Standpunkt – Vize-Präs. Artur Wechselberger: ELGA – ein Symptom

10.02.2012 | Standpunkt

(c) Gregor Zeitler

Die Skepsis und den Widerstand der Ärzteschaft gegen ELGA als Ausdruck einer Fortschrittsverweigerung oder gar als Angst vor Transparenz zu interpretieren, ist oberflächlich, populistisch und falsch. Gerade Ärzte schätzen die Segnungen des wissenschaftlichen Fortschritts und der technologischen Entwicklung – sind doch beide häufige Begleiter ihrer medizinischen Erfolge. Deshalb wird ein Gesundheitstelematikgesetz als Rechtsrahmen für den zunehmenden elektronischen Austausch von Gesundheitsdaten auch nicht pauschal abgelehnt. Die Schaffung bundeseinheitlicher Mindeststandards zur Datensicherheit, die Verhinderung von Datenmissbrauch und auch einheitliche Regelungen für die gerichtete wie ungerichtete Kommunikation elektronischer Gesundheitsdaten gehören zu den Aufgaben des Staates. Sichere Standards der Verschlüsselung, geregelte Zugriffsberechtigungen und die eindeutige und unverwechselbare Identifikation von Datenerstellern, Datennutzern sowie Patientinnen und Patienten sind Teil dieser Aufgabe.

Nicht Teil der Aufgabe eines Staates ist es allerdings, sich weit über die Interessen der Bürger hinweg in die intimsten, individuellen Belange von Gesundheit und Krankheit einzumischen. Dieses Machtgehabe – wie in vergangenen Zeiten vielleicht bei Großbauern üblich – gibt vor, für das Gesinde zu wissen, was diesem gut tut und versucht, persönliche Wertvorstellungen gleichzuschalten und ärztliches Handeln zu normieren. Es kann auch nicht Aufgabe des Staates sein, Entwicklungen und Chancen der elektronischen Kommunikation, die sich zum Teil erst schemenhaft abzeichnen, durch ein rückwärts gewandtes, in seiner Konzeption technologisch längst veraltetes ELGA-Gesetz zu behindern. Besonders dann nicht, wenn dieses nur einen gesetzlichen Rahmen für die schafft, die ohne zukunftsträchtige Entwicklungsarbeit leisten zu müssen, gestrige und heutige Technologien für die Zeit von Morgen verkaufen wollen. Und das noch, ohne in einer Probephase die erfolgreiche Umsetzbarkeit im Feldversuch beweisen zu müssen.

Die Rolle des Staates als der, der alles besser weiß, der Regelungsbedarf bis in die kleinsten Details hinein sieht, ist im österreichischen Gesundheitswesen allgegenwärtig. Ungerührt von Erfordernissen der medizinischen Wissenschaft, Grundsätzen humanitärer Patientenbehandlung und ethischen Verpflichtungen der Behandler drängt er sich in jeden nur denkbaren Bereich unseres Berufslebens. Etwa dann, wenn er Sozialversicherungen ohne ausreichende Kenntnis der Situation des einzelnen Patienten diesem vom Arzt verordnete Medikamente streichen oder gnadenhalber gewähren lässt oder sich bis ins kleinste Detail in die Qualitätsvorgaben für jede einzelne Praxis mischt.

Dabei verweigert dieser Staat, der vorgibt, die Qualitätserfordernisse der Gesundheitseinrichtungen bis ins kleinste Detail zu kennen, gleichzeitig seinen Bürgern die Versorgungsqualität, die die Mehrzahl der europäischen Staaten durch bestens ausgebildete Fachärzte für Allgemeinmedizin schon lange bietet und auch in Österreich seit Jahren von Experten gefordert wird.

Derselbe Staat unterbindet auch in einem bis zur Farce herunter geregelten „Gruppenpraxen-Gesetz“ jede Privatinitiative, verbietet unternehmerisches Denken und verhindert darin den notwendigen Entwicklungsschritt hin zu einer modernen ambulanten medizinischen Versorgung als Gegenpol zu den überquellenden Krankenhausambulanzen. Und das alles, weil nur er zu wissen glaubt, was seinen Bürgern wirklich gut tut und er großzügige Rahmengesetze, die Ideen, individuelles Engagement und Fortschritte in der Versorgung fördern, fürchtet.

Eine Furcht, die offensichtlich weder in der Kostenentwicklung noch in den Versorgungsnotwendigkeiten begründet ist. Denn das penetrante Festhalten an ELGA beweist, dass Geld in einem Prestigeprojekt, auch wenn Verbesserungen im Sinne der Patientenversorgung und eines Benefits für alle Beteiligten durch nichts belegt sind, in der politischen Entscheidung keine Rolle spielt.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 3 / 10.02.2012