­ska­len zum Ein­satz. Wäh­rend bei Kin­dern bis zum vier­ten Lebens­jahr Fremd­be­ur­tei­lungs­ska­len ver­wen­det wer­den, kön­nen ältere Kin­der die Stärke des emp­fun­de­nen Schmer­zes oft­mals bereits selbst kom­mu­ni­zie­ren wie bei­spiels­weise mit einer Gesich­ter­skala. Anhand einer Skala mit unter­schied­li­chen Gesich­tern – wei­nend, lachend, nor­mal schau­end – kann dann der Arzt dar­aus schlie­ßen, ob es sich um sehr starke oder weni­ger starke Schmer­zen handelt.

Oft sind Ärzte bei der Behand­lung von Schmer­zen gezwun­gen, auf Medi­ka­mente zurück­zu­grei­fen, die zwar für Erwach­sene, nicht aber für Kin­der zuge­las­sen sind. Mes­se­rer dazu: „Wir ver­ab­rei­chen sie aber trotz­dem, weil es sich um Medi­ka­mente han­delt, die sich bei Erwach­se­nen bewährt haben.“ So gäbe es in vie­len Fäl­len keine Stu­die, keine Daten und keine Dosie­rungs­an­ga­ben, auf die zurück­ge­grif­fen wer­den könnte. „Das ist vor allem bei Pati­en­ten mit chro­ni­schen Schmer­zen ein gro­ßes Pro­blem und wir kön­nen uns bei der Dosie­rung nur auf unsere Erfah­rungs­werte ver­las­sen“, erklärt Mes­se­rer. „Dar­aus erklärt sich auch die Tat­sa­che, dass viele Kol­le­gen ver­un­si­chert sind, wel­che Medi­ka­mente in wel­cher Dosie­rung ein­ge­setzt wer­den sol­len.“ Kress ergänzt: „Viele Haus­ärzte haben Angst, Medi­ka­mente zu ver­wen­den, weil es oft­mals zu Unter­do­sie­run­gen und Fehl­ein­nah­men kommt. Bei chro­ni­schen Schmer­zen sollte unbe­dingt ein Fach­arzt für Päd­ia­trie hin­zu­ge­zo­gen werden.“

Aus meh­re­ren Grün­den kom­men For­schun­gen auf dem Gebiet der Kin­der­schmerz­the­ra­pie nur schlep­pend in Gang. Einer­seits sind Arz­nei­mit­tel­stu­dien für die Indus­trie mit­un­ter nur wenig attrak­tiv. Ande­rer­seits sind Eltern oft nicht bereit, ihre Kin­der an For­schungs­pro­jek­ten teil­neh­men zu las­sen. Tol­ler vom LKH Graz über die Pra­xis: „Es wer­den Stu­dien her­an­ge­zo­gen, die mit Erwach­se­nen durch­ge­führt wur­den. Das hat zur Folge, dass Medi­ka­mente in Ver­wen­dung sind, bei denen nie fest­ge­stellt wurde, ob sie sich auch für Kin­der eig­nen. Streng genom­men bewe­gen wir uns immer am Rande der Ille­ga­li­tät, da viele Medi­ka­mente für Kin­der nicht zuge­las­sen wur­den.“ Kress meint dage­gen: „Es gibt sehr wirk­same, lang erprobte Schmerz­me­di­ka­mente für Kin­der, auch wenn diese per se oft nur für Erwach­sene zuge­las­sen wur­den.“ So gäbe es in der Anäs­the­sie jah­re­lange Erfah­run­gen in der Schmerz­be­hand­lung von Kin­dern, nach Ver­let­zun­gen, in der Pal­lia­tiv­be­hand­lung sowie wäh­rend und nach Ope­ra­tio­nen. Kress führt als Bei­spiel Par­acet­amol an, aber auch Ibu­profen, Met­ami­zol und Tra­ma­dol sowie bei schwe­ren aku­ten oder Krebs­schmer­zen Mor­phin oder Fen­ta­nyl. „Das sind bewährte und gut wirk­same Schmerz­mit­tel, über deren Wir­kun­gen und Dosie­run­gen wir auch bei Kin­dern sehr gut Bescheid wis­sen“,
bekräf­tigt Kress.

Bei Par­acet­amol ist Tol­ler ande­rer Mei­nung. So berich­tet er von einem Päd­ia­trie-Kon­gress in Deutsch­land, wo hef­tig über den Ein­satz von Par­acet­amol dis­ku­tiert wurde. Im Mit­tel­punkt stand dabei die For­de­rung der Exper­ten, die in Apo­the­ken frei ver­füg­bare Sub­stanz auf­grund der schwach schmerz­stil­len­den Wir­kung bei gleich­zei­tig ungüns­ti­gem Neben­wir­kungs­pro­fil wie Leber­funk­ti­ons­stö­run­gen vom Markt zu nehmen.

Gene­rell ist fest­zu­stel­len, dass die Eta­blie­rung von Anlauf­stel­len für Kin­der­schmerz­the­ra­pien in Kran­ken­häu­sern ein kom­ple­xes Unter­fan­gen ist. Davon sind nicht nur ver­schie­dene Fach­ge­biete wie Anäs­the­sie, Psych­ia­trie, Ortho­pä­die, Chir­ur­gie und viele andere mehr betrof­fen, son­dern laut den Exper­ten müsste auch das Pfle­ge­per­so­nal sowie Phy­siound Ergo­the­ra­peu­ten ein­be­zo­gen wer­den. Beson­ders dann, wenn es sich um nicht-medi­ka­men­töse Schmerz­the­ra­pien han­delt wie bei­spiels­weise die opti­male Lage­rung der klei­nen Pati­en­ten, spe­zi­elle Mobi­li­sie­rungs­tech­ni­ken nach Unfäl­len, das Trai­nie­ren von Atem­tech­ni­ken, wird ersicht­lich, dass eine mul­ti­dis­zi­pli­näre Denk- und Vor­ge­hens­weise uner­läss­lich ist. „Ein­zel­kämp­fer sind bei der Imple­men­tie­rung eines Schmerz­ma­nage­ments zum Schei­tern verurteilt.

Zen­tra­ler Bestand­teil in unse­rem Bereich ist die inter­dis­zi­pli­näre Team­ar­beit. Ohne sie kann es nicht funk­tio­nie­ren“, ist Tol­ler über­zeugt. „Zual­ler­erst erge­ben sich die Schwie­rig­kei­ten dadurch, dass die Not­wen­dig­keit und der Bedarf von Kin­der­schmerz­zen­tren und Schmerz­the­ra­pie­zen­tren im All­ge­mei­nen noch nicht in die Köpfe der Ver­ant­wort­li­chen, aber auch der Berufs­kol­le­gen ein­ge­drun­gen sind“, ana­ly­siert Kress. Zwar zeichne sich auf euro­päi­scher Ebene „lang­sam“ (Kress) eine Ver­än­de­rung ab, aber „den­noch ist es so, dass der gesamte Bereich der Schmerz­the­ra­pie in unse­rem Land lei­der sehr unter­ent­wi­ckelt ist und es noch einer kon­se­quen­ten Bewusst­seins­bil­dung bei den Kran­ken­an­stal­ten­trä­gern und den ver­ant­wort­li­chen Poli­ti­kern bedarf“, betont Kress.

Zahl­rei­che Initia­ti­ven notwendig

Einig sind sich die Exper­ten dar­über, dass von Sei­ten der Gesund­heits­po­li­tik Initia­ti­ven wün­schens­wert wären, die den Auf­bau von Kin­der­schmerz­zen­tren oder Kin­der­schmerz­am­bu­lan­zen in den Kran­ken­häu­sern för­dern und Phar­ma­fir­men mehr dazu moti­viert wer­den müs­sen, Arz­nei­mit­tel­stu­dien durchzuführen.

Qua­li­täts­maß­stäbe wie­derum kön­nen im Rah­men einer Zer­ti­fi­zie­rung, zum Bei­spiel durch CERTCOM erreicht wer­den, die sich auf Ergeb­nis-ori­en­tierte Resul­tate stützt. Dabei steht der Pati­ent im Mit­tel­punkt. Durch Fra­gen wie „Wie sind Sie mit unse­rer Schmerz­the­ra­pie zufrie­den?“, „Wie sind Sie mit der Auf­klä­rungs­qua­li­tät zufrie­den?“, „Gibt es Funk­ti­ons­be­ein­träch­ti­gun­gen durch den Schmerz?“, „Gibt es Neben­wir­kun­gen und wel­che?“ wird ver­sucht, eine ste­tige Qua­li­täts­ver­bes­se­rung zu erreichen.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 1–2 /​25.01.2013