Untere gastrointestinale Blutung: Selten, aber komplex

25.04.2013 | Medizin


Obwohl Blutungen im unteren Gastrointestinaltrakt deutlich seltener sind als jene im oberen Gastrointestinaltrakt, stellen sie die größere diagnostische und therapeutische Herausforderung dar. Beim diagnostischen Algorithmus steht die Endoskopie an
erster Stelle.
Von Irene Mlekusch

Schwere Blutungen im unteren Gastrointestinaltrakt sind zwar mit bis zu 15 Prozent eher selten; in bis zur Hälfte der Fälle kommt es aber zu Rezidivblutungen. Obwohl die Erkrankung in einer großen Zahl der Fälle selbstlimitierend verläuft, liegt die Mortalität beim älteren Patienten bei vier bis fünf Prozent. Als vorrangiges Symptom gilt die Hämatochezie (frisches Blut im Stuhl); aber auch Melaena kann Ausdruck einer unteren gastrointestinalen Blutung sein.

In Abhängigkeit vom Zustand des Patienten steht der Endoskopieversuch an erster Stelle im diagnostischen Algorithmus. „Primär sollte immer, aber vor allem bei niedrigem Hämoglobin, eine Gastroskopie durchgeführt werden, um eine fulminante obere gastrointestinale Blutung auszuschließen“, erklärt Univ. Prof. Christoph Profanter von der Universitätsklinik für Visceral-, Transplantationsund Thoraxchirurgie in Innsbruck. Bei unauffälliger Gastroskopie wird mittels Coloskopie nach Möglichkeit bis zum terminalen Ileum Ausschau nach einer Blutungsquelle gehalten. Die hohe Sensitivität der Coloskopie macht die Methode auch beim nicht vorbereiteten Darm zum diagnostischen Verfahren der ersten Wahl, sollte aber grundsätzlich nur beim hämodynamisch stabilen Patienten durchgeführt werden. „Bei sehr starken Blutungen und daraus resultierender schlechter Untersuchungsqualität sollte die Coloskopie in jedem Fall komplettiert und keine voreiligen Rückschlüsse gezogen werden“, weiß Profanter. Mehr als die Hälfte der Blutungen hat ihren Ursprung im rechten Hemicolon. Trotzdem kann eine zusätzliche Blutungsquelle beispielsweise im Rektum oder Sigma vorliegen.

Die Vorteile der Coloskopie liegen in der Möglichkeit, die Blutungsquelle zu lokalisieren und in derselben Sitzung therapeutische Interventionen durchzuführen. Injektionstherapie wie beispielsweise Fibrinklebung, Laser, Thermo- und Elektrokoagulation, Bandligaturen und Clips stehen bei der koloskopischen Blutstillung zur Verfügung. Vor allem Angiodysplasien sind für die lokale endoskopische Therapie gut geeignet. Profanter mahnt allerdings zur Vorsicht mit dem Laser – besonders im rechten Hemicolon, da dieses relativ dünnwandig ist und somit eine erhöhte Perforationsgefahr gegeben ist. Studien haben gezeigt, dass eine rasch durchgeführte Coloskopie mit entsprechender Behandlung das Risiko für eine Rezidivblutung und für eine chirurgische Sanierung reduzieren kann.

Nächste Option: CT-Angiographie

Bei Stuhlüberlagerung und anderen technischen Problemen oder wenn sich die Blutungsquelle endoskopisch nicht lokalisieren lässt, empfiehlt Univ. Prof. Johannes Lammer, Leiter der klinischen Abteilung für kardiovaskuläre und interventionelle Radiologie an der Universitätsklinik für Radiodiagnostik in Wien, eine CT-Angiographie mit Kontrastmittel. Eine Blutung von 0,3 bis 0,5 ml/min ist für die Darstellung ausreichend, wobei das Multidetektor-CT eine höhere Auflösung und kürzere Untersuchungszeit möglich macht. „Bei intermittierenden Blutungen ist die Diagnostik mitunter problematisch oder auch gar nicht möglich. Außerdem steht die CT-Angiographie nicht immer zur Verfügung“, so der Experte. Der größte Nachteil der CT-Angiographie besteht darin, dass therapeutische Interventionen nicht in der gleichen Sitzung möglich sind.

Mit der intraarteriellen Subtraktions-Angiographie kann man Blutungen von 0,5 bis 1,0 Milliliter pro Minute nicht nur nachweisen, sondern auch stillen. Lammer empfiehlt bei angiographisch gut lokalisierbaren Blutungen die selektive Embolisation über einen Mikrokatheter. Profanter meint: „Man sollte nicht blind resezieren. Kann die Blutungsursache endoskopisch nicht geklärt werden, sollte eine angiographische Darstellung des Extravasates angestrebt werden.“ In einem erfahrenen Zentrum liegt die Erfolgsrate der endovaskulären Therapie der unteren gastrointestinalen Blutung bei 80 bis 100 Prozent. Demgegenüber stehen die mit der Methode einhergehenden möglichen Komplikationen einschließlich der Gefahr der intestinalen Ischämie mit einer Häufigkeit von bis zu 20 Prozent. „Die intraarterielle Vasopressin-Infusion wurde vor 25 Jahren entwickelt, ist komplikationsreich und daher heute obsolet“, ergänzt Lammer.

Ähnlich verhält es sich laut den Aussagen des Experten mit der radionuklidbasierten Diagnostik. Die Szintigraphie ist zwar in der Lage, Blutungen bis minimal 0,1 Milliliter pro Minute darzustellen, die exakte Darstellung des Blutungsaustritts ist aber problematisch. Lediglich zur Lokalisationsdiagnostik von blutenden Meckel‘schen Divertikel stellt die Magenschleimhaut-Szintigraphie eine sensitive Methode dar. Beide Experten erinnern daran, dass die genannten Methoden einer aktiven Blutung bedürfen, um Erfolg versprechend zu sein.

Lokalisierung der Blutungsquelle

Kann die Blutungsquelle mit den genannten Techniken nicht lokalisiert werden, stehen als weitere diagnostische Hilfsmittel die Kapselendoskopie, die „Push“-Enteroskopie, die Doppelballon-Enteroskopie sowie vor allem bei rezidivierenden Blutungen der Versuch der medikamentösen Blutstillung zur Verfügung. „Da blutende Patienten oft ältere Patienten sind, sollte eine minimalinvasive Behandlung angestrebt werden“, so Lammer. Profanter wiederum macht darauf aufmerksam, dass speziell Blutungen aus dem Dünndarm bezüglich der Lokalisation eine sehr große Herausforderung darstellen. Bei hämodynamisch instabilen Patienten, hohem Transfusionsbedarf oder massiven Rezidivblutungen ist – wenn alle anderen minimal-invasiven Therapieoptionen ausgeschöpft sind – auch die Operation indiziert. Die explorative Laparotomie mit intraoperativer Enteroskopie stellt eine mögliche Therapieoption dar. „In seltenen Fällen, wenn die Blutungsquelle nicht lokalisierbar ist, ist als ultima ratio die Anlage von zum Beispiel zwei doppelläufigen Stomata bei persistierenden Blutungen notwendig, um das Blutungsareal weiter einzugrenzen. Auch hier wird wieder mit Hilfe der Endoskopie gearbeitet, allerdings über die Stomaschenkel“, führt Profanter aus. Eine „blinde Resektion“ müsse in jedem Fall vermieden werden. Grundsätzlich ist der wichtigste Schritt im Management die Lokalisation der Blutung, denn bei Versagen aller minimal-invasiven Therapiemodalitäten kann dann eine gezielte chirurgische Resektion des blutenden Darmabschnittes durchgeführt werden. Rund 70 Prozent der unteren gastrointestinalen Blutungen sistieren von selbst. Auch dann sollte jedoch eine vollständige Coloskopie durchgeführt werden, resümiert Profanter.

Erhöhtes Komplikationsrisiko von Blutungen

Klinische Variablen, die das Komplikationsrisiko von Blutungen erhöhen, sind:

  • fortgeschrittenes Lebensalter ohne Geschlechtspräferenz;
  • signifikante Ko-Morbidität;
  • hämodynamische Instabiliät;
  • Divertikulose;
  • persistierende, schlecht lokalisierbare Blutung;
  • enterale Malignome (häufig neuroendokrine Tumore); st.p. Strahlentherapie;
  • laufende Aspirin- oder NSAR-Therapie;
  • Antikoagulation oder Clopidogrel-Therapie;
  • chronisch entzündliche Darmerkrankungen;
  • ischämische Colitis;
  • Morbus Rendu-Osler;
  • Nierenfunktionseinschränkung.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 8 / 25.04.2013