Homöo­pa­thie: Glau­ben oder Wissen?

25.02.2013 | Medizin


Bis zu 80 Pro­zent aller Pati­en­ten in Öster­reich wen­den min­des­tens ein­mal im Jahr eine homöo­pa­thi­sche Methode an. Was die Wirk­sam­keit anlangt, sind die Mei­nun­gen geteilt. Mehr Stu­dien zur Homöo­pa­thie seien jeden­falls not­wen­dig, geste­hen Exper­ten ein. Das Pro­blem dabei: die hohen Kos­ten.
Von Eli­sa­beth Gerstendorfer

Die homöo­pa­thi­sche Sub­stanz ist immer auf einen bestimm­ten Pati­en­ten aus­ge­rich­tet. Sie geht nicht Dia­gnose-ori­en­tiert son­dern Pati­en­ten-ori­en­tiert vor, indem man nicht Asthma behan­delt, son­dern einen Pati­en­ten mit Asthma, der viel­leicht gleich­zei­tig auch einen Haut­aus­schlag, eine Durch­falls­er­kran­kung und Gemüts­stö­run­gen hat“, sagt Univ. Prof. Michael Frass, Vize-Prä­si­dent der Ärz­te­ge­sell­schaft für klas­si­sche Homöo­pa­thie sowie Prä­si­dent des Dach­ver­ban­des Öster­rei­chi­scher Ärz­tin­nen und Ärzte für Ganzheitsmedizin.

Nur wenige Studien

Wäh­rend die Pati­en­ten der Homöo­pa­thie groß­teils zuge­tan sind – bis zu 80 Pro­zent der Pati­en­ten in Öster­reich ver­wen­den min­des­tens ein­mal im Jahr eine homöo­pa­thi­sche Methode – sind die Mei­nun­gen unter Ärz­ten nach wie vor geteilt. Kri­ti­siert wird vor allem der man­gelnde Wir­kungs­nach­weis durch kli­ni­sche Stu­dien. Für Frass las­sen meh­rere Meta-Ana­ly­sen eine Ten­denz erken­nen, dass die Wir­kung der Homöo­pa­thie über den Pla­cebo-Effekt hin­aus­geht. Die letzte große Unter­su­chung wurde 2005 im Lan­cet ver­öf­fent­licht. Frass: „Wäh­rend die Aus­sage der Autoren gegen die Wirk­sam­keit der Homöo­pa­thie spricht, zeigt eine genaue wis­sen­schaft­li­che Ana­lyse das genaue Gegen­teil. Das Argu­ment des Pla­cebo-Effekts ist aus mei­ner Sicht nicht mehr haltbar.“

Auch Bes­se­run­gen bei Inten­siv­pa­ti­en­ten, Klein­kin­dern und Tie­ren spre­chen laut Frass dafür, dass Homöo­pa­thie über Pla­cebo hin­aus­geht. „Ich stimme zu, dass wir mehr Stu­dien zur Homöo­pa­thie brau­chen. Die Mög­lich­kei­ten, sol­che groß ange­leg­ten Stu­dien durch­zu­füh­ren, sind aber lei­der beschränkt“, so Frass. Es sei auch schwie­rig, an Daten zu gelan­gen, da sich die Homöo­pa­thie am Indi­vi­duum ori­en­tiere und sich „nicht gut ver­glei­chen lässt“, meint Frass, der seit 2004 am Wie­ner AKH die Spe­zi­al­am­bu­lanz „Homöo­pa­thie bei mali­gnen Erkran­kun­gen“ lei­tet. Stu­di­en­de­signs seien zwar mach­bar, die Kos­ten aber zu hoch, Geld­ge­ber fehlen.

Kohor­ten­stu­dien, die abseits der expe­ri­men­tel­len kli­ni­schen For­schung an Uni­ver­si­täts­kli­ni­ken in homöo­pa­thi­schen Pra­xen mit meh­re­ren 1.000 Pati­en­ten durch­ge­führt wur­den, zeig­ten, dass bei denen, die viele Jahre an chro­ni­schen Erkran­kun­gen wie Neu­ro­der­mi­tis, All­er­gien und Kopf­schmer­zen lei­den, deut­li­che Bes­se­run­gen durch homöo­pa­thi­sche Metho­den auf­tra­ten. „Auch in Stu­dien, in denen Homöo­pa­thie und kon­ven­tio­nelle Medi­zin unter All­tags­be­din­gun­gen ver­gli­chen wer­den, lie­gen für beide Sys­teme ähn­li­che Behand­lungs­er­geb­nisse vor. Offen­sicht­lich gibt es einen Nut­zen. Strit­tig ist letzt­lich, inwie­weit die­ser Nut­zen auf einer Wir­kung der hoch­po­ten­zier­ten Arz­nei­mit­tel beruht oder auf ande­ren Fak­to­ren wie zum Bei­spiel Pla­cebo-Effek­ten oder the­ra­peu­ti­schen Effek­ten durch eine erfolg­rei­che Arzt-Pati­en­ten-Bezie­hung“, sagt Michael Teut, Fach­arzt für All­ge­mein­me­di­zin und Arzt für Homöo­pa­thie an der Hoch­schul­am­bu­lanz für Natur­heil­kunde im Uni­ver­si­täts­kran­ken­haus Cha­rité Ber­lin. Zwar lie­gen mehr als 200 ran­do­mi­sierte und zum Teil Pla­cebo-kon­trol­lierte Stu­dien zur Homöo­pa­thie vor. Die Ergeb­nisse seien in Summe jedoch nicht ein­deu­tig, „weder um die Pla­cebo-Hypo­these zu stüt­zen noch die These einer spe­zi­fi­schen Wirk­sam­keit der hoch­po­ten­zier­ten Arz­nei­mit­tel“, erklärt Teut.

„Ein­fach ausprobieren“

Homöo­pa­thie kann in Öster­reich als Kom­ple­men­tär­me­thode zur kon­ven­tio­nel­len The­ra­pie ein­ge­setzt wer­den. Vor allem bei kar­dio­vas­ku­lä­ren Erkran­kun­gen sowie bei Erkran­kun­gen des Gas­tro­in­testi­nal­trakts, des Atem­trakts, bei Migräne und Kopf­schmer­zen sowie bei rheu­ma­ti­schen Beschwer­den zei­gen sich in der homöo­pa­thi­schen Pra­xis Erfolge. Auch
bei eini­gen Erkran­kun­gen wie etwa all­er­gi­scher Rhi­ni­tis, kind­li­chem Durch­fall oder Fibro­my­al­gie spre­chen die Daten der­zeit für die Wirk­sam­keit der Homöo­pa­thie,
berich­tet Teut.

An der Spe­zi­al­am­bu­lanz „Homöo­pa­thie bei mali­gnen Erkran­kun­gen“ am Wie­ner AKH wer­den homöo­pa­thi­sche Metho­den ein­ge­setzt, um bei Pati­en­ten mit Che­mo­the­ra­pie die Neben­wir­kun­gen zu redu­zie­ren, Zweit­er­kran­kun­gen zu behan­deln und die Lebens­qua­li­tät zu ver­bes­sern. Bei man­chen sub­jek­ti­ven Sym­pto­men ist Homöo­pa­thie – wenn eine kon­ven­tio­nelle The­ra­pie nicht anschlägt – die ein­zige wirk­same Methode. Die Kran­ken­kas­sen hono­rie­ren homöo­pa­thi­sche Behand­lun­gen in Öster­reich der­zeit nicht, je nach Kran­ken­kasse wird aber ein Anteil der Kos­ten bei onko­lo­gi­schen Pati­en­ten rück­erstat­tet. Anders in der Schweiz: Nach einem Volks­ent­scheid wer­den seit 1. Januar 2012 homöo­pa­thi­sche Leis­tun­gen pro­vi­so­risch bis Ende 2017 unter bestimm­ten Vor­aus­set­zun­gen von der obli­ga­to­ri­schen Kran­ken­ver­si­che­rung vergütet.

In Öster­reich nimmt die Aus­ein­an­der­set­zung mit Homöo­pa­thie unter­des­sen zu. So gibt es etwa an den Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tä­ten ein gerin­ges Aus­maß an Pflicht­vor­le­sun­gen und Wahl­fä­chern zum Thema. Rund 800 Ärzte mit dem Zusatz­di­plom „Homöo­pa­thie“ sind bei den bei­den öster­rei­chi­schen homöo­pa­thi­schen Gesell­schaf­ten regis­triert. Frass: „Homöo­pa­thie und kon­ven­tio­nelle Medi­zin sind kein Wider­spruch. Auch wenn man die Wir­kung homöo­pa­thi­scher Metho­den nicht ein­fach erklä­ren kann, soll­ten Dia­loge geführt und Metho­den aus­pro­biert wer­den. Ich bin selbst ein Skep­ti­ker, aber es ist schön, zuzu­se­hen, wie Pati­en­ten mit­hilfe der Homöo­pa­thie wie­der gesund werden.“

Homöo­pa­thie kompakt

„Ähn­li­ches durch Ähn­li­ches behan­deln“ – das ist der Grund­satz der Homöo­pa­thie, den ihr Ent­wick­ler, der deut­sche Arzt und Che­mi­ker Samuel Hah­ne­mann, Anfang des 19. Jahr­hun­derts auf­stellte. Er beob­ach­tete, dass bestimmte Arz­neien bei Gesun­den ähn­li­che Sym­ptome her­vor­ru­fen konn­ten wie jene, an denen Kranke lit­ten. Ver­ab­reichte er diese Sub­stan­zen dem Kran­ken, konn­ten sie zu des­sen Hei­lungs­ver­lauf bei­tra­gen. Spä­ter ent­wi­ckelte Hah­ne­mann eine Ver­dün­nungs­me­thode, die Poten­zie­rung, bei der die Sub­stan­zen in meh­re­ren Schrit­ten mit Was­ser oder Alko­hol ver­dünnt und schritt­weise ver­schüt­telt oder mit Milch­zu­cker ver­rie­ben wurden.

Je nach Ver­dün­nung unter­schei­det man C- (1:100), D- (1:10), LM- und Q‑Potenzen (1:50.000). Etwa 1.000 ver­schie­dene homöo­pa­thi­sche Mit­tel sind in Form von Tablet­ten, Trop­fen, Pul­ver, Säf­ten oder win­zi­gen Kügel­chen (Glo­buli) verfügbar.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 4 /​25.02.2013