ASCO 49. Jahrestagung: Zielgerichteter Erfolg

15.08.2013 | Medizin

Wenn man auch mit einer punktgenauen Therapie bei der Behandlung des Mammakarzinoms Fortschritte erzielen konnte, steht man doch erst am Anfang einer Entwicklung, wie Experten anlässlich der 49. Jahrestagung der ASCO (American Society of Clinical Oncology) erklärten. Von Agnes M. Mühlgassner

Hinsichtlich der Erkenntnisse und neuen Therapien bei der Behandlung des Mammakarzinoms ist der Leiter der Klinischen Abteilung für Onkologie von der Universitätsklinik für Innere Medizin in Graz, Univ. Prof. Helmut Samonigg, zuversichtlich: „Wir sind offensichtlich beim Mammakarzinom in der Richtung unterwegs, dass wir bei einem enorm hohen Teil, also bei 50 bis 60 Prozent, tatsächlich pathologisch komplette präoperative Remissionen erreichen.“ Bei einem Hintergrundgespräch anlässlich des ASCO (American Society of Clinical Oncology) Anfang Juni in Chicago wies er auf den Stellenwert der molekularen Diagnostik in diesem Zusammenhang hin: „Sie ist das Bein, auf dem wir alle unsere Entscheidungen in Zukunft aufbauen werden. Unsere Zielsetzung ist es, immer klarer und zielgerichteter zu therapieren.“

Je nach Stadium wird bei 15 Prozent aller Mammakarzinome HER2neu überexprimiert. Univ. Prof. Michael Gnant von der Universitätsklinik für Chirurgie am Wiener AKH sieht das als ein Beispiel dafür an, wie sich die Medizin entwickelt. Während man früher wusste, dass man bei HER-2neu insgesamt eine schlechtere Überlebensrate in einem späteren Stadium der Erkrankung hat – wegen des aggressiven Wachstums, der höheren Teilungsrate und der häufigeren Rezidivrate im Frühstadium – habe sich das durch die moderne Medizin „vollkommen umgedreht“. Gnant dazu: „Diese Patienten haben heute in allen Behandlungsstrategien insgesamt eine bessere Aussicht.“ Wie er den Einsatz von Herceptin beim Mammakarzinom insgesamt als „Erfolgsgeschichte“ der personalisierten Medizin bezeichnet. Samonigg ergänzt: „Das ist der Weg, wie die Heilungsraten sehr wahrscheinlich schlagartig hinaufgehen werden, wenn wir diese Subgruppen optimal behandeln können.“

Und auch bei der Behandlung des Mammakarzinoms gibt es eine Weiterentwicklung. Basierend auf dieser Erfolgsgeschichte „kommen immer neue Innovationen“ wie etwa Pertuzumab (Perjeta®), berichtete Gnant. Diese Substanz hemmt die Paarbildung des Wachstumsfaktor-Rezeptors HER2 mit anderen Rezeptoren der HER-Familie und dadurch das Tumorwachstum. Für Gnant ein „Erfolgsbeispiel einer immer genaueren und zielgerichteteren Therapie“. So seien etwa in Österreich 2013 fast 2.000 weniger Frauen an Brustkrebs verstorben als 1990.

Insgesamt lohne es sich, in Forschung zu investieren, zeigt sich Gnant überzeugt. Wenngleich Österreich jenes EU-Land mit den geringsten pro-Kopf-Ausgaben für akademisch-klinische Forschung sei – eine „große Peinlichkeit“, wie er meint. Auf der anderen Seite stehen zahlreiche Herausforderungen, „weil wir sehen, dass wir erst am Beginn der Erfolgsgeschichte von HER2neu und den erfolgreichen Therapien samt den neu dazugekommenen stehen“.

Das Allerwichtigste sei, dass die Erkenntnis, die man im metastasierten Stadium gewinne, im Bereich der kurativen Zielsetzung weiter helfe, bringt Samonigg einen weiteren Aspekt ein. Dort könne man heute vor der Operation eines Mammakarzinoms „vollkommene Rückbildungsraten erzielen“,  wovon man vor ein paar Jahren noch nicht einmal geträumt hätte. Samonigg weiter: „Momentan erreichen wir noch gemeinsam mit der Chemotherapie das vollkommene Verschwinden des Tumorgeschehens von über 50 Prozent. Das ist ein Wissensgewinn, den wir von Studien im metastasierten Bereich ableiten.“ Der Experte betont aber auch, dass es nicht Ziel sei, die Überlebenszeit zu verlängern, sondern wirkliche Zielsetzung sei die Heilung. „Wenn wir nicht im metastasierten Stadium Erkenntnisgewinne zusammenbringen, wird man eine Tumorheilung nie schaffen“, so Samonigg resümierend.

Neues Verfahren: Glycoengineering

In einem weiteren Hintergrundgespräch erläuterte der Internist Nico Andre, medizinischer Direktor der Abteilung Medical Affairs Hämatologie/Onkologie in Basel und zuletzt als Oberarzt an der Universitätsklinik Bochum für den Bereich Hämatologie/Onkologie tätig, weitere Neuerungen im Bereich Onkologie. Mit der Möglichkeit, das körpereigene Immunsystem anzuregen, den Krebs direkt anzugreifen, habe man „eine neue Tür aufgemacht“. Dies sei mit GA 101(Obinutuzumab) – es wird bei Chronisch lymphatischer Leukämie eingesetzt – gelungen. Dieser erste im Glycoengineering-Verfahren hergestellte monoklonale Antikörper richtet sich an das CD20-Protein an der Oberfläche von B-Zellen. Im Zuge der Herstellung werden komplexe Zuckerstrukturen an die Fc-Region des IgG-Antikörpers geheftet. Der Antikörper markiert die B-Zelle, die daraufhin von den natürlichen Killerzellen erkannt und zerstört wird. Weiters werden in der Zelle Signale ausgelöst, die zur Apoptose führen. Der Wirkstoff befindet sich in Phase III der klinischen Entwicklung und wurde in der EU und in den USA für die Behandlung von Chronisch lymphatischer Leukämie zur Zulassung eingereicht.

Dadurch, dass Medikamente immer zielgerichteter werden, habe sich auch der Gesamtenwicklungsprozess „enorm beschleunigt“, wie Nico Andre ausführte. Während sie für Avastin® etwa 30 Jahre betragen hat, liegt sie jetzt zwischen sieben und zehn Jahren.

Bevacizumab beim Glioblastom

Bevacizumab (Avastin®) verlängert das progressionsfreie Überleben bei Patienten mit neu diagnostiziertem Glioblastom im Vergleich zu Patienten, die nur Chemo- und Strahlentherapie erhielten, auf median 10,6 Monate im Vergleich zu 6,2 Monaten. Diese Resultate der Phase III-Studie AVAglio wurden Anfang Juni beim ASCO (American Society of Clinical Oncology) in Chicago von Prof. Wolfgang Wick, Direktor der Abteilung für Neuroonkologie der Neurologischen Klinik des Universitätsklinikums Heidelberg, vorgestellt. Seit Mitte 2009 läuft eine weltweite Phase III-Studie (AVAglio) mit mehr als 900 Patienten. Als Grundlage für die Zulassung von Avastin® bei der Behandlung des Glioblastoms fordert die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) die Ergebnisse dieser Phase III-Studie ein. Die FDA (Food and Drug Administration) hat sich aufgrund der BRAIN-Studie (Phase II-Studie) für die beschleunigte Zulassung von Bevacizumab bei der Behandlung des rezidivierenden oder fortgeschrittenen Glioblastoms ausgesprochen.

Aktuell ist die Substanz für die Behandlung des rezidivierenden Glioblastoms in den USA und zwölf weiteren Ländern zugelassen. Eine Zulassung für die EU steht noch aus. Bevacizumab wurde in den USA erstmals 2004, in Europa erstmals 2005 zugelassen.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 15-16 / 15.08.2013